Bayerischer Rundfunk
Meret Becker in "Tatort - Aus der Tiefe der Zeit"
'Im Theater fühlte ich mich sicher'
Interview: Tagträumerin Meret Becker
Meret Becker verkörpert mit Vorliebe exzentrische Außenseiter. Sie spielt des Öfteren Frauen, die einerseits rebellisch und aufmüpfig sind, andererseits sensibel und in sich gekehrt. Die sich im Abseits bürgerlicher Moralvorstellungen bewegen und dennoch einen festen Halt im Leben suchen. So auch in der BR-"Tatort"-Folge "Aus der Tiefe der Zeit". Darin ist Becker als selbstbewusste Frau zu sehen, die eine Beziehung mit zwei Männern hat und in einem tödlichen Korruptionsskandal verwickelt ist. Regie führt der renommierte Filmemacher Dominik Graf, mit dem Becker bereits zwei Mal zusammengearbeitet hatte. Im Interview mit Filmreporter.de spricht die 44-Jährige über ihre Kindheit, das Theater und ihren verstorbenen Stiefvater Otto Sander.
erschienen am 25. 10. 2013
Bayerischer Rundfunk/Frederic Batier
Meret Becker in "Tatort - Aus der Tiefe der Zeit"
Arsch auf Grundeis
Ricore Text: Wie kam Ihre Beteiligung an "Tatort - Aus der Tiefe der Zeit" zustande?

Meret Becker: Dominik Graf hat mich gefragt, ob ich mitmachen will. Ich sagte zu, bevor ich das Drehbuch gelesen hatte. Den Film hätte ich mit keinem anderen Regisseur gemacht. Als ich das Buch las, fragte ich mich schon, ob ich das spielen kann - ob ich mir das überhaupt zutraue. Ich musste echt schlucken und konnte es nicht glauben, was ich in dieser Rolle alles machen muss. Da ging einem schon der Arsch auf Grundeis. Die Frage, ob ich darin mitspiele, hat sich aber nie gestellt. Ich wusