Regisseure Olivier Ducastel und Jacques Martineau
Meeresfrüchte oder Früchtchen am Meer?
Interview: Ducastel und Martineau in Berlin
Ferien am Meer, sanfter Mistral, glitzerndes Meer: die besten Voraussetzungen für einen entspannten Familienurlaub. Doch die sommerliche Hitze nicht auch den Eros wecken würde. In heiter-beschwingten Tönen entwerfen die französischen Regisseure Olivier Ducastel und Jacques Martineau in Meeresfrüchte einen turbulenten Liebesreigen mit einer angenehm unkonventionellen Auflösung. Wir sprachen auf der Berlinale 2005 mit dem Regieduo.
erschienen am 19. 07. 2005
Glückliche Familie mit pikanten Geheimnissen
Ricore: Jeder lächelt in diesem Film. Und es gibt keine Bösewichte! War es schwer, ein Drehbuch zu konzipieren, in dem konventionelle Probleme nicht auftreten? Keine Eifersucht, kein Drama?

Olivier Ducastel: Das ist eher eine Frage für Jacques, glaube ich.

Jacques Martineau: Ja, so haben wir den Film entworfen. Wenn man einen Film dreht, muss man für gut anderthalb Jahre mit den Darstellern klar kommen, man muss sie lieben. Einen Bösewicht zu lieben hätte ein moralisches Problem dargestellt! Nein, mal im Ernst: wir haben schon drei Filme gedreht, und diesmal wollten wir einfach etwas Neuartiges machen. Einen witzigen, albernen, heiteren Film. Nur Glückseligkeit, so weit das Auge reicht.

Ricore: Wie teilten Sie die Regie-Arbeit auf?

Ducastel: Das werden wir oft gefragt, also habe ich eine frische Antwort für Sie vorbereitet: Jacques hat sich mit dem Schreibprozess sehr angefreundet. Ich nicht. Ich bin gut im Organisieren, in der Vorbereitung eines Drehs oder der Suche nach einem Set. Das stresst Jacques. Mich auch - aber nicht so sehr. Dazu kommt, dass ich mich besser mit den Darstellern verstehe. Jacques steht mir sehr nahe, also steht er den Schauspielern nahe. So schließt sich der Kreis! Nein, Valeria sagt, bei einem Dreh ist es in der Regel so, dass ein Regisseur sich entweder wie ein Vater oder wie eine Mutter benimmt. Und bei uns bekommt man alle beide! Nur wissen wir nicht, wer von uns die Mutter ist. Wir werden Valeria noch einmal fragen - aber ich habe Angst vor der Antwort!
Eine delikate Affäre?
Ricore: Wie kamen Sie auf Valeria? Wo lernten Sie sich kennen?

Ducastel: In einer Bar. (alle lachen) Nein, durch ihre Agenten. Wir haben das Drehbuch für Gilbert Melki geschrieben. Gilbert und Valeria haben die gleichen Agenten in Paris. Anfänglich dachten wir nicht an Valeria, weil sie damals erst 39 war. Bei der Rolle handelt es sich um die Mutter einer etwa 20-jährigen, erwachsenen Frau. Aber wir liebten Valerias Arbeit, und so kam es zu einem Treffen. In Paris herrschte Chaos, wegen der vielen Proteste, also kam sie zu spät. Doch wir glauben, dass es nur eine Ausrede war, denn Valeria kommt immer zu spät! Sie kam gerade vom Schwimmen und hatte noch nasses Haar, und wir waren sofort überzeugt: sie ist perfekt für die Rolle. Wir mussten uns Mühe geben, uns nicht sofort in sie zu verlieben.

Ricore: Hatten Sie von Anfang an als Drehort Marseille und das Mittelmeer vor Augen?

Martineau: Nein, in der ersten Version des Drehbuchs hatte Jacques einen anderen Ort im Sinn: Mont St. Michele. Dort an der Westküste ist ein Strom, der große Atlantik, die Landschaft ist vollkommen flach. Aber so etwas hatten wir schon einmal: bei "Jeanne et le garçon formidable" war es sehr wichtig für uns, im Winter zu drehen. Doch dann bekamen wir die finanzielle Unterstützung zum Sommer, und die Schauspielerin hatte nur im Sommer Zeit, und so mussten wir den ganzen Film anpassen. Im Nachhinein schien es uns unmöglich, dass die Handlung des Films im Winter hätte spielen können. So ist das - später erscheinen katastrophale Veränderungen als unbestreitbar korrekte Entwicklungen. So war das eben - das Mittelmeer war am Ende einfach die bessere Entscheidung. Doch das fiel uns erst im Laufe der Vorbereitungen auf.
Verteilte Rollen am Set
Ricore: Die Musik trägt viel zum Film bei. Sie trifft diesen wunderbar heiteren Ton, ist eine phantastische Inszenierung, die auch dem Berlinalepublikum sehr viel Spaß gemacht hat.

