Paramount Pictures
Jason Reitman auf der Berlinale 2012
Kunst für den Gaumen
Interview: Feinschmecker Jason Reitman
Jason Reitman hat sich als Regisseur hintergründiger Komödien wie "Juno" und "Up in the Air" einen Namen gemacht. Dieser Linie bleibt er auch mit "Young Adult" treu, den er seinem Publikum im Rahmen der Berlinale 2012 vorgestellt hat. Während des Festivals nimmt sich Reitman Zeit für ein Gespräch mit Filmreporter.de. Er berichtet von der Entstehung des Films und definiert seinen künstlerischen Anspruch.
erschienen am 24. 02. 2012
Paramount Pictures
Young Adult
Ricore: Warum haben Sie Charlize Theron und Patton Oswalt als Hauptdarsteller von "Young Adult" ausgewählt?

Jason Reitman: Ich brauchte eine Schauspielerin, die mutig genug war, damit aus dem Charakter keine alberne Figur wird. Ich wusste, dass Charlize dazu in der Lage sein würde. Bei Patton war es die perfekte Gelegenheit, um eine Seite von ihm zu zeigen, die man vorher noch nicht gesehen hat. Er kam zu mir nach Hause, um das Drehbuch durchzugehen und seine Stimme war perfekt für die Dialoge. Am Ende des Tages wähle ich Schauspieler, die Realismus und Ehrlichkeit einbringen können. Das ist die Aufgabe eines Regisseurs - Wahrheit zu kreieren.

Ricore: Und wie war es, mit den beiden zu arbeiten?

Reitman: Wundervoll. Mit den beiden war es ganz einfach. Patton ist charmant, witzig und ein großartiger Schauspieler. Charlize ist ebenfalls sehr lustig. Zudem ist sie düster, auf eine Art und Weise, die ich sehr mag.

Ricore: Was hat Sie an der Geschichte von "Young Adult" besonders interessiert?

Reitman: Das war vor allem der dritte Akt, die letzten drei Szenen. Sie waren der Grund, warum ich den Film gemacht habe. Für mich steuert der gesamte Film auf diese Szenen zu. Ich habe solche Szenen noch nie in einem Film gesehen. Sie sind sehr mutig geschrieben und es erfordert eine Menge Mut, sie zu spielen. Ich hatte so etwas im wahren Leben schon oft gesehen, aber noch nie auf der Leinwand. Deshalb habe ich den Film gemacht, um dem Zuschauer einen Schlag in die Magengrube zu verpassen. Es ist wie bei "Up in the Air" - es tut weh, man geht verwirrt aus dem Kino und wird gezwungen, über sein eigenes Leben nachzudenken und die Entscheidungen, die man getroffen hat. Für mich funktioniert das viel besser, als wenn man die Zuschauer glücklich macht.

Ricore: Wie weit haben Sie die Zuschauer im Hinterkopf, wenn Sie einen Film realisieren?

Reitman: Das ist bei mir eher instinktiv. Ich sitze nicht da und überlege, wie die Zuschauer reagieren werden, aber ich habe einen Instinkt dafür. Ich denke allerdings nicht, dass es mein Job ist, sie glücklich zu machen.
20th Century Fox
Jason Reitman am Set von "Juno"
Ricore: Machen Sie sich Gedanken über die Reaktionen der Kritiker?

Reitman: Nein, ich hoffe, dass sie den Film mögen, aber man kann nicht vorhersehen, was ihnen gefällt.

Ricore: Wie nervös sind Sie bei Festivals wie der Berlinale, wenn Ihr Film uraufgeführt wird?

Reitman: Nervös bin ich nicht, ich bin begeistert. Ich bin bei Festivals vertreten, seit ich als Jugendlicher mit meinen Kurzfilmen angefangen habe. Ich war bei Sundance mit 19. Festivals haben mich als Regisseur definiert, alle meine Filme waren auf Festivals zu sehen. In gewisser Weise sind sie wie geschaffen für meine Filme.

Ricore: Wie war es für Sie, als Sie zum ersten Mal einen eigenen Film auf der Leinwand gesehen haben?

Reitman: Das war furchteinflößend. Man fühlt sich dabei vollkommen bloßgestellt und es gibt nichts, was man dagegen machen kann.

Ricore: Würden Sie sich selbst als jungen Erwachsenen bezeichnen?

Reitman: Nein, bei mir trifft eher das Gegenteil zu. Ich bin schnell erwachsen geworden. Bereits mit 16 bin ich ausgezogen, mit 26 bin ich mit meiner Freundin zusammengezogen. Jetzt bin ich 34 und fühle mich, als ob ich bereits mindestens 35 wäre [lacht].
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Jason Reitman auf der Premiere von "Young Adult" in Los Angeles
Ricore: Gibt es dennoch kindischen Aspekte in Ihrem Leben?

Reitman: Ich esse gerne Pizza und solche Sachen.

Ricore: Gab es Dinge in Ihrer Schulzeit, die besonders übel waren?

Reitman: Während der Schulzeit ist alles übel.

Ricore: Haben viele in Ihr Schuljahrbuch geschrieben?

Reitman: Nein, nicht viele, ich hatte nicht sehr viele Freunde.

Ricore: Das hat sich inzwischen sicherlich geändert, oder?

Reitman: Ja, das Leben ist mit jedem Jahr besser geworden. Das ist mir viel lieber, als wenn meine Schuljahre die beste Zeit meines Lebens gewesen wären.

Ricore: Sehnen Sie sich nach den Zeiten der Musikkassetten-Mixtapes zurück?

