Movienet Film
Klaus Maria Brandauer ist Wilhelm Reich
Andersdenkenden eine Stimme geben
Interview: Klaus Maria Brandauer zeigt Flagge
Klaus Maria Brandauer hat in seiner Karriere schon einige zwielichtige Persönlichkeiten verkörpert, sei es fiktive oder historische Persönlichkeiten. Die Figuren in den Filmen des ungarischen Regisseurs István Szabó, darunter "Mephisto", "Oberst Redl" und "Hanussen" sind Beispiele hierfür. Sie handeln von Männern, die sich angesichts politischer oder institutioneller Macht entscheiden müssen, ob sie mit oder gegen den Strom schwimmen wollen. In dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Drama "Der Fall Wilhelm Reich" verkörpert Brandauer einen Wissenschaftler, der sich dagegen entscheidet. Im Interview mit Filmreporter.de hat Brandauer seine Beziehung zu dem Ausnahme-Wissenschaftler erläutert.
erschienen am 12. 09. 2013
Movienet Film
Klaus Maria Brandauer und Julia Jentsch in "Der Fall Wilhelm Reich"
Wilhelm Reich: Ich konnte ihn gleich gut leiden
Ricore: Herr Brandauer, hat Ihnen Ihr eigener Körper jemals im Weg gestanden?

Klaus Maria Brandauer: Sicher. Manchmal ist man nicht in der Kondition, in der man gerne wäre.

Ricore: Wie gehen Sie damit um?

Brandauer: Ich kann nichts dagegen machen. Ich schaue aus, wie ich ausschaue. Ansonsten habe ich eine hohe Meinung von diesem Klumpen. Er ist eine fantastische Einrichtung, eine großartige chemische Industrie und lange überlebensfähige Maschine, die so viel vereint. Wir haben nicht nur die Hypophyse, durch die wir essen, trinken und anderes Schönes machen können. Durch die Evolution haben wir auch ein Häubchen drüber bekommen, damit wir auch denken oder Fragen stellen können wie Sie: 'Steht Ihnen Ihr eigener Körper im Weg' (lacht). Manchmal, aber ich wüsste jetzt nichts Konkretes zu nennen.

Ricore: Wann haben Sie zum ersten Mal von Wilhelm Reich gehört?

Brandauer: In den 1960er Jahren. Damals war Reich so etwas wie ein Guru. Man konnte sich über ihn mit fast jedem unterhalten, der sich für Themen wie Gesellschaft, Gesundheit und Politik interessierte, die darüber hinaus gingen und nicht so leicht beweisbar waren. Also für Sub-Gedanken, die man hatte, ohne sie haben zu wollen, für Träume, usw. Reich wurde von den Flower-Power-Leuten genauso verehrt wie von dem Schriftsteller John Osborne. In Deutschland geht noch heute so manchem Grünen das Herz auf, wenn er Reichs Namen hört. Als man mir vor einigen Jahren angeboten hat, einen Film über ihn zu drehen, habe ich gesagt, dass mich das Thema sehr interessiert. Danach kam es nur auf das Drehbuch an.

Ricore: Hat sich Ihr Bild von Wilhelm Reich durch den Film verändert?

Brandauer: Nein, es hat sich verfestigt. Ich konnte ihn gleich gut leiden. Ich finde es nach wie vor erstaunlich, was man über ihn alles lesen kann, über den schrecklichen Kerl oder großartigen Guru, den Sexisten und Kommunisten, den Scharlatan und Nichtskönner, usw. Reich wird es immer geben - und zwar immer dann, wenn man auf der Suche nach einem Menschen ist, der sich nicht von dem Mainstream vereinnahmen lässt. Dafür ist Reich ein großartiges Beispiel.
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Jeanette Hain und Klaus Maria Brandauer in "Der Fall Wilhelm Reich"
Ricore: Hatten Sie nicht auch das Gefühl, dass er sich nicht genug verteidigt hat, um heil aus der Sache zu kommen.

Brandauer: Nein, heil konnte er da nicht rauskommen, nicht bei dieser Gegnerschaft. Das waren Mächte, die in der Regierung saßen, Mächte, die aus Europa herüberschwappten und von Anna Freud, der Tochter von Sigmund Freud, repräsentiert wurden, usw. Reich hat Freud irgendwann die Dienste aufgekündigt und ist weggegangen. Andererseits hing in seinem Bungalow in Amerika in fast jedem Zimmer ein Bild von Freud. Reich wusste, was er ihm zu danken hatte. Nein, Reich hat sich gewehrt, es war nur unmöglich, dem Druck standzuhalten. Als man in Deutschland seine Bücher verbrannte, ging er in die USA, wo er hoffte, 'Freedom' und 'Liberty' zu finden. Das Motto 'The Streets Are Paved With Gold' galt aber nicht für ihn.

Ricore: Reich war jemand, der gegen den Strom schwamm. Ist es etwas, womit sie sich identifizieren?