Martineau: Wir hatten die Idee, die musikalische Einlage am Anfang des FiIms zu platzieren - aber am Ende? Kann man das machen? Der Film ist nun mal kein Musical, und obwohl wir es unbedingt wollten das schien uns einfach zu gewagt. Bis wir uns einen bestimmten Film ansahen. Das ist auch kein Musical, doch das Ende war eine richtige Musicaleinlage und es hat wunderbar funktioniert. Wir waren begeistert und trauten uns dann, das gleiche in unserem Film zu verwirklichen.

Ducastel: Es gibt ein sehr berühmtes Lied von Brigitte Bardot, in dem "crustacés et coquillages" ("Krustentiere und Muscheln") als Textzeile vorkommt. Das französische Publikum wird den Bezug zwischen dem Film und der Musik nachvollziehen können. Wir arbeiten viel mit eigens komponierter Musik. Das ist schwer, denn man muss es ja zunächst schreiben, und das Publikum damit anfreunden. Wir haben aber glücklicherweise einen sehr guten Freund und Komponisten an unserer Seite. Wir arbeiten oft mit Freunden zusammen.

Ricore: Sie sagten einmal, das die schwule Musik der 1970er Jahre viel aufrichtiger war, dass man sich damals mehr mit den politischen Problemen des Schwulseins auseinandersetzte. In diesem Film geht es aber nicht um Politik - oder?

Martineau: Es gab schon immer Schwule in französischen Filmen. In der Vergangenheit dienten sie eher der Komik, man konnte sie nicht ernst nehmen. Schwule Figuren waren früher nicht unbedingt negativ - positiv waren sie aber keinesfalls. In den letzten zehn Jahren hat sich das geändert. Unser Wunsch ist es, schwule Figuren auf einer persönlichen, intimen Art einzubringen. "Jeanne et le garçon formidable" war schon ein sehr ernster Film. Die dramatischen Aspekte der Homosexualität wurden schon oft thematisiert - am Ende eines Film begeht ein Homosexueller Selbstmord und das Publikum denkt automatisch: "er ist gestorben, weil er schwul ist" Davon wollten wir uns entfernen. Wir zeigen ganz normale Menschen, die wie jeder andere Filmfigur sind, die nicht wegen ihrer Sexualität hervorstechen. Der nächste Schritt wäre, in ein paar Jahren vielleicht, einen Schwulen sterben zu lassen, ohne Stigma, ohne dass die Leute damit seine Sexualität in Verbindung setzen. Sie sollen wissen, dass er wegen der Geschichte stirbt, nicht weil er schwul ist!

Ducastel: Es gibt eigentlich nicht so viele schwule Filme aus Frankreich - aber doch ein paar. Meistens liegt das daran, dass die Regisseure schwul waren.
"Wir wollten eine Komödie machen, etwas Leichtes"
Ricore: "Meeresfrüchte" ist leichtherziger und vollendeter als ihre bisherige Arbeit. Wie vergleichen sie ihn mit ihren anderen Werken?

Martineau: Wir wollten eine Komödie machen, etwas Leichtes. Wir befassen uns mit menschlichen Gefühlen, nicht mit abstrakten Ideen oder Konzepten. Bei diesem Film ging es einfach um Glückseligkeit und Verspieltheit. Er ist sehr anders.

Ducastel: Als wir uns für diesen Film vorbereiteten, entschieden wir uns, etwas für ein größeres Publikum zu machen. Kein Mainstream-Film, aber schon ein wenig zugänglicher.

Ricore: Arbeiten Sie schon an einem neuen Filmprojekt?

Ducastel: Nein, noch nicht.

Ricore: Machen Sie eine Pause?

Ducastel: Wir nehmen uns nur etwas Zeit. Diesmal haben wir beschlossen, vor dem Kinostart unseren jetzigen Films nicht über den nächsten nachzudenken!
erschienen am 19. Juli 2005
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Meeresfrüchte (Kinofilm)
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