Universal Pictures
Dennis Gansel bei den Dreharbeiten von "Die vierte Macht"
"Ich bin kein autoritärer Regisseur"
Interview: Sanfter Dennis Gansel
Wie verhält sich der Mensch im Angesicht staatlicher Willkür? Passt er sich an oder widersetzt er sich? Das sind die Themen, die Dennis Gansel in "Napola - Elite für den Führer" und "Die Welle" behandelt. Auch in "Die vierte Macht" geht es um den Konflikt zwischen Staat und Individuum. In dem Thriller schickt der Regisseur Moritz Bleibtreu als deutschen Reporter nach Moskau, wo er von der Regierung wegen Terrorismusverdachts verhaftet wird. Im Interview mit Filmreporter.de sprach der 39-Jährige über die fehlende Pressefreiheit in Russland. Außerdem verriet er uns, warum sich der deutsche Genrefilm schwertut.
erschienen am 10. 03. 2012
Universal Pictures
Die vierte Macht
Ricore: Herr Gansel, Sie wollten ursprünglich einen Thriller über die Rote Brigade machen, der in Italien spielen sollte. Wie kam es dann zu "Die vierte Macht"?

Dennis Gansel: Die ursprüngliche Fassung von "Die vierte Macht" blieb in der Finanzierung stecken, so dass das Projekt zunächst vier Jahre auf Eis lag. Es war vor allem der Tod der Journalistin Anna Politkowskaja, der mich dazu gebracht hat, die Handlung nach Russland zu verlegen. Als ich anfing zu recherchieren, bin ich auf den Bombenanschlag auf ein Moskauer Wohnhaus im Jahr 1999 gestoßen, dessen Hintergründe bis heute nicht geklärt sind. Verschwörungstheorien, staatlicher gelenkter Terrorismus - das sind Themen, die mich schon bei meinem ersten Film, "Das Phantom" beschäftigt haben. Dort ging es um die dritte Generation der RAF, die - so der konspirative Ansatz - als Phantom vom Staatsschutz am Leben erhalten wird. Dass das Thema nicht abwegig ist, hat der Fall Benno Ohnesorg gezeigt, der 1967 von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras während einer Demonstration erschossen wurde. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass Kurras inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Man sah also in der Realität, was auch in "Das Phantom" und "Die vierte Macht" thematisiert wird: dass der gelenkte Terrorismus auf einer Mechanik beruht, die sich in vielen Ländern deckt.

Ricore: Ein anderer Themenblock des Films ist die Einschränkung der Pressefreiheit. Ist die Lage in Russland so gravierend, wie Sie sie schildern?

Gansel: Wir haben die Situation eins zu eins übertragen. In einer exzessiven Recherche habe ich mehrere russische Journalisten gesprochen und dabei einiges über die Ausmaße der Unterdrückung der Pressefreiheit erfahren. In "Die vierte Macht" gibt es eine Szene, in der ein Journalist auf offener Straße ermordet wird. Auch das ist leider traurige Realität. In den letzten zehn Jahren sind in Russland an die 150 Journalisten ums Leben gekommen. Auch was die Szene mit der Protestbewegung angeht, hat uns die Realität längst eingeholt, wie man kürzlich nach dem mutmaßlichen Wahlbetrug und den damit verbundenen Massendemonstrationen gesehen hat. Das wird noch hochspannend.
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Dennis Gansel bei den Dreharbeiten von "Die vierte Macht"
Ricore: Gerade vor dem Hintergrund der Einschränkung der Pressefreiheit müsste die Boulevardblatt-Kultur in Russland besonders ausgeprägt sein.

Gansel: Ja, auch das hat reale Vorbilder. Das Blatt, das im Film erscheint, gibt es tatsächlich. Einige Journalisten, die bei Axel Springer Russia arbeiten, standen uns beratend zur Seite. Dabei haben wir hochspannende Geschichten erfahren. Zum Beispiel gib es den Fall eines Chefredakteurs, der Koks konsumierend und mit einer Prostituierten fotografiert wurde. Später hat es sich herausgestellt, dass er in eine Falle gelockt wurde. Solche und viele andere Geschichten konnten wir nicht in den Film nehmen, weil sie so bizarr waren, dass man sie kaum glauben konnte.

