Universum Film
Sylvester Groth witzelt über die RAF in "Das Wochenende"
'Der Mensch muss selbstständig denken'
Interview: Sylvester Groths Ideale
Seit er in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" Joseph Goebbels spielte, ist Sylvester Groth auch international bekannt. In Nina Grosses "Das Wochenende" ist der Charakter-Darsteller an der Seite von Sebastian Koch, Katja Riemann und Barbara Auer zu sehen. Groth verkörpert in der Adaption des gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink einen Schriftsteller und Ex-RAF-Mitglied, der ein Wochenende mit einem aus dem Gefängnis entlassenen Genossen verbringt. Im Gespräch mit Filmreporter.de sinniert Groth über seine ideale Welt und verrät, ob sich politischer Aktivismus heute noch Sinn macht.
erschienen am 9. 04. 2013
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Nachdenkliche Barbara Auer und Sylvester Groth in "Das Wochenende"
Ricore: In "Das Wochenende" werden zwei unterschiedliche Lebensentwürfe gezeigt. Ihre Figur scheint einen dritten, intellektuellen Weg zu beschreiten?

Sylvester Groth: Ja, Henner ist Schriftsteller. Ich bin ja nun keiner, kenne aber einige. Schriftsteller wirken oft entrückter und arbeiten aus der Beobachtung heraus, aus der Distanz. Es hat mich interessiert, so eine Menschen darzustellen. Aus dem Film- Charakter wird man vielleicht nicht ganz schlau, aber er fasziniert.

Ricore: Das macht diese Beobachter-Figuren wie überhaupt Schriftsteller suspekt. Kann man sich auf solche Menschen vorbehaltlich einlassen?

Groth: Ich würde es tun. Das sind ja spannende Menschen. Henner ist es jedenfalls. Er ist da, wenn man ihn braucht. Mir gefiel die Figur sehr gut. Sie dann wirklich zu spielen ist aber nicht einfach. Vor allem wenn man wenig Material zur Verfügung hat. Henner hat keine großen emotionalen Momente, die haben eher die anderen Figuren. Er ist ein stiller Beobachter, vielleicht ein Mitläufer. Es gibt aber einen Grund, warum er in der Gruppe ist. Die anderen vertrauen ihm offensichtlich, sonst wäre er nicht dabei.

Ricore: Welche Stellung hat die RAF bzw. Jens in Henners Buch? Sieht er Sie als Teil der Geschichte oder benutzt er sie als Mittel, um für die Gegenwart Lehren zu ziehen?

Groth: Henner ist dabei, ein neues Buch zu schreiben und Material dafür zu sammeln. Er beobachtet, was passiert, wenn ein Mensch aus seiner Isolation in die heutige Welt zurückkommt. Erkenntnis gibt es bei ihm, was seine Person angeht, aber kaum. Er weiß, dass er mit dem Strom schwimmt und als Mensch ersetzbar ist, nicht jedoch als Schriftsteller. Ich glaube es liegen Welten zwischen Henner und den anderen Figuren. Für Jens zum Beispiel spielt die Ideologie eine große Rolle. Er fühlt sich verraten und kann die Vergangenheit nicht hinter sich lassen.

Ricore: Wenn man aus der Geschichte keine Lehren ziehen kann, hat politischer Aktivismus dann überhaupt noch einen Sinn?

Groth: Ja, wenn es den nicht mehr gibt, sind wir tot. Er ist zwar gefährlich, da er Menschenleben kosten kann, was immer schrecklich ist. Aber wenn man keine Grenzen überschreitet, wird es nie eine Entwicklung geben. Politischer Aktivismus ist unbedingt notwendig. Weil auch das Scheitern notwendig ist.
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Das Wochenende
Ricore: Glauben Sie daran, dass Revolutionen in westlichen Gesellschaften heutzutage möglich sind? Die Occupy-Bewegung scheint im Sande verlaufen zu sein.

Groth: Es kommt immer auf den Zeitpunkt an. Für manche Revolutionen ist die Zeit noch nicht reif. Aber wie schlecht es den Menschen wirklich geht, wird bald wieder ein großes Thema werden. Wenn es wirklich ans Eingemachte geht, werden die Menschen wieder wach und mobilisiert werden. Wir sind auf dem besten Weg dorthin.

Ricore: Wenn Sie Ihre ideale Welt beschreiben müssten, wie sähe sie aus?

