Sony Pictures
Stipe Erceg auf der Premiere von "Die Vampirschwestern" in Münche
Auch LKW-Fahrer sind Künstler
Interview: Stipe Erceg pfeift auf Schubladen
Spätestens seit "Die fetten Jahre sind vorbei" ist Stipe Erceg als Film- und Fernsehschauspieler gefragt. Privat sieht er eher selten fern, 'es läuft eh nur Blödsinn'. Auch davon, Kunst in Worte zu fassen, hält er nichts. 'Jeder definiert Kunst anders.' Teure Hotels und Ferraris seien für ihn bedeutungslos. 'Die [wohlhabenden Leute] sind doch alle kaputt.' Wer Erceg als liebevollen Vampir sehen will, kann dies jetzt in "Die Vampirschwestern" im Kino tun. Filmreporter.de hat Erceg ausgiebig befragt.
erschienen am 28. 12. 2012
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Blutsauger Stipe Erceg mit Ehefrau Christiane Paul in "Die Vampirschwestern"
Ricore: Geht mit der Rolle eines Vampirs ein Schauspielertraum in Erfüllung?

Stipe Erceg: (mit ironischem Unterton) Absolut! Ich habe schon überlegt, ob ich meine Schauspielkarriere nach diesem Film ausrichte. (wieder ernst) Ob wirklich ein Traum in Erfüllung geht, kann ich nicht sagen. Das Spannende ist, dass ich mich in dieser Rolle viel freier fühle, als bei Rollen, die mir nahe sind.

Ricore: Welche Charaktere haben Sie als Kind am liebsten verkörpert?

Erceg: Cowboy und Indianer natürlich. Ich war am liebsten der Indianer, weil alle anderen unbedingt Cowboys sein wollten. Ich fand Winnetou super.

Ricore: Sie haben zwei Kinder. Stecken die im Vampir-Hype?

Erceg: Dafür sind die noch zu jung. (mit verstellter Stimme) Außerdem dürfen meine Kinder kein Fernsehen...

Ricore: Aber Bücher lesen dürfen sie? Zum Beispiel "Die Vampirschwestern"?

Erceg: Ja, aber ich glaube das ist eher was für Mädchen. Meine Jungs lesen lieber "Räuber Grapsch".

Ricore: Ihre Kinder dürfen nicht Fernsehen sehen. Dürfen sie denn ins Kino gehen?

Erceg: Ja, mit mir zusammen schon - nein, meine Kinder dürfen auch Fernsehen. Aber ich möchte einfach nicht, dass sie von der Schule nach Hause kommen und sofort den Fernseher einschalten. Was soll das? Es läuft ja eh nur Blödsinn. Ich selbst schaue auch wenig. Aber Kino ist ja immerhin noch Kultur. Meine Kinder werden noch früh genug in das Alter kommen, wo sie sich das reinziehen, was sie wollen.
Ricore: Vielleicht müssten sie einen Sternenkrieger spielen, um ihre Söhne zu beeindrucken!

Erceg: Ja (lacht), Darth Vader! Der will jeder spielen... Ich auch (lacht).
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Stipe Erceg auf der Premiere von "Die Vampirschwestern" in Münche
Ricore: Bald kommt eine neue Star-Wars-Trilogie in die Kinos. Vielleicht klappt es ja mit einer kleinen Rolle!

Erceg: Das bezweifle ich.

Ricore: Warum eigentlich Darth Vader? Der ist doch der Bösewicht.

Erceg: Ja klar, der ist viel faszinierender. Zwiespältige oder böse Figuren ziehen uns an, sowohl Kinder als auch Erwachsene. Das ist einfach so.

Ricore: Der Vampir ist eigentlich ja auch böse. Aber Sie spielen einen guten...

Erceg: Ja, einen freundlichen Familienvater. Das musste ich so spielen (lacht).

Ricore: Wie waren die Flugszenen?

Erceg: Ich habe mir das Fliegen so wahnsinnig toll vorgestellt. Aber als wir gedreht haben, war es irre anstrengend. Wir waren in einem Korsett befestigt, Skywalker nennt man das. Damit kann man ca. zehn Meter gleiten. Physisch ist es total anstrengend die Balance zu halten.