Reitman: Nicht wirklich. Ich bevorzuge eher Schallplatten. Den Vorspann des Films mit dem Kassettendeck hielt ich einfach für eine tolle, visuelle Idee, die als Metapher für die Rückkehr zur alten Zeit dient. Es sollte ein greifbares Objekt sein, das aus der Ära stammt, in der die Dinge für die Protagonistin noch einen Sinn gemacht haben.
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Diablo Cody bei Premiere von "Young Adult" in Los Angeles
Ricore: War es wichtig, dass das Drehbuch von "Young Adult" Diablo Cody schrieb, um die Geschehnisse aus der Perspektive einer Frau zu erzählen?

Reitman: Ich denke nicht, dass es wichtig war, die Dinge aus der Perspektive einer Frau zu erzählen. Ich bin etwa stolz darauf, wie ich den weiblichen Charakter in "Up in the Air" gezeichnet habe. Meiner Meinung nach ist es wichtiger, dass sie eine andere Sichtweise auf das Leben hat. Wenn ich Diablos Drehbücher nicht verfilmt hätte, wäre meine Karriere sicherlich interessant, aber bei weitem nicht so interessant, wie sie es durch sie geworden ist. Sie erzählt Geschichten, die ich nie erzählen würde. Nicht nur ihre Sichtweise auf die Protagonistin, auch die Art und Weise, wie sie Pattons Charakter geschrieben hat, ist überaus ungewöhnlich. Ich hätte das nie so geschrieben. Ihre Sichtweise auf das Leben fasziniert mich.

Ricore: Inwieweit nimmt ein Film bereits beim Lesen des Drehbuchs Gestalt in Ihrem Kopf an?

Reitman: Wenn ich ein Drehbuch lese, das ich umsetzen will, habe ich nahezu den gesamten Film im Kopf. Dann muss ich ihn nur noch drehen. Für Improvisation der Dialoge ist nicht viel Platz. Wenn ich mich für einen Film entscheide, liegt es daran, dass ich die Dialoge liebe. Am Set ändere ich nicht gerne etwas daran.

Ricore: Gibt Diablo Cody am Set Hinweise beim Drehen?

Reitman: Am Set ist sie nicht. Ich bin nicht dabei, wenn sie schreibt und sie ist nicht am Set. Wir lassen dem anderen seinen Freiraum und vertrauen uns.
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Jason Reitman auf der Berlinale 2012
Ricore: Sie machen stets kleinere Filme, die sich auf die Charaktere konzentrieren. Würden Sie auch mal gerne wie Ihr Vater einen aufwendigen Blockbuster drehen?

Reitman: Nein, wieso sollte ich so einen Film machen wollen. Das ist, als ob man ein kleines Restaurant besitzt, in dem man tolle, hausgemachte Speisen zubereitet, in dem jede Mahlzeit etwas Besonderes ist. Und auf einmal kriegt man das Angebot, 20 Fast Food-Restaurants zu eröffnen und damit jede Woche Millionen Dollar zu machen. Ich behalte lieber das kleine Restaurant und mache weiter Kunst für den Gaumen.

Ricore: Also sind die meisten Hollywood-Filme Fast Food?

Reitman: Ja, und ich mag Fast Food. Doch als Regisseur möchte ich kein Fast Food machen.

Ricore: Wie schwer ist es in dieser Industrie die nötige finanzielle Unterstützung für Ihre Filme zu bekommen?

Reitman: Es ist sehr schwer, doch ich habe großes Glück. Meine Filme haben eine Menge Geld eingespielt, so dass die Leute denken, dass ich etwas weiß, was ich aber eigentlich ich nicht weiß. Auf diese Weise lassen sie mich komplexe Filme wie "Young Adult" machen, die in finanzieller Hinsicht ein Risiko sind. Obwohl der Film so günstig war, dass er keine Verluste machen wird.

Ricore: Wie wichtig ist Ihr Vater für Ihre Karriere?

Reitman: Mein Vater hat mich als Mensch zu dem gemacht, was ich bin. In der Hinsicht ist er sehr wichtig für mich.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Jason Reitman
Ricore: Was hat er zu Ihren Plänen gesagt, Regisseur werden zu wollen?

Reitman: Er hat mich davon überzeugt, Regisseur zu werden. Ich hatte eigentlich vor, Psychologe zu werden.

Ricore: Psychologische Fertigkeiten sind bei der Regie sicher nützlich.

Reitman: Ja, es ist derselbe Job. Man muss verstehen, warum Menschen tun, was sie tun und man muss die Schauspieler dazu bringen, eine Verbindung zu ihren Rollen zu finden. Zudem muss man die Psychologie der Zuschauer verstehen.

Ricore: Welchen Film werden wir als nächstes von Ihnen sehen?

Reitman: "Labor Day", ein romantisches Drama mit Kate Winslet und Josh Brolin.

Ricore: Wie wichtig ist es, einen großen Star in einem Film zu haben?

Reitman: Das ändert alles. Dadurch wird es viel einfacher, den Film zu machen und zu bewerben. Stars wie George und Charlize sind dynamisch, haben Charisma und sie verändern die Bedingungen, um so einen Film machen zu können.

Ricore: Inzwischen würden viele Schauspieler wohl auch umsonst mit Ihnen arbeiten wollen, wie bei Woody Allen.

Reitman: Ihr Wort in Gottes Ohr. Das ist die Art von Regisseur, der ich sein will. Ich hoffe, dass ich ein Regisseur bin, mit dem die Schauspieler arbeiten wollen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 24. Februar 2012
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2024