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Gina Carano beim Berliner Photocall zu "Haywire"
Schlagkräftige Heldin
Interview: Gina Carano kämpft weiter...
Im Alter von 29 Jahren hat Gina Carano eine erfolgreiche Karriere bereits hinter sich. Als Mixed Martial Arts-Kämpferin stand sie jahrelang im Ring. Als Steven Soderbergh sie bei einem Kampf sah, beschloss er, die Amerikanerin als Hauptdarstellerin seines Thrillers "Haywire" zu engagieren. Während der Berlinale 2012 sprach die sympathische Carano mit Filmreporter.de über ihr Debüt als Schauspielerin sowie das Verhältnis zum eigenen Körper.
erschienen am 7. 03. 2012
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Haywire
Ricore: Wie war es, Channing Tatum, Ewan McGregor und Michael Fassbender in den Arsch zu treten?

Gina Carano: Es war unglaublich. Es gab keine Stunt-Doubles und alle drei haben sich ins Zeug gelegt. Sie sind tolle Schauspieler. Es ist ja eine Sache, ein guter Schauspieler zu sein. Physisches Schauspiel ist aber eine Sache für sich. Und sie beherrschen das.

Ricore: Welchen Schauspieler würden Sie für eine Liebesszene bevorzugen?

Carano: Ich weiß nicht. Ich habe noch nie eine Liebesszene gedreht, aber ich habe gehört, dass so etwas ziemlich unbehaglich sein soll. Ich mag Action- und Kampf-Szenen lieber.

Ricore: Steven Soderbergh soll Sie für die Rolle ausgewählt haben, nachdem er Sie in einem Kampf gesehen hat. Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle vorbereitet?

Carano: Steven hat mich mit einem Ex-Mossad-Mitarbeiter trainieren lassen. Im Grunde war das ein siebenwöchiges Bootcamp. Wir hatten ein Lagerhaus, in dem er mich mit einer Maschinenpistole und einer Pistole trainieren ließ. Wir haben geübt, wie man ein Gebäude richtig betritt oder verlässt. Er hat einen GPS-Sender in meinem Auto installiert und ist mir durch L.A. gefolgt. Dann hat er mich angerufen und mir gesagt, wo ich gerade bin. Ich wusste nicht, wie er das gemacht hat, also war ich irgendwann ziemlich paranoid. Er gab uns blaue Waffen, die wir immer dabei haben sollten. Dann ließ er seine Freunde auf uns los und wir sollten uns mit den blauen Dingern verteidigen. Das war wie eine Gehirnwäsche.

Ricore: Wie ist das, wenn Steven Soderbergh einen Film für einen schreibt? Ist das nicht ein Traum?

Carano: Im Rückblick, ja. Aber als ich den ersten Anruf bekam, hatte ich keine Ahnung, wer er ist. Die Kampfsportszene ist ziemlich klein. In der Filmwelt kenne ich immer noch nicht viele. Ich wusste nur, dass Steven "Traffic - Macht des Kartells" gemacht hat und diesen Film liebe ich, der hat mich wirklich berührt. Es war interessant, zu sehen, wer er wirklich ist und welche Reaktionen er in der Filmszene weckt. Ich habe einen großen Respekt vor ihm. Er hat es mir ermöglicht, eine ganz neue Karriere zu verfolgen. Kampfsport kann man nicht für immer machen. Ich hoffe, nicht immer kämpfen zu müssen, um mein Geld zu verdienen.

Ricore: Wie sind Sie zu Ihrer ersten Karriere gekommen?

Carano: Ich hatte schon immer eine gewisse natürliche Aggressivität. Ich war nicht gewalttätig, sondern sehr sportlich. Ich konnte mich für Wakeboarding, Snowboarding, Basketball, Softball und Volleyball begeistern.
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Gina Carano und Michael Fassbender in "Haywire"
Ricore: Haben Sie Brüder?

Carano: Nein, ich bin die mittlere von drei Schwestern. Wir sind auf Punkkonzerte gegangen und so. Meine ältere Schwester hat sich immer in die Moshpit geworfen. Ich habe mich dahinter gestellt und ihr die Leute vom Leib gehalten. Sie sprintete zum Meer und sprang ins Wasser, während ich mir noch um die Haie Sorgen machte. Ich hatte einen starken Beschützerinstinkt. Jetzt ist es umgekehrt. Seit ich im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit stehe, beschützen mich meine Schwestern...

Ricore: Hatten Sie mal einen Kampf außerhalb des Rings?