Ricore: Sie zeigen ein sehr kritisches Russland-Bild. Wurden sie bei der Arbeit von den russischen Behörden behindert?

Gansel: Wir haben mit einem ehemaligen KGB-General gesprochen, der uns sagte, dass wir nicht unbeobachtet bleiben. Außerdem haben wir überwiegend in der Ukraine gedreht, so dass wir keine konkrete Bedrohung spürten. Solange kritische Filme in Russland nicht veröffentlicht werden, hat man nichts zu befürchten. Abgesehen davon ist es diesen Leuten mehr oder weniger egal, welches Bild von ihrem Land vermittelt wird. Sie können sowieso machen, was sie wollen. Trotz Aufschrei und Protest wird ihnen nichts passieren - und das wissen sie.

Ricore: Gibt es dennoch bestimmte Themen, bei denen die russischen Behörden empfindlich reagieren?

Gansel: Richtig gefährlich wird es, wenn man sich mit bestimmten Kreisen in Tschetschenien einlässt. In dem Fall hätte ich große Angst.

Ricore: Sie haben eben angedeutet, dass der Film wohl keinen russischen Verleih finden wird.

Gansel: Ich bin gespannt...
Constantin
Dennis Gansel
Ricore: Erfolg würde er bei der aktuell aufgeheizten Stimmung in der russischen Bevölkerung wahrscheinlich haben.

Gansel: Womöglich. Lustigerweise habe ich erst gestern eine Einladung zu einem Moskauer Festival bekommen. Sie haben den Film noch nicht gesehen, sondern kennen nur dessen Inhalt. Ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt.

Ricore: Wie in "Napola - Elite für den Führer" gibt es auch in "Die vierte Macht" einen Vater-Sohn-Konflikt. Ist das nur ein dramaturgisches Element oder doch biographisch motiviert?

Gansel: Ja, dieses Thema zieht sich tatsächlich durch meine Filme. Auch in "Die Welle" gab es einige Figuren, die sich an der Vatergeneration abarbeiten. Daraus sollte man aber nicht auf meine Beziehung zu meinem Vater schließen. Ich habe zu ihm ein sehr gutes Verhältnis. Mit diesem Thema können sich nun mal viele Männer identifizieren und auch Moritz fand hier Anknüpfungspunkte.

Ricore: Gab es reale Vorbilder für die Figur des deutschen Journalisten?

Gansel: Ja, der Charakter wurde von zwei bekannten Journalisten inspiriert, die ich zwar persönlich nicht kenne aber seit Jahren beobachte. Beide haben - so wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen - wahrscheinlich tatsächlich extreme Probleme mit ihren Vätern. Auch Moritz kennt diese Journalisten, teilweise auch persönlich. Ich finde es grundsätzlich wichtig, wenn eine Geschichte in der Realität eine Entsprechung hat. Auch in "Die vierte Macht" findet man diese Parallelen, angefangen von den Figuren über das Gefängnismotiv bis hin zu Originaldialogen der Tschetschenen.

Ricore: Warum haben Sie die Hauptrolle mit Moritz Bleibtreu besetzt und ihrem Stammschauspieler Max Riemelt nur eine Nebenrolle gegeben.

Gansel: Bei der Figur des Journalisten handelt es sich um einen Menschen, der eine bestimmte Lebenserfahrung hinter sich hat. Da passte Moritz besser hinein, der ja älter als Max ist. Ich wusste, dass er "Das Phantom" sehr mochte. Seitdem wollten wir zusammen arbeiten.
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Moritz Bleibtreu in "Die vierte Macht"
Ricore: Heißt das, dass Herr Bleibtreu nun neben Max Riemelt und Jürgen Vogel das neue Mitglied in Ihrem Team ist?

Gansel: Das fände ich toll. Ich liebe den familiären Gedanken. Aber man muss ihnen natürlich Stoffe anbieten, die sie auch machen wollen. Es sind Schauspieler, die unbestechlich sind. Wenn ich ihnen etwas vorlegen würde, worauf sie keine Lust haben, dann würden sie es nicht machen. Glücklicherweise sind unsere Geschmäcker im Augenblick recht ähnlich.

Ricore: Betrachten Sie Schauspieler als kreative Partner oder müssen sie sich bedingungslos Ihrem Willen beugen?