Brandauer: Ich gehöre auch nicht zum Mainstream. Man mag zwar anzweifeln, ob die Mehrheit Recht hat. Weil es aber die Mehrheit ist, muss man ihre Entscheidung akzeptieren. In meiner künstlerischen Arbeit bin zunächst auf der Seite derer, die nicht die Mehrheit hat. Das heißt nicht, dass ich denke, dass die Minderheit Recht hat. Aber man muss die Minderheit zu Wort kommen lassen. Das steht auf meiner Flagge und das sollte auf unserer aller Flagge stehen. Das gilt für Künstler wie für Sie Journalisten. Das hat auch Reich erkannt. Die Anfeindungen ihm gegenüber kamen nicht, weil er nicht zum Mainstream gehörte, sondern weil man ihn einfach nicht arbeiten lassen wollte. Was die einzelnen Organisationen mit ihm angestellt haben, das war die totale Schikane. Reich setzte auf Amerika große Hoffnungen aber die wurde sehr schnell zerstört.

Ricore: Sind Sie für Nichtrationales empfänglich?

Brandauer: Ich glaube auch an das Unwägbare. Ich war in Lourdes und war begeistert. Es ist unwahrscheinlich, dass man Samen im Schwarzwald findet, die es nur in Ägypten gibt. Und doch sind sie da. Was ist da passiert und warum haben die überlebt?

Ricore: Stimmt es, dass Sie von Regisseur Antonin Svoboda in den Prozess des Drehbuchschreibens eingebunden wurden?

Brandauer: Das ist ja nichts Neues. Ich bin von Anfang an ein Schauspieler gewesen, der nicht nur die Ideen anderer ausführt, sondern sich selbst einbringt. Sonst wäre das eine sehr unerwachsene Angelegenheit und ich könnte ich die jeweilige Rolle nicht so spielen wie ich das möchte, so authentisch und eben auch ausgewogen, wie möglich.
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Klaus Maria Brandauer in "Der Fall Wilhelm Reich"
Klaus Maria Brandauer: jedes Urteil wäre eine Anmaßung
Ricore: Es nicht selbstverständlich, dass Schauspieler das letzte Wort haben.

Brandauer: Es geht nicht um das letzte Wort, sondern um Mitsprache. Ich möchte so arbeiten, wie ich das für gut und notwendig halte und habe überhaupt keine Probleme, das im Voraus zu sagen.

Ricore: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie eine Kunstfigur oder einen historischen Charakter interpretieren?

Brandauer: Nein, man kann sich historischen Figuren ebenfalls nur annähern, im Film bleiben sie am Ende natürlich auch fiktive Charaktere. Wilhelm Reich ist dafür nur ein Beispiel. Statt Reich hätte ich auch Sokrates spielen können. Er hatte genau dieselben Probleme. Oder Hamlet! Der Kerl war ziemlich sinnlos unterwegs. Er war ein Mensch, der meistens gezögert hat. Wenn er dann gehandelt hat, dann meistens falsch. Mit jemandem wie ihm geht die Welt nicht weiter, aber dennoch gibt es genau Typen wie ihn, weil die Welt so ist, wie sie ist.

Ricore: Wenn Reich zum großen Teil Interpretation ist, warum haben Sie ihn dann in einen historischen Kontext gestellt?

Brandauer: Weil wir das wichtig fanden und es uns große Freude gemacht hat. Wenn es nicht wichtig gewesen wäre, hätten wir den Film auch in der heutigen Zeit ansiedeln können. Der Film sollte keine Ehrenrettung für Reich sein, sondern eine Erinnerung an ihn. Die Leute sollen wissen, dass es diesen Menschen gab. Dabei sollte die Erinnerung über eine Annäherung geschehen. Es war uns wichtig zu zeigen, wo der Druck herkommt. Wenn wir auch seine Jugend thematisiert hätten, dann wäre dieser Aspekt möglicherweise nicht so spürbar gewesen.

Ricore: Zwischen Interpretation und Wahrheit waren auch die Filme, die Sie mit István Szabó drehten.

Brandauer: Ja, "Mephisto", "Oberst Redl" und "Hanussen". Diese Filme sind mir sehr wichtig. Ihre Figuren stellen Prototypen bestimmter Verhaltensweisen dar. Oberst Redl zum Beispiel ist ein Loyalist, der sogar dem Bild des Kaisers an der Wand salutierte. Hendrik Hoefgen ist ein Opportunist. Wer auch immer das Vorbild zu dieser Figur ist, von mir wird keiner verurteilt. Ich habe nicht in der Zeit gelebt, in der "Mephisto" spielt, jedes Urteil wäre eine Anmaßung.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 12. September 2013
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Klaus Maria Brandauer bricht sein Schauspielstudium an der Klaus Mann-Buches "Mephisto". Als einer von wenigen österreichischen Schauspielern macht er sich auch in Hollywood einen Namen. In "James Bond 007: Sag niemals nie" spielt er den Rivalen des berühmten britischen Agenten. Für seine Darstellung in "Jenseits von Afrika" wird er für den Oscar nominiert als bester Nebendarsteller nominiert.
2024