Universum Film
Katja Riemann in "Das Wochenende"
'Es passierte einfach eine ganze Menge'
Interview: Katja Riemanns wilde Jugend
Nach einem turbulenten Karrierestart in den 1990er Jahren war es Anfang der 2000er Jahre um Katja Riemann stiller geworden. Sie widmete sich anderen Projekten, machte Musik und spielte Theater. Spätestens seit "Der Verdingbub" hat sie das Kino wieder. Noch etwas fällt seit der Schweizer Produktion auf. Riemann spielt zuletzt vornehmlich in kleinen künstlerisch ambitionierten Filmen. So auch in "Das Wochenende", der Adaption des gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink. Darin verkörpert sie die Ex-Freundin eines ehemaligen Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF). Im Interview mit Filmreporter.de spricht die 49-Jährige über ihre Einstellung zur RAF.
erschienen am 10. 04. 2013
Universum Film
Vermehrt anspruchsvollere Rollen: Katja Riemann in "Das Wochenende"
Ricore: Wie haben Sie sich Ihrer Figur in "Das Wochenende" genähert?

Katja Riemann: Drehbuchautorin und Regisseurin Nina Grosse brauchte eine Figur, die durch den Film führt. Bei Schlink ist die Figur, die ich spiele tot. Nina Grosse hat sie zum Leben erweckt, damit sie die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen kann.

Ricore: Was reizte Sie am Drehbuch?

Riemann: In "Das Wochenende" herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit. Was ja durchaus mit der Realität korrespondiert. Die RAF-Mitglieder reden ja bis heute nicht über ihre Taten. Diese Kommunikationslosigkeit fand ich sehr interessant. Und die Rolle, die ich spiele, Inga, sagt über sich selbst: "mir ist immer alles nur passiert, ich habe mich niemals wirklich entschieden." Das heißt, es gibt eine Ambivalenz in dieser Rolle, die es galt herauszuarbeiten, zu fassen, ohne zu illustrieren.

Ricore: Nina Grosse hat für jede Figur eine Biografie geschrieben. War das für Sie ebenfalls ein Leitfaden?

Riemann: Ich fand es toll, dass Nina das getan hat. Eigentlich ist das ungewöhnlich, weil das der Job des Schauspielers ist. Wir kannten nicht nur die Biografie unserer eigenen Figuren, sondern lasen auch die der anderen. Dadurch lernte jeder von uns den jeweils anderen Charakter kennen.

Ricore: Denken Sie sich für Ihre Figuren auch ein Leben aus?

Riemann: Ja, das hilft einem immer sehr.
Universum Film
Katja Riemann und Tobias Moretti vor einem schwierigen "Wochenende"
Katja Riemann: Kindheit in der 'bleiernen Zeit'
Ricore: Inga war früher mit dem ehemaligen RAF-Terroristen zusammen. Wie haben Sie persönlich die 'bleierne Zeit' erlebt?

Riemann: Ich war zwar noch ein Kind, hatte aber eine gewisse Sympathie mit diesen Gegenspielern. Auch in meiner Familie hieß es nicht, dass diese Menschen Mörder sind. Aus der ganzen Protesthaltung entstand letztlich die Partei der Grünen. Damit will ich nicht sagen, dass die Grünen die Weiterführung der RAF sind. Es war schlicht und ergreifend eine politische Zeit, aus der sich gewisse Wege entwickelten, die irgendwann zur Bildung einer Partei führten.

Ricore: Waren Sie in der damaligen Zeit politisch interessiert?

Riemann: Ja, ich war ein politisch sehr interessierter Mensch. Ich kann mich erinnern, wie ich einmal aus dem Unterricht geworfen wurde, weil ich eine "Stopp-Strauß"-Plakette trug. Wir lebten in einer politisierten Zeit. Wir besetzten Häuser, gründeten Jungzentren und schrieben politische Songs. Es passierte einfach eine ganze Menge.

Ricore: Ein Thema des Films sind die Ideale, welche die Kämpfer damals hatten und die Frage, ob man sich nicht doch lieber dem bürgerlichen Leben anpassen sollte. Konnten Sie sich als Künstlerin mit diesem Thema identifizieren?

Riemann: Ich denke, das ist nicht nur eine Frage, mit der Künstler konfrontiert werden. Es ist ein sehr menschlicher Konflikt.

Ricore: Im Film führt dieses Dilemma zur heftigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn.

Riemann: Ja, ich liebe diese Szene. Auch weil man sieht, dass der Sohn in seiner radikalen Art genauso ist, wie der Vater. Das wurde sehr klug umgesetzt und Robert Gwisdek, der den Sohn spielt, ist phantastisch.
Ascot Elite
Katja Riemann 2012 auf der Premiere von "Der Verdingbub"
Ricore: Gab es in Ihrem Leben nicht auch den Konflikt zwischen Beruf und Familienleben?

Riemann: Nein, diesen Konflikt hatte ich nie. Tut mir leid, wenn ich Sie mit dieser Antwort enttäusche (lacht).

Ricore: Hatten Sie jemals einen Lebenstraum, den sie für die Wirklichkeit aufgeben mussten?

Riemann: Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben wirklich einen großen Traum hatte. Ich wollte zwar mal Tänzerin werden, aber ich würde nicht sagen, dass das mein großer Traum war. Obwohl: einen Traum hatte ich wirklich. Ich wollte Deutschland verlassen und in Frankreich Karriere machen. Ich hatte die Möglichkeit, als Hauptdarstellerin in einem Kinofilm und einem Theaterstück in Paris mitzuspielen. Der Film wurde allerdings nicht finanziert und für das Stück war ich zu jung. Es wurde von außen entschieden, dass ich diesen Traum nicht verwirklichen konnte.

Ricore: Sind Sie heute glücklich darüber?

Riemann: Ich war damals sehr traurig.

Ricore: Wie konnten Sie Karriere und Kind unter einen Hut bringen, ohne etwas aufzugeben?

Riemann: Ich war jung genug, als ich Mutter wurde. Heutzutage ist man oft über 40, ich war 28, als meine Tochter geboren wurde. Wäre ich älter gewesen, hätte ich mich vielleicht zurückgezogen, um mich ausschließlich meinem Kind zu widmen. Damals habe ich das Theater verlassen, um in Filmen mitzuspielen. Paula kam eben immer mit zu den Dreharbeiten. Und meine Mutter. Ich hatte also immer meine Familie bei mir.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 10. April 2013
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