Senator Film Verleih
Wayne Wang am Set
Viele Kulturen, eine Persönlichkeit
Interview: Weltenbummler Wayne Wang
Wayne Wang ist ein Wanderer zwischen den Welten. In Hongkong geboren, als Teenager in die USA ausgewandert, fühlt er sich beiden Kulturen verbunden, ohne in einer komplett aufzugehen. Das hat auch sein Werk geprägt. Seine persönlichsten Filme handeln stets von Menschen, die auf der Suche nach Zugehörigkeit in einer für sie fremden Welt sind. Wangs "Der Seidenfächer" ist eine Variation dieses Themas. Das hochemotionale Melodram handelt von vier Frauen, die in einer feindlichen Umwelt eine innige Freundschaft eingehen. Filmreporter.de hat sich mit Wang unterhalten und ihn zu Freundschaft, China und die John Wayne-Begeisterung seines Vaters befragt.
erschienen am 30. 06. 2012
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Der Seidenfächer
Ricore: "Der Seidenfächer" beruht auf dem Roman "Snow Flower And The Secret Fan" von Lisa See. Was faszinierte Sie an der Vorlage?

Wayne Wang: Mich interessierten die Zeit und die Region, in denen der Roman angesiedelt ist. Auch Themen wie das Verbinden der Füße und die gesellschaftliche Stellung der Frau fand ich reizvoll. Schließlich fand ich die besondere schwesterliche Beziehung zwischen den Frauen interessant. Es handelt sich dabei um das so genannte Laotong-Ritual, bei dem zwei nicht miteinander verwandte Frauen eine innige Freundschaft eingehen. Neben den vielen Details reizte mich dieses universelle Thema der Freundschaft zwischen zwei Frauen.

Ricore: Ein Teil der Handlung von "Der Seidenfächer" ist im 19 Jahrhundert angesiedelt? Wie ausgeprägt war das Laotong-Ritual in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Chinas in dieser Zeit?

Wang: Das Laotong-Ritual wurde in der Region Hunan praktiziert. Es war wie auch die Geheimsprache, die die Frauen sprachen, typisch für diese Region in dieser Zeit. Im übrigen China gab es ähnliche Freundschaftsbünde zwischen Frauen, die aber anders bezeichnet wurden.

Ricore: Ist diese innige, vertraglich verbriefte Freundschaft zwischen den Frauen traditions- und gesellschaftsbedingt oder eine Frage des Geschlechts? Mit anderen Worten: Sind Frauen besser in der Lage, Freundschaften zu pflegen?

Wang: Männer sind sicher auch gute Freunde (lacht). Aber ihre Freundschaften haben eine andere Qualität. In der chinesischen Kultur sind die Männer Machos, für die Werte wie Ehre und dergleichen wichtig sind. Chinesische Männer sind ein bisschen so, wie sie Johnny To in seinen Gangsterfilmen zeigt (lacht). Die Freundschaft zwischen Frauen geht tiefer als der Ehrenkodex der Männer. Als Folge der gesellschaftlichen Unterdrückung, die Frauen in der Geschichte erfahren haben, sind sie viel mehr in der Lage, Freundschaft zu leben.

Ricore: Die Vorlage spielt ausschließlich in der Vergangenheit. Warum haben Sie in "Der Seidenfächer" eine Gegenwartsebene hinzugefügt?

Wang: Ich wollte nicht nur eine Geschichte über die Vergangenheit Chinas erzählen. Man hätte Themen und Motive wie das Verbinden der Füße oder die Beziehung zwischen den Frauen leicht missverstehen können. Ich wollte zeigen, wie China heute ist. Die Großstädte sind hier in vielerlei Hinsicht modern und weltoffen. Gleichzeitig sind die Chinesen sehr traditionsbewusst. Diesen Kontrast wollte ich in "Der Seidenfächer" herstellen.
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Bingbing Li in "Der Seidenfächer"
Ricore: Der Film wurde in Shanghai gedreht. Hatten Sie Probleme mit den örtlichen Behörden?

