Concorde Filmverleih
Tom Gerhardt in Siegfried
Tom Gerhardt über naive Helden
Interview: Deutscher Pessimismus macht mich fertig
Seit Tom Gerhardt vor etwa fünfzehn Jahren mit seiner obligatorischen Pudelmütze das deutsche Entertainment-Parkett betrat, trotzt er seinen Kritikern mit Kassenschlagern wie "Voll Normaal" und "Ballermann 6". Als ebenso wackerer wie tollpatschiger Recke "Siegfried" erzählt er in der acht Millionen Euro teuren Comedysaga die "einzig wahre Version" des Nibelungenlieds und setzt dabei auf typische Elemente aus seinen früheren Rollen. Wir trafen den 47-jährigen Komiker in Berlin.
erschienen am 1. 08. 2005
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Schicksalhafte Begegnung mit einem Schwein
Ricore: Herr Gerhardt, während deutsche Dramenregisseure ums Überleben kämpfen, locken leichte Komödien wie "((T)Raumschiff Surprise - Periode 1" und "7 Zwerge" ein Millionenpublikum in die Kinos. Woran liegt der ungebrochene Erfolg deutscher Komödien?

Tom Gerhardt: Die Komödie ist das einzige Genre, in dem wir zumindest annähernd mit den Amerikanern mithalten können. Für aufwendige Dramen oder Actionfilme fehlt uns einfach das Geld. Also versuchen wir uns an passenden Geschichten, mit denen sich jeder identifizieren und über die jeder lachen kann.

Ricore: Ihr neues Klamauk-Werk "Siegfried" ist mit acht Millionen Euro Budget allerdings recht teuer ausgefallen.

Gerhardt: Für deutsche Verhältnisse ist unsere Produktion ein regelrechter Ozeandampfer. Wir sind uns des Risikos durchaus bewusst. Es braucht schon eine ganze Menge Zuschauer, um diese Summe wieder einzuspielen.

Ricore: Welche typischen Tom-Gerhardt-Elemente erwarten den Zuschauer in "Siegfried"?

Gerhardt: Vor allem natürlich der naive Charakter von Siegfried. Frei nach dem Motto: Der Kluge denkt nach, der Doofe stürmt die Festung. Er hat den Körper eines Erwachsenen, aber den Verstand eines Fünfjährigen. Das erinnert mit Sicherheit ein wenig an Tommy, eine meiner vorangegangenen Rollen, allerdings geht Siegfried noch etwas charmanter zur Sache.
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Siegfried auf der Suche nach dem Drachen?
Ricore: Inwiefern?

Gerhardt: Dieses Mal setzen wir weit weniger auf Härte-Gags und Brutalo-Kracher, sondern mehr auf Liebenswürdigkeit. Er ist ein völliger Kindskopf, der in die große Welt marschiert und einer Frau hinterher rennt, die ihn ganz abscheulich findet. Die frohe Botschaft zwischen den Zeilen: Du kannst deine große Liebe bekommen, auch wenn sie dich hasst wie die Pest.

Ricore: Ihr Blödelimage hat sich über die Jahre zu einer ganz eigenen Sparte deutscher Comedy entwickelt. Können Sie sich das Phänomen erklären?

Gerhardt: Ich kam damals mit etwas sehr Neuem auf den Markt, etwas, das frech, unkonventionell und auch ein bisschen unverschämt war. So etwas hatte man einfach nicht erwartet. Das Konzept schlug ein wie eine Bombe, und "Hausmeister Krause" ist mittlerweile ein richtiger Klassiker.

Ricore: Trotzdem dauerte es Jahre, bis andere Kabarettisten Sie als gleichwertigen Kollegen akzeptierten.

Gerhardt: Die Bewegung kam aus dem Volk. Ich war damals sehr dreist und habe auf der Bühne regelrecht gewütet. Damit bin ich bei einigen natürlich angeeckt. Aber solange ich das Publikum auf meiner Seite hatte, sah ich keinen Grund, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Ricore: Das Drehbuch zu "Siegfried" haben Sie aber angeblich geschrieben, weil "Hausmeister Krause" Ihnen zu langweilig geworden war.

Gerhardt: An sich mag ich Krause immer noch gerne, aber wenn man immer den Loser gespielt hat, ist man über die strahlende Heldenrolle auch mal ganz froh - obwohl auch der Glanz Siegfrieds nicht unbedingt von seiner Intelligenz herrührt.
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Leichte Komödien locken das deutsche Publikum
Ricore: Inwieweit halten Sie sich bei der Verfilmung an eine werktreue Interpretation des Nibelungenlieds?

Gerhardt: Für das Drehbuch habe ich mich auf jahrelange Rechercheabenteuer begeben, um minutiös die Wahrheit ans Licht zu bringen. Vergessen Sie alles, was sie bisher über die Nibelungen zu wissen glaubten. Bei uns erfahren Sie, wie es wirklich war.

Ricore: Zum Beispiel, dass Siegfried seine "Heldentaten" in Wirklichkeit einem rosaroten Ferkel zu verdanken hat? Er hatte - so behauptet Ihre Version - einfach nur Schwein!