Groth: Eine Welt, in der Menschen denken und sich nicht über das bloße konsumieren definieren; die freundlich sind und sich gegenseitig respektieren. Mittlerweile ist die Gesellschaft etwas weltfremd geworden, trotz der gewaltigen multilateralen Bindungen, die das ökonomische und politische Zusammenrücken ganzer Völkergemeinschaften heute ausmacht. Allerdings finde ich es schön, dass man wieder anfängt, miteinander Fähigkeiten und Erfahrungen direkt auszutauschen. Und natürlich wünsche mir eine Welt ohne Krieg.

Ricore: Wie haben Sie die Zeit der RAF persönlich erlebt?

Groth: Gar nicht. Da ich aus dem Osten komme, habe ich davon kaum etwas mitgekriegt. Die DDR hat zwar RAF-Mitglieder beherbergt, aber davon wusste ich damals nichts. Für mich war es damals eine kriminelle Bande, die aus politisch-ideologischen Gründen Häuser in die Luft jagte und Menschen erschoss. Den DDR-Regierenden waren sie allerdings sympathisch. Deswegen haben sie sie ja auch aufgenommen und ihnen andere Identitäten gegeben.

Ricore: Es wäre ja möglich, dass die RAF vom SED-Regime gegen die BRD instrumentalisiert wurde?

Groth: Das kann sein, dass die Entscheidungsträger Mitglieder der RAF dahingehend unterstützt haben, aber das müssen Sie Historiker fragen, die wissen, inwieweit es direkte Verstrickungen gab. Sie waren aber keine Helden, sie haben Menschen umgebracht.
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Sylvester Groth und Sebastian Koch in "Das Wochenende"
Ricore: Hatten Sie als junger Mensch innerhalb des SED-Regimes ein politisches Bewusstsein entwickelt oder zählte für Sie in erster Linie Kunst und Ästhetik?

Groth: Auf politisches Bewusstsein wurde damals sehr viel Wert gelegt. Mein erster, großer Kinofilm in der DDR setzte sich genau mit diesem Thema auseinander. Es ging um Schuld, Verantwortung und wie man sich selbst in gewissen Situationen verhält. Macht man mit oder entwickelt man eine eigene Meinung? Und was wird einem eine Entscheidung kosten? Ist man bereit die Konsequenzen zu tragen, den Preis dafür zu zahlen? Solche Fragen habe ich mir schon sehr früh gestellt. Ich habe früh begonnen, mich mit solchen Themen auseinander zu setzen, da sie mich sehr interessiert haben.

Ricore: Finden Sie, dass der ideale Film Menschen zum Denken und Handeln anregen soll?

Groth: Ja unbedingt, aber man möchte das Publikum natürlich auch unterhalten. Was sich nicht ausschließt. Das Ideal wäre, wenn jeder Zuschauer seinen eigenen Film sieht, sich selbst einbringt und seine eigenen Gedanken darüber macht. Das schafft man, indem man Charaktere und szenische Situationen künstlerisch so gestaltet, dass Spielraum für die Gedanken der Zuschauer bleibt. Die Zuschauer fangen dann selber an, die "Löcher" zu schließen. Man muss das Publikum einfach denken lassen. Und Denken ist eine schöne Form der Unterhaltung.

Ricore: Gibt es in Deutschland genug Filme diese Art?

Groth: Nein. Filme dürfen oft nicht zu anstrengend sein, meinen einige. Das funktioniert so aber nicht. Man sollte dem Menschen nicht das Denken abnehmen, er soll und will sich selbst seine Gedanken machen. Nur so entsteht der Dialog zwischen denen, die etwas machen und denen, die sich das dann anschauen.

Ricore: Andererseits wird das Kino, das zum Denken anregt, nicht aussterben. Wie Sie schon sagten, es kommt alles wieder.

Groth: Das stimmt. Der Mensch wird immer das Bedürfnis haben, etwas für sich Neues zu entdecken. Man wird erstaunt sein, worauf das Publikum freudig reagiert, wenn es gefordert und damit klug unterhalten wird. Man muss ihm die Chance geben, selbst zu denken.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 9. April 2013
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Sylvester Groth wird am 31. März 1958 in Jerichow geboren. Er studiert Schauspiel und Gesang an der Dani Levys "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" als Joseph Goebbels zu sehen. In Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" spielt er diesen Charakter 2009 ein zweites Mal. Neben seiner Schauspielkarriere spricht Groth viele Hörbücher ein.
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