Reverse Angels
Wird es schwieriger, Geld für Independent-Filme aufzutreiben?
Wim Wenders über sein Leben als Workaholic
Interview: Beinahe Großvater
Wim Wenders ist ein Visionär des europäischen Kinos. Er feiert 2005 seinen sechzigsten Geburtstag. Fast zeitgleich veröffentlicht der Wahlamerikaner sein neuestes Werk "Don't Come Knocking" und schildert darin die bedingungslose Selbstreflexion eines Cowboys. Warum sich der Film trotz des nachdenklichen Tons nicht allzu ernst nimmt und welche Parallelen Wenders zu sich erkennt verriet uns der Filmemacher in Cannes.
erschienen am 20. 08. 2005
Reverse Angle
Wim Wenders am Set von: Don't Come Knocking
Ricore: Herr Wenders, wie viel Persönliches steckt in Ihrem neuesten Film "Don't Come Knocking", in dem der gealterter Westernstar Howard Spence von einem Filmset Reißaus nimmt, um bei ehemals vertrauten Personen den Sinn des Lebens neu zu entdecken?

Wim Wenders: Bei meinem Dreh zu "Der Himmel über Berlin" ist mir Peter Falk auch ständig davongelaufen. Aber eher, weil er seiner Malerei nachgehen wollte und die Drehpausen immer für kreativen Ausflüge nutzte. Das Problem dabei: Er hatte keinerlei Orientierungssinn, zeitweise mussten wir ihm sogar Suchtrupps hinterherschicken. Darüber hinaus kann ich Howard aber sehr gut verstehen. Manchmal gibt es im Leben Wichtigeres als Filme. Er wacht eines Tages auf und erkennt, dass ihn niemand mehr vermisst. Dass ihm keiner nachtrauern würde, wenn sein Leben nun zu Ende wäre. Er, der Hauptdarsteller großer Filme, ist in seinem eigenen Leben zur Requisite verkommen. Eine schreckliche Vorstellung.

Ricore: Warum ist Howard in Ihrem Film Schauspieler? Hätte er nicht genauso gut Banker oder Architekt sein können?

Wenders: In der ersten Drehbuchfassung war Howard in der Tat als Geschäftsmann angelegt, aber Sam Shepard fand dazu keinen Zugang. Er schlug deshalb den gealterten Filmschauspieler vor, was eigentlich auch ideal zu unserer Thematik passt. Denn Schauspieler spielen ja im täglichen Leben mehr Rollen als alle anderen Menschen und laufen deshalb größere Gefahr, sich irgendwann selbst zu verlieren. Außerdem mag ich die Vorstellung, dass Howard einen völlig überholten Beruf ausübt. Denn für Westernstars ist im Hollywood der Neuzeit eigentlich kein Platz mehr.

Ricore: Gibt es im Filmsektor mehr Workaholics als in anderen Branchen?

Wenders: Wenn überhaupt, dann trifft das in erster Linie auf den Bereich der Regisseure zu. Ich zum Beispiel bin ein bekennender Workaholic. Schauspieler verstehen es dagegen in der Regel sehr gut, zu relaxen. Die Gefahr ihres Jobs kommt eher schleichend daher. Sie laufen Gefahr, dass die Rollen, die sie spielen, irgendwann Besitz von ihnen ergreifen. Wenn jeder vor dir einen Buckel macht, nimmst du dich auch zwangsläufig selbst zu ernst. Meistens haben Schauspieler ein enormes Problem mit ihrem Selbstwertgefühl. Stuntmen haben bei weitem nicht den gefährlichsten Job der Filmbranche.

Ricore: Für "Don't Come Knocking" haben Sie und Sam Shepard zum ersten Mal seit "Paris, Texas", Ihrem Welterfolg vor 21 Jahren, wieder zusammengearbeitet. Warum?

Wenders: Wir nehmen uns beide im Alter nicht mehr allzu ernst und ergänzen uns auch sonst wie die Faust aufs Auge. Ich habe keine Ahnung, was ich mit Pferden, Kühen und Fischen anstellen sollte. Und das sind - abgesehen von seinen Kindern und seiner Frau - die wichtigsten Dinge in Sams Leben. Ich dagegen kann nur Filme machen.
Ricore: Shepards Frau Jessica Lange spielt im Film eine von Howards ehemaligen Geliebten. Wer traf diese Entscheidung?

Wenders: Mir war von Anfang an klar, dass ich Jessica in dieser Rolle sehen wollte. Sam hielt es anfangs für keine so gute Idee, schließlich waren die beiden seit ihrem Auftritt in "Country" 1983 nicht mehr gemeinsam vor der Kamera gestanden. Damals wurde ihr erstes Kind geboren, und seitdem galt bei ihnen die Regelung, dass der eine arbeitet und der andere zuhause die Stellung hält. Schließlich kam es uns zugute, dass der Herstellungsprozess des Filmes sich um insgesamt dreieinhalb Jahre verzögerte. Die Kinder wurden älter, und auf einmal bekam ich von beiden die Zusage.

Ricore: Jessica Lange spielt auch in Jim Jarmuschs "Broken Flowers" mit, der dieses Jahr ebenfalls im Wettbewerb von Cannes läuft.

Wenders: Jim und mich verbindet eine ausgesprochen gute Freundschaft, die auf das Jahr 1984 zurückgeht, als er an der Croisette den Regiepreis und ich die Goldene Palme gewann. Jessica drehte seinen Film direkt im Anschluss an meinen, und als sie sich von mir verabschiedete, sprach sie davon, wie sehr sich unsere Drehbücher ähneln würden.

Ricore: In Ihrem letzten Film "Land of Plenty" übten Sie harsche Kritik an Ihrer Wahlheimat Amerika. Hat sich Ihre Wut inzwischen etwas gelegt?