Gansel: Sie sind eher meine kreativen Partner. Ich bin kein autoritärer Regisseur, sondern bevorzuge lieber die kumpelhafte Arbeitsweise. Ich weiß ganz genau, was ich will, möchte es auf dem Set trotzdem familiär haben. Mit bestimmten Leuten funktioniert das super. Das ist eine Arbeit auf Augenhöhe.

Ricore: Sie gelten andererseits als Regisseur, der seine Filme gut plant. Ist das mit einer familiären Arbeitsweise vereinbar oder kann es schon mal zu Reibereien kommen?

Gansel: Absolut, gerade wenn ich eine Einstellung bis zu zehn Mal wiederholen lasse. Da kann ein Schauspieler schon mal ungeduldig oder unsicher werden. Da ist es wichtig zu argumentieren, was einem speziell jetzt noch gefehlt hat. Nach dem Dreh kam Moritz zu mir und sagte: "Du, ich hab' nochmal Lust" (lacht).

Ricore: Sie machen Filme, die sowohl Unterhaltungswert haben, als auch gesellschaftspolitische Themen aufgreifen. Wie positionieren Sie sich im deutschen Kino?

Gansel: Mich interessieren Filme, die den Anspruch haben Unterhaltung mit thematisch brisanten Themen zu verbinden. Ich bin jemand, der sich gerne unterhalten lässt, von einem Film aber auch etwas mitnehmen will. Es muss nicht unbedingt ein politischer Stoff sein, wenn er mich nur reicher an Eindrücken und Erkenntnissen macht. Reiner Eskapismus ist nicht mein Ding. Andererseits habe ich zuletzt mit "Wir sind die Nacht" versucht, das Vampirgenre in Deutschland zu etablieren. Das hat jedoch nicht so gut funktioniert.

Ricore: Bei diesem Vampirfilm haben Sie jahrelang auf die Realisierung warten müssen, weil das deutsche Genrekino früher hierzulande einen schweren Stand hatte. Hat es diesbezüglich eine Entwicklung gegeben?

Gansel: Nein, ich würde sagen, es ist eher noch schlimmer geworden. Das muss man leider ganz deutlich festhalten.
Warner Bros.
Hangover
Ricore: Hat dieser Misserfolg die Entwicklung des deutschen Genrefilms gebremst.

Gansel: Nun das hat die Situation für den deutschen Genrefilme sicher nicht verbessert. Man kann Produzenten, Verleiher und Förderer hierzulande verstehen, wenn sie mit Blick auf die Kinocharts lieber auf Komödien setzen, als andere Genrefilme zu fördern. Eine Vielfalt wie in Frankreich, das von Klamauk bis hin zu Filmen wie "The Artist" ein sehr breites Kinospektrum abdeckt, gib es in Deutschland leider nicht in der Form wie sich das alle wünschen. Da steht noch viel Arbeit an.

Ricore: Würden Sie sich dennoch noch einmal an einen reinen Genrefilm wagen?

Gansel: Ja klar - als Filmemacher braucht man nicht nur hierzulande einen langen Atem.

Ricore: Das heißt, sie würden nicht den sichereren Weg wählen und lieber eine Komödie drehen.

Gansel: Wenn ich noch einmal eine Komödie mache, dann eine mit erwachseneren Themen. Ich bin ein großer Fan von "Hangover". Das war ein Humor, mit dem ich mich identifizieren konnte. Mit fast 40 Jahren bin ich für Teenie-Komödien heute weniger geeignet. Als ich damals "Mädchen Mädchen!" machte, war das ein Riesenspaß. Heute würde ich lieber eine Komödie wie "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" machen. Leider gibt es in Deutschland nicht viele Filme dieser Art.

Ricore: Andererseits tendiert der populärste deutsche Klamauk-Filmer, Michael "Bully" Herbig, neuerdings zu ernsten Filmstoffen.

Gansel: Ja, das ist ganz interessant. Ich könnte zum Beispiel keinen Bully-Film machen, das kann nur er. Bully schafft es irgendwie, eine Dialogzeile so umzusetzen, dass die Leute sie auf der Straße zitieren. Das ist eine große Kunst.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 10. März 2012
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2024