Ricore: Es heißt, Sie hätten ein Faible für 'kaputte Rollen-Typen'? Trifft diese Aussage zu?

Erceg: Hm, ich weiß nicht. Ich verstehe zwar die Frage, aber ich kann keine befriedigende Antwort darauf geben, weil ich grundsätzlich eine andere Sicht auf Menschen und die Gesellschaft habe. In gewisser Weise sind wir doch alle kaputt. Der Mensch ist voller Dramen, Ängste und Zweifel. Ein Beispiel: Seit gestern Abend bin ich diesem Hotel. Heute Morgen sehe ich die anderen Gäste beim Frühstück, alle wohlhabend in einer scheinbar heilen Familie. Manche fahren sogar mit einem Ferrari vor. Ich beobachte also die Menschen und denke mir, die sind doch alle kaputt.

Ricore: Fühlen Sie sich in einer Umgebung, in der Menschen mit einem Ferrari vorfahren, wohl?

Erceg: Das will ich gar nicht bewerten. Aber ich fühle mich auf jeden Fall zu Hause wohler, in einer normalen Umgebung.

Ricore: Würden Sie auch privat in einem schicken Hotel einchecken?

Erceg: Nein, das ist doch viel zu teuer. Ich weiß gar nicht, warum man so viel Geld dafür ausgibt. Das ist doch absurd!
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Macht Stipe Erceg Michael Kessler in "Die Vampirschwestern" Angst?
Ricore: Welche Werte geben Sie Ihren Kindern mit?

Erceg: Liebe - was soll ich sonst sagen? Liebe ist das allerwichtigste im Leben. Für einen selbst, aber auch für meine Familie und für meine Freunde. Außerdem Respekt, auch vor Menschen, die mir nicht nahe stehen. Ich betrachte zwar einen Menschen, aber eigentlich ist das doch gar nicht der Mensch. Hinter diesem Menschen steckt etwas ganz anderes, etwas Formloses. Dahinter ist Liebe, dahinter ist Gott. Oft haben wir Menschen eine falsche Vorstellung von Liebe. Liebe ist nicht das Gefühl, das ich mit 16 Jahren hatte, als ich eine Frau gesehen habe. Das ist nur Begehren. Liebe ist weder kalt, noch warm.

Ricore: Wie feiern Sie das Fest der Liebe?

Erceg: Wir wollten Weihnachten eigentlich in Kroatien feiern, aber das haben wir schon letztes Jahr gemacht. Deswegen fahren wir dieses Mal zu meinen Schwiegereltern. Die haben eine große Familie mit vielen Kindern.

Ricore: Gehen Sie an Heiligabend in die Kirche?

Erceg: Ja, ich schon. Ob die anderen mitgehen, weiß ich nicht.

Ricore: Wie sieht es mit Geschenken aus?

Erceg: Natürlich wird es auch Geschenke an Weihnachten geben. Das ist besonders für die Kinder ganz wichtig. Es macht mir Freude zu sehen, dass die Kinder sich freuen. Besonders wenn man sie überrascht. Das habe ich als Kind auch oft erlebt. Ich habe mir mal eine Stereo-Anlage gewünscht, was meine Eltern ganz klar abgelehnt haben. Und was steht plötzlich unterm Weihnachtsbaum? Eine Stereo-Anlage. Das hat mich überrascht und hat ein richtiges Glücksgefühl in mir ausgelöst. Das vergisst man so schnell nicht.

Ricore: Können Sie sich auch heute noch über Geschenke freuen?

Erceg: Meine Frau fragt mich immer, was ich mir wünsche. Ich wünsche mir aber nichts. Was soll ich mir schon wünschen? Ich freue mich aber über die Geste. Sie schenkt mir dann nämlich doch was.

Ricore: Worüber genau würden Sie sich freuen?

Erceg: Zum Beispiel, wenn sie mir einen Porsche und eine Rolex schenkt (lacht)... Aber das können wir uns nicht leisten.

Ricore: Also Ferrari und teures Hotel nein, aber Porsche und Rolex sind ok?