Gerhardt: Das Schwein bereitete uns beim Dreh manchmal echtes Kopfzerbrechen. Es rannte hierhin und dorthin, hatte keine Lust auf Schauspielerei und wollte meistens lieber Essensreste zusammenputzen. Und das, obwohl wir denselben fantastischen Schweinetrainer vor Ort hatten, der sich seinerzeit auch um Schweinchen Babe gekümmert hat.

Ricore: Warum haben Sie sich dieses Mal dafür entschieden, bei der Verfilmung Ihres Drehbuchs auf Ihren üblichen Co-Regieposten zu verzichten?

Gerhardt: Weil ich Regie nie wirklich gelernt habe und dieses Mal jemand gebraucht wurde, der das Timing präzise setzen und mit Routine durch das immense Drehpensum fegen konnte. Sven Unterwaldt, der schon bei "7 Zwerge - Männer allein im Wald" Regie geführt hatte, erschien mir dafür genau der Richtige. Ich habe mit meiner Schauspielerei schon genug zu tun.
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Tom Gerhard: am Ende muss die Story fröhlich sein
Ricore: Sind Sie Perfektionist?

Gerhardt: Ich versuche es zumindest. Aber Fehler zu vermeiden ist gar nicht so einfach. Denn egal wie schwierig die Entwicklung ist, am Ende muss die Story fröhlich, leicht und heiter dahinplätschern. Ich will damit nämlich ein Statement gegen den deutschen Pessimismus setzen.

Ricore: Sind Deutsche von Natur aus Misanthropen?

Gerhardt: Ich habe mir bei Freunden in einem kleinen brasilianischen Örtchen ein kleines Basislager aufgeschlagen, wo ich versteckt und in aller Ruhe an meinen Ideen arbeiten kann. Das Renten- und Gesundheitssystem funktioniert dort nicht richtig, ein Schulwesen ist nur in Ansätzen vorhanden - doch trotz all dem Chaos beklagen sich Brasilianer nicht und führen ein glückliches und gesundes Leben. Natürlich hat auch Deutschland massive Probleme, aber im Verhältnis gesehen jammern wir viel zu oft. Der deutsche Pessimismus macht mich richtig fertig.

Ricore: Sie selbst waren vor Ihrem Durchbruch Fabrikarbeiter, Lastwagenfahrer und freiberuflicher Journalist. Inwieweit helfen Ihnen diese Erfahrungen bei der Entwicklung Ihrer Proll-Comedy?

Gerhardt: Es ist gut, das mal erlebt zu haben. Ich musste mich mit allem Möglichen über Wasser halten. Zwischen meinem zwanzigsten und fünfundzwanzigsten Lebensjahr habe ich nur herumgetrödelt, und plötzlich kam das böse Erwachen. Meine Freunde fuhren bereits Mittelklassewagen, ich hatte noch immer mein Mofa. Ich bemerkte, dass ich jede Menge aufzuholen hatte, dass irgendwas an mir vorbeigegangen war. Also begann ich mit dem Journalismus, aber auch da war ich gelinde gesagt eher mäßig. Ich war zu ungenau bei der Recherche, nicht neugierig und einfallsreich genug. Wenigstens bin ich dadurch auf Hausmeister Krause gekommen. Ich arbeitete damals nämlich für kleine Vorortzeitschriften und berichtete von spießbürgerlichen Veranstaltungen in Dackelclubs und Taubenzüchtervereinen. Dieses Trauma musste ich ja in irgendeiner Art und Weise verarbeiten.

Ricore: Haben Sie Ihr Leben heute besser unter Kontrolle?

Gerhardt: Irgendetwas tief in mir wehrt sich gegen ein geordnetes Leben. Nicht nur, dass ich mir Termine schlecht merken kann, sie treiben mich fast schon zur Weißglut. Ich entscheide am liebsten spontan. Wie würde Siegfried jetzt so schön sagen? Du kannst das unendlich Böse nur besiegen, wenn du unendlich gut drauf bist!
erschienen am 1. August 2005
Zum Thema
Tom Gerhardt studiert Germanistik und Philosophie bevor er für verschiedene Tageszeitungen als Journalist arbeitet. Erst in seiner zweiten Karriere feiert er als Komödiant Erfolge. Von Jürgen von der Lippe wird der gebürtige Kölner 1988 für die Fernseh-Comedy entdeckt. Seine Paraderolle ist die Figur des prolligen, einfältigen Loosers Tommie, den er in "Voll Normaaal!" und "Ballermann 6" spielt. In der Serie "Hausmeister Krause - Ordnung muss sein" (80 Folgen in 8 Staffeln) spielt er von 1999..
Siegfried (Kinofilm)
Siegfried (Tom Gerhardt) ist ein ungewöhnliches Findelkind, das bei einem Schmied zunächst wohlbehütet aufwächst. Dass etwas mit ihm nicht stimmt, merkt jeder im Dorf. Der Junge ist ein Einfallspinsel, er verfügt auch als Erwachsener noch über die Gutgläubigkeit und Intelligenz eines Siebenjährigen. Er besitzt fast übernatürliche Kräfte - weiß nur leider nicht sie gezielt einzusetzen. Eines Tages sieht Siggi im Wald eine ausgesprochen attraktive Frau namens Kriemhild (Dorkas Kiefer). Verliebt..
2024