Wang: Sie waren sehr empfindlich, was die Darstellung der Beziehung zwischen den Frauen angeht. Sie hatten den Verdacht, dass sie sexueller Natur sei. Das ist ein sehr schwieriges Thema in China. Was das angeht, musste ich einen schmalen Grad gehen.

Ricore: Haben sich die Arbeitsbedingungen für Künstler in China in den letzten Jahren verbessert oder wird ihre Arbeit noch immer rigoros zensiert?

Wang: In vieler Hinsicht herrschen heute liberale Bedingungen, so dass es für Künstler einfacher geworden ist, zu arbeiten. Dann gibt es wiederum Situationen, in denen sehr schwierig ist. Aber das Gleiche würde ich auch über die Verhältnisse etwa in New York oder Los Angeles sagen. Dort bekommt ein Film schon deswegen keine Altersfreigabe, weil darin geraucht wird. Das ist für mich eine Form der Zensur.

Ricore: Im Westen kommt noch eine andere Art von Zensur hinzu, nämlich die des Kapitals.

Wang: Da stimme ich Ihnen zu. In China gibt es klare Regeln, an die man sich halten muss. Es wird einem gesagt, was man tun darf und was nicht. Im Westen kann ich sagen, was ich will. Nur kriege ich dann weder das Geld noch die Unterstützung, die ich brauche, um meine Ideen zu verwirklichen. Auch das ist eine Form von Zensur. Das kapitalistische System beruht darauf, dass das gefördert wird, was auch Geld bringt.

Ricore: Sie sind in Hongkong geboren und als Teenager in die USA ausgewandert. Wie ist ihr Verhältnis zu China heute und was hält man in China von Ihnen?

Wang: Man denkt in China, dass ich eine seltsame Mischung bin. Die Chinesen wissen nicht, wie sie mich einordnen sollen. Das liegt auch daran, dass ich mich auch als Regisseur zwischen den Welten bewege. Einerseits mache ich kleine, unabhängige Filme, andererseits kommerzielle, bei denen ich Kompromisse eingehen muss.
United International Pictures
Wayne Wang auf dem Set von "Noch einmal Ferien"
Ricore: Wie hat Sie die Tatsache, dass sie sich zwischen den Kulturen bewegen, als Mensch geprägt?

Wang: Mir gefällt es sehr, eine Mischung aus mehreren Kulturen zu sein. Ich habe dadurch den Vorteil, die unterschiedlichen Kulturen besser zu verstehen. Das ist heute etwas Modernes und Globales. Aufgrund der weltweiten Vernetzung mittels Internet und weil man heute einfacher zwischen den Ländern reisen kann, haben die Menschen einen einfacheren Zugang zu Informationen. Viele junge Menschen definieren sich dadurch, dass sie eine Mischung aus mehreren Kulturen sind. Wenn man sich München anschaut, so finden sich hier Menschen aus allen Teilen der Welt. Das Gleiche gilt für New York und andere Großstädte.

Ricore: Inwiefern findet sich diese Erfahrung in Ihren Filmen wieder?

Wang: Ich mache Filme über verschiedene Kulturen und Städte. Meine Filme handeln mal von Männern, mal von Frauen. Was die Geschichten verbindet, ist die Tatsache, dass die Figuren meiner Filme stets auf der Suche nach Liebe oder einem Platz auf der Welt sind. Sie sehnen sich nach einer Zugehörigkeit, einer Verbindung. Meine Filme sind sehr stark geografisch ausgerichtet. Das liegt daran, dass ich beruflich bereits in mehreren Ländern unterwegs war. Ich habe in Shanghai gearbeitet, in New York und in San Francisco. Vielleicht werde ich eines Tages auch in Deutschland arbeiten.

Ricore: Welche Filme haben Sie selbst am meisten geprägt?