Erceg: Ja, klar (lacht). Ich bin in Süddeutschland aufgewachsen. Ein Porsche ist deutsche Wertarbeit. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich habe auch meine Fehler und bin neidbesessen. Da mache ich mir gar keine Illusionen. Aber wenn ich das erkenne, kann ich damit auch leben. Ein Porsche wäre nur ein Spielzeug für mich. Dieser Porsche definiert mich nicht als Menschen.

Ricore: Was schenken Sie Ihrer Frau?

Erceg: Meiner Frau? Hm - ich schenke ihr Schmuck, das mache ich eigentlich immer. Meine Frau mag Ohrringe, Ketten oder auch Kleider.
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Die Vampirschwestern
Ricore: Sie wissen, welche Kleider Ihrer Frau gefallen? Oder müssen sie den Kassenzettel aufheben, um das Geschenk eventuell umzutauschen?

Erceg: Nein. Ich bin mit meiner Frau schon sehr lange zusammen und weiß, was ihr gefällt. Außerdem denke ich, dass ich keinen schlechten Geschmack habe. Meine Frau ist taktvoll genug, um mir zu sagen, dass es ihr gefällt (lacht).

Ricore: Hatten Sie dieses Glücksgefühl auch schon mal bei einer Rolle? Dass Sie erst dachten, aus dem Engagement wird nichts und dann hat es doch geklappt?

Erceg: Bei Castings denke ich oft, ich war scheiße. Und wenn es dann klappt, freue ich mich natürlich darüber. Aber das ist ein anderes Glücksgefühl als bei Geschenken. Als ich mit der Schauspielerei angefangen habe, habe ich mich oft über dieses Gefühl definiert. Ich bin auch heute noch nicht frei davon. Aber die Schauspielerei hat sich mit den Jahren verändert. Als Schauspieler ist man heute nur noch ein Produkt und wird auch oft so behandelt. Wenn ich als Schauspieler scheitere, interessiert niemanden, warum ich gescheitert bin. Man macht keinen Film oder Theaterstück für sich selbst, das ist Blödsinn. Man spielt für das Publikum. Leute wollen unterhalten und berührt werden.

Ricore: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie versagen?

Erceg: Das tut mir weh. Wenn ich versage, habe ich nicht begriffen, welche Verpflichtung ich in dem Moment habe. Die Schuld schiebt man dann auf andere, den Regisseur, das Drehbuch, die Umstände oder das Wetter. Aber das ist scheißegal. Ich bin verantwortlich dafür. Je älter ich werde, desto mehr begreife ich das und desto mehr Spaß macht mir der Beruf. Das macht für mich die Qualität aus. Als Kind hat man diese Erfahrung noch nicht. Für ein Kind ist alles so unmittelbar, es wird von der Freude des Geschenks überwältigt. Das kann mir aber nicht passieren. Schauspiel ist wie Mathematik, das muss man Schritt für Schritt aufbauen. Ob mir die Arbeit in dem Moment Spaß macht oder ob es mich berührt, ist scheißegal. Wichtig ist, dass es dem Zuschauer Spaß macht und es ihn berührt.

Ricore: Sind Sie über den Verlauf Ihrer Karriere glücklich?

Erceg: Glücklich weiß ich nicht... Gestern Abend habe ich solch einen Schrott im Fernsehen gesehen. Innerhalb von zehn Minuten habe ich bestimmt 30 Mal die Sätze "Ich hab das Glück, das machen zu dürfen" oder "Ich habe das Glück, dabei sein zu dürfen" gehört. Zu dürfen, was bedeutet das? Das ist so eine verlogene Bescheidenheit. Dieses Tiefstapeln macht mich so wütend. Darin liegt das Gefühl, über den anderen Menschen zu liegen.

Ricore: Hat sich der Wunsch, Schauspieler zu werden, schon früh bei Ihnen bemerkbar gemacht?

Erceg: Nein, eher nicht. Ich komme aus einer Gastarbeiterfamilie. Ich hätte lieber was Anständiges lernen sollen, hab ich dann ja auch gemacht. Das war das Beste, was mir passiert ist.

Ricore: Was haben sie Anständiges gelernt?

Erceg: Schauspielerei (lacht).

Ricore: Sind Sie der einzige in der Familie, der einen künstlerischen Weg eingeschlagen ist?