Wenders: Amerika hat mich so enttäuscht wie kein anderes Land auf dieser Erde. Andererseits gibt es aber noch genug Facetten, die Amerika zu einem großartigen Ort machen. Die amerikanischen Landschaften hieven deine Story auf ein anderes Niveau, haben etwas Universelles an sich und sind vor allem eines ist: bigger than life! Ich drehe dort sehr gerne.

Ricore: Welche Region bevorzugen Sie als Wohnort?

Wenders: Derzeit das Niemandsland. Vor dem Dreh von "Don't Come Knocking" habe ich meine Wohnung in Los Angeles aufgegeben, in der ich acht Jahre lang gewohnt habe. Ich wollte eigentlich nach New York ziehen, fand dann aber keine Zeit für die Wohnungssuche. Also wurde alles in Kisten verpackt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich finde es selbst erstaunlich, wie wenig ich auf meine Habseligkeiten angewiesen bin. Aus dem Koffer lebt es sich ganz prima!
Ricore: Sie wurden im August 1945 in Düsseldorf geboren und sind somit eigentlich ein typisches Kind der deutschen Nachkriegszeit. Trotzdem scheint Sie die Geschichte Ihres Landes nicht allzu sehr zu interessieren.

Wenders: Ich bin Deutscher und wollte das auch nie verleugnen. Aber der einzige meiner Filme, der sich wirklich mit deutscher Geschichte beschäftigt, ist "Der Himmel über Berlin".

Ricore: Warum ist das so?

Wenders: Seit ich ein Kind bin, habe ich diese Aufbruchsstimmung, die mich immer wieder in fremde Länder getrieben hat. Ich war gerade mal zwölf Jahre alt, als ich meine ersten Auslandsreisen wagte. Ich konnte es gar nicht erwarten, aus Deutschland abzuhauen. Mein Freund Sam machte gestern in diesem Zusammenhang einen lausigen Witz. Er fragte nach dem Gegenteil von "Comedy". Als niemand die Antwort wusste, meinte er nüchtern: "Germany". (lacht)

Ricore: Sie erwähnten eingangs Ihr Leben als Workaholic. Erfüllt Sie Ihre Arbeit immer noch mit dem gleichen Feuer?

Wenders: (wird ernst) Jeder Workaholic muss sich irgendwann eingestehen, dass die Arbeit weit weniger wichtig ist als man es sich all die Jahre eingeredet hat. Erst im Alter erkennt man, was man dadurch verpasst hat. Allerdings wusste ich schon sehr früh, dass ich keine Kinder bekommen kann. Insofern komme ich schon damit klar.

Ricore: Haben Sie schon neue Pläne?

Wenders: Meinen nächsten Film möchte ich wieder in deutscher Sprache drehen. Als ich nach Los Angeles ging, hatte ich gar nicht die Absicht, dort so viele Filme hintereinander zu machen. Es ist einfach so passiert. Umso dringender wird es jetzt, mit meiner Kamera auf deutschen Boden zurückzukehren. Ich kann es gar nicht erwarten!
Ricore: Die deutsche Kinobranche jammert über schlechte Zeiten, Sie dagegen waren 2005 wieder in Cannes vertreten. Bekommen Sie inzwischen jede Ihrer Ideen produziert?

Wenders: Im Gegenteil! Es wird immer schwieriger, Geld für Independent-Filme aufzutreiben. Manchmal ist ein Regieneuling sogar im Vorteil, weil jeder Produzent gerne ein ultimatives Wunderkind entdecken möchte. Bei erfahrenen Männern wie mir weiß man dagegen, was man hat. Oft macht der Unbekanntere das Rennen. Der Independent-Sektor ist hart umkämpft.

Ricore: Was ist Ihnen bei einem Filmfestival wie Cannes am wichtigsten? Der Wettbewerb, die Anerkennung des Publikums, die Kritik der Presse?

Wenders: Ich bin kein besonders ehrgeiziger Typ, zumal ich hier in Cannes oft gegen einige meiner besten Freunde antreten muss. Wir sehen den Wettbewerb ein bisschen mit einem Augenzwinkern, obwohl wir großen Respekt vor der Instanz und dem verliehenen Preis haben. Bei der Galapremiere gab es für meinen Film am Ende zwanzig Minuten lang stehenden Applaus - das wiegt für mich jede Auszeichnung auf.

Ricore: Die Kritiken waren dagegen gespalten.

Wenders: Ich habe vor langer Zeit damit aufgehört, Kritiken zu lesen. Ich war früher selbst Kritiker, meine Hochachtung vor dem Beruf steht außer Frage, aber als Filmemacher bin ich daran nicht interessiert. Gute Kritiken machen mich hochnäsig, schlechte machen mich psychisch fertig. Also werfe ich von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Schlagzeile, achte darauf, wie groß der Artikel ist, aber vom Inhalt halte ich mich fern.

Ricore: Behalten Sie wenigstens den Überblick über die deutsche Kinobranche?

Wenders: Da bin ich sehr genau informiert und betrachte die Entwicklung wohlwollend. Es gibt ein paar sehr talentierte Filmemacher, von denen man noch viel hören wird. Fatih Akin und Tom Tykwer gehören dazu, bei ein paar Erstlingsregisseuren bin ich auf ihren zweiten Film gespannt. Ich bin inzwischen ja fast schon so etwas wie der Großvater der neuen Filmemacher. Als ich in dem Beruf Fuß fasste, kannte ich keinen, der so alt war wie ich jetzt. Nun bin ich immerhin schon sechzig Jahre alt. Zum Glück ist viel passiert.
erschienen am 20. August 2005
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