Wang: Ich mag charakterzentrierte Geschichten über Familien. Das Werk von Yasujiro Ozu hat mich stark beeinflusst. In letzter Zeit habe ich mir auch einige Sachen von Akira Kurosawa angeschaut. Ich liebe Filme, die von der Verankerung des Individuums in der Familie, im Freundeskreis und in der Gesellschaft handeln. Auf diese Themen komme ich als Regisseur immer wieder zurück.

Ricore: In "Der Seidenfächer" taucht mitten im Film überraschenderweise Hugh Jackman in einer kleinen Rolle auf. Wie kam es zu dieser Besetzung?

Wang: Shanghai war früher eine internationale Stadt. Es gab französische, britische und deutsche Bezirke. Heute bewegt sich die Stadt in eine ähnliche Richtung. Im Rahmen meiner Recherche zu "Der Seidenfächer" fand ich heraus, dass das Milieu der Nachtclubs, Bars und Restaurants wesentlich von Australiern und Engländern beherrscht wird. Also sagte ich den Produzenten, dass ich einen australischen Charakter haben will, der in diesem Milieu verankert ist. Sie sagten mir, dass sie Hugh Jackman gut kennen würden und da er sehr an Shanghai interessiert sei, würde er vielleicht für einige Drehtage in die Stadt kommen. Ich war damit einverstanden. Ich wusste, dass Hugh gerne singt. Ich sagte ihm, dass er einen chinesischen Song singen müsse, also lernte er das chinesische Lied auswendig. (lacht)
Sony Pictures
Wayne Wang auf dem Set von "Manhattan Love Story"
Ricore: Und wie ist Ihr Urteil über seine Aussprache des Chinesischen?

Wang: Er hat es wirklich sehr gut gemacht. Es gab einmal eine Stelle, wo er ein wenig daneben lag. Daraufhin hat er sich hingesetzt, ist die Passage nochmal durchgegangen und hat beim nächsten Versuch alles richtig gemacht.

Ricore: Es ist allgemein bekannt, das Ihr Vater Sie nach John Wayne benannt hat, weil er ein großer Fan von ihm war. Wie ist Ihre Beziehung zu John Wayne?

Wang: In meiner Kindheit habe ich mir mit meinem Vater viele John-Wayne-Filme angesehen. Viele davon waren Western von John Ford. Ich war in diesen Filmen komplett verloren, weil ich sie nicht verstand. Ich sah nur einen großen muskulösen Mann. Mein Vater wollte unbedingt, dass ich Wayne heiße. Das Problem war nur, dass er kein chinesisches Wort fand, das wie Wayne klang. Das einzige, das dem nahe kam, war die Bezeichnung für eine Blumenknospe. Dieses Wort klingt aber sehr feminin. Noch heute halten mich die Menschen wenn ich in China bin für eine Frau, wenn sie meinen Namen hören. Das ist das Paradoxe an der ganzen Sache. John Wayne ist der Inbegriff für Männlichkeit, während das chinesische Wort für Wayne weiblich klingt (lacht).

Ricore: Aber Sie haben ihrem Vater diese Entscheidung niemals übel genommen?

Wang: (lacht). Mal ja, mal nein. Was speziell den femininen Klang des Namens angeht, so habe ich das erst in den letzten Jahren realisiert. Letztlich verhält es sich damit wie mit dem Jin und Jang in der chinesischen Kultur. Der Name ist eine gute Balance für meine Persönlichkeit.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. Juni 2012
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"Der Seidenfächer" handelt von zwei Frauen im China des 19. Jahrhunderts, die als Kinder Lotusfüße bekommen haben und durch einen Treueschwur Schwestern im Geiste wurden. Als sie wegen ihrer Zwangsheirat getrennt werden, bleiben sie im Geiste vereint. Ihre Geschichte verschränkt Wayne Wang mit der zweier Frauen in der Gegenwart, die als Jugendliche ebenfalls das Laotong-Ritual begangen haben. Auch deren Freundschaft wird durch einen Schicksalsschlag auf die Probe gestellt. "Der Seidenfächer"..
2024