Erceg: Mein Vater ist LKW-Fahrer, der ist ein großer Künstler. Der parkt einen Schlepper von 30 Metern mit Anhänger über Rückspiegel in einer Zentimeter-Lücke. Außerdem hat mein Vater zwei Häuser gebaut und ist Hobby-Winzer. Meine verstorbene Mutter war Krankenschwester, sie konnte hervorragend mit Menschen umgehen. Die Frage ist doch: Was ist Kunst? Ich kenne die Antwort für mich. Kunst - Schmunzt - Geschissen drauf. Jeder definiert Kunst anders. Ein Damien Hirst-Totenschädel mit Diamanten für zehn Millionen? Ok, einverstanden. Wenn Leute dafür Geld ausgeben wollen. Ich verstehe ja die Provokation. Aber Van Gogh hat eine andere Qualität.

Ricore: Sehen Sie sich Ihre eigenen Filme an?

Erceg: Nein, ich sehe mir meine eigenen Filme nie an, außer ich werde zu einer Premiere gezwungen, so wie heute. Das ist keine Koketterie. Ich habe einfach Angst. Mich machen Menschen nervös. Das ist bei jeder zwischenmenschlichen Begegnung so. Gestern habe ich zum Beispiel eine Kollegin getroffen, die ich seit fünf Jahren nicht gesehen habe. Ich stehe gerade beim Bankautomaten, sie kommt aus der Tür raus und begrüßt mich. Das erste, was sie zu mir sagt, ist: "Wie siehst du denn aus?" Im Prinzip sagt sie mir damit "Du siehst scheiße aus!". Ich meine, ich habe davor zwei Stunden meditiert, ich war relaxed wie Buddha. Und dann sagt sie zu mir: "Ich hab dich neulich mit einem deiner Kinder gesehen, es hat ein Eis gegessen." Ich bezweifle, dass es vor einer Woche ein Eis gegessen hat, aber gut ok... "Und du mit deinem Handy am Ohr und einer Zigarette im Mund." Was sie mir damit sagen möchte, ist: "Du bist total gehetzt. Was machst du eigentlich? Ey come on...

Ricore: Wie lautet Ihre Antwort auf solch einen Vorwurf?

Erceg: "Lass mich in Ruhe! Wenn's mir scheiße geht, dann geht’s mir scheiße." Warum sagt sie nicht: "Hallo Stipe, schön dich zu sehen. Wie geht's dir?" Aber nein, erst mal mir eins auswischen wollen. Ich bin frei davon, aber trotzdem macht mich das nervös.

Ricore: Wie kommt das?

Erceg: Das ist in unserem Business leider so. Zuneigung zeigt man, wenn man was von jemandem will. Abneigung zeigt man, um sich selbst besser zu fühlen. Das mag ich nicht und deswegen gehe ich auch nie zu Premieren. Was soll ich denjenigen sagen: "Der Film hat mir nicht gefallen. Ich habe nichts geglaubt?" Deshalb bin ich lieber bei meiner Familie. Zusammen mit meinen Kindern und meiner Frau bin ich der glücklichste Mensch überhaupt.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. Dezember 2012
Zum Thema
Mit vier Jahren kommt der 1974 geborene Kroate Stipe Erceg mit seinen Eltern nach Deutschland. Später zieht es ihn nach New York, kehrt aber schnell wegen der Schauspielausbildung am Kiki und Tiger" von Alain Gsponer. Seinen Durchbruch hat Erceg 2004 in Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei", wofür er mit dem Der Baader Meinhof Komplex". Erceg ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Berlin.
Der Umzug aus Transsilvanien in eine deutsche Kleinstadt wird für die Vampirschwestern Silvania (Marta Martin) und Dakaria (Laura Antonia Roge) zu einer schwierigen Mission. Denn hier müssen sie ihre Identität geheim halten. Während die eine sich bald wieder in ihre Heimat in den Karpaten zurückwünscht, möchte die andere das menschliche Teenagerleben kennenlernen. Als sich ausgerechnet die Nachbarn als Vampirjäger entpuppen, ist es mit der Neugier vorbei. "Die Vampirschwestern" basiert auf der..
2024