Carano: Bevor ich mit dem Cagefighting anfing, war ich oft in Schlägereien verwickelt. Früher war ich sehr schüchtern. Ich versuchte, das zu überwinden, aber ich stand oft in der Ecke und hatte große soziale Ängste. Manche Leute haben das wohl falsch verstanden. Ich war einfach nur still und wollte gar keinen Ärger machen.

Ricore: Was passierte dann?

Carano: Manchmal ist man irgendwo und Irgendjemand hat plötzlich ein Problem mit dir. Keine Ahnung, warum. In solchen Situationen ist mal ein Kampf ausgebrochen. Ich war nicht schlagfertig genug, um mich mit Worten zur Wehr zu setzen. Ich kämpfe zwar nicht mehr, aber manchmal passiert so etwas trotzdem noch.

Ricore: Passierte das eher mit Männern oder mit Frauen?

Carano: Sowohl als auch. Ich bin in Las Vegas aufgewachsen, da gab es öfter Reibereien zwischen Gruppen. Da waren auch Jungs dabei. Ich habe mich aber auch mit anderen Mädchen geprügelt.
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Gina Carano auf der Pressekonferenz zu "Haywire"
Ricore: Haben Sie sich dabei mal verletzt?

Carano: Als professionelle Kämpferin habe ich mir ein paar kleine Brüche zugezogen. Aber ich bin fast schon lächerlich zäh. Die genetische Mischung meiner Eltern hat mich mit stabilen Knochen ausgestattet.

Ricore: Wie ist es, sich selbst auf der Leinwand zu sehen?

Carano: Ich habe den Film einmal zusammen mit meinen Eltern gesehen. Es ist seltsam, weil sie dich so gut kennen. Es ist schwer, sich in eine Figur hineinzudenken, wenn man den Schauspieler so gut kennt. Das ist eins der großen Probleme, wenn Sportler Schauspieler werden. Das ist interessant, wenn man den Film mit der Familie guckt. Die wissen, dass du eine Rolle spielst. Aber sie sind deine besten und schlimmsten Kritiker. Vielleicht sehe ich mir den Film in ein paar Jahren noch einmal an. Für den Moment reicht es.

Ricore: Was haben Ihre Eltern zu dem Film gesagt?

Carano: Sie meinten, ich hätte meine Sache wirklich gut gemacht. Mein Vater war sehr witzig. Ich habe im Film eine Kuss-Szene mit Channing Tatum. Mein Vater sagte im Kino zu sich selbst: 'Oh Gott, Gina, bitte mach sonst nichts mit ihm.' [lacht]

Ricore: Vor "Haywire" haben sie schon "Ring Girls" gemacht.

Carano: Das war im Grunde eine aufgeblasene Dokumentation. Sie haben einfach Kameras hingestellt und eine kitschige Story erfunden. Aber die Kämpfe waren alle echt. Ich würde das nicht als meine erste Schauspielerfahrung bezeichnen. Das ist dann doch "Haywire". In meiner Filmografie taucht auch "Blood and Bone" auf, aber da bin ich nur in einer improvisierten Kampfszene zu sehen. Das erste Mal, dass ich eine Rolle eingeübt habe, war mit Michael Fassbender. Ich kam nach Dublin, er hat mir einen Whisky hingestellt und gesagt: so machen wir das.

Ricore: Wie einschüchternd war es, mit einem so hochkarätigen Schauspieler wie Michael Fassbender zu proben?

Carano: Das wusste ich damals nicht. Ich kannte ihn nur als den heißen Typen mit dem großen Lächeln aus "300". Und jetzt höre ich seinen Namen in jedem Meeting in Hollywood. Besonders, nachdem er "Shame" gemacht hatte. Ich wurde noch nie so oft nach dem Penis eines Mannes gefragt [lacht].
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Gina Carano in "Haywire"
Ricore: Steht schon ein nächstes Projekt an?

Carano: Ja, ein Film namens "In the Blood". Ich habe gerade ein Angebot dafür bekommen. Das war toll, denn mein Agent meinte: 'Gina, 'Haywire' ist ein toller Job. Aber es wird viel schwerer sein, eine zweite Rolle zu kriegen.' Als mich John Stockwell gefragt hat, habe ich vor Freude Luftsprünge gemacht. Er hat eine Reihe von tollen Filmen realisiert und hat eine tolle Bilanz, was seine Arbeit mit Schauspielerinnen angeht. Gerade hat er mit Halle Berry gedreht. Ich werde nach Kalifornien gehen und mir einen Schauspiellehrer zulegen. Das Drehbuch zu "In the Blood" ist sehr cool und spannend. Ich kann es kaum erwarten, diesen Film zu machen.

Ricore: Ist es wieder ein Actionfilm?

Carano: Ja. Meine Figur hat eine schlimme Vergangenheit. Der Vater hat ihr das Kämpfen beigebracht. Nachdem er gestorben ist, heiratet sie einen reichen Mann. Im Urlaub gerät er in Schwierigkeiten - so ähnlich wie bei "96 Hours". Es ist eine tolle Geschichte.

Ricore: Mussten Sie sich zurückhalten, um Ihre Schauspielkollegen in "Haywire" nicht zu verletzen?

Carano: Ich glaube, es war okay, sehr körperlich zu sein. Man versucht ja nicht, dem anderen weh zu tun, sondern gemeinsam etwas Schönes zu schaffen. Wenn man einen männlichen Stuntman und einen männlichen Schauspieler zusammenbringt, kommen sich vielleicht die Egos in die Quere. Ich bin eine starke Frau, also war das okay.

Ricore: Welche Beziehung haben Sie zu Ihrem Körper?

Carano: Ich weiß nicht, wie es ist, wie eine zerbrechliche Frau behandelt zu werden. Obwohl ich das toll finde. Ich mag es, wenn ein Mann mich normal behandelt und den Arm um mich legt oder mich zur Seite zieht, wenn ein Auto kommt [lacht]. Das liebe ich, aber ich habe eben diesen Beschützerinstinkt in mir.
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Steven Soderbergh, Gina Carano und Antonio Banderas auf der Deutschlandpremiere von "Haywire"
Ricore: Gibt Ihnen Ihre physische Stärke Selbstsicherheit?

Carano: Ja, aber die größte Stärke ist oft zugleich die größte Schwäche. Das habe ich im Ring oft gemerkt. Wenn ich gegen jemanden gekämpft habe, habe ich mir dessen größte Stärke vor Augen geführt. Dann wusste ich, dass das Gegenteil davon seine größte Schwäche sein würde. Wenn eine Gegnerin viel Aufmerksamkeit sucht, dann weiß ich: das Schlimmste für sie wäre, wenn ihr etwas peinlich ist. Wenn jemand sehr stark ist, will er auf keinen Fall von einem hübschen Mädchen besiegt werden. Man versucht, etwas über die Menschen zu lernen. Und ich weiß, dass es bei mir nicht anders ist.

Ricore: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Carano: Nein - dann wüsste es ja jeder [lacht]...

Ricore: Welchen Typ Mann finden Sie attraktiv? Testosteronbomben wie Sylvester Stallone und Dolph Lundgren oder eher die Nerds wie Steven Soderbergh und Woody Allen?

Carano: Ich war nie mit einem großen Sportler zusammen. Ich hatte noch keinen Freund, der viel größer war als ich. Ich mag eher die kleinen, künstlerischen Typen. Ich fühle mich sehr zu witzigen Männern hingezogen.

Ricore: Also beschützen Sie die Männer?

Carano: Ich mag den Gedanken, dass mich ein Mann beschützen kann. Aber ich fühle mich zu Künstlern hingezogen. Wobei jeder ein Künstler sein kann. Man muss dazu in der Lage sein, sich auszudrücken. Kreative Menschen gefallen mir. Destruktive Menschen kann ich nicht leiden.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 7. März 2012
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Haywire (Kinofilm)
Söldnerin Mallory Kane (Gina Carano) arbeitet für ein Unternehmen, das geheime Aufträge für die Regierung ausführt. Nach einer Mission in Spanien muss sie erkennen, dass sie niemandem aus ihrem Team trauen kann. Auch ihr Chef (Ewan McGregor) scheint ein falsches Spiel zu spielen. Mit "Haywire" setzt Steven Soderbergh auf die Künste von Kampfsportlerin Gina Carano, wobei er deren schauspielerischen Defizite durch zahlreiche prominente Nebendarsteller ausgleicht.
Das sportliche Talent bekommt Gina Carano in die Wiege gelegt. Als sie 1982 geboren wird, spielt ihr Vater in der American-Football-Profiliga Blood and Bone". 2011 spielt sie die Hauptrolle in Steven Soderberghs Thriller "Haywire", den der renommierte Regisseur eigens für sie konzipiert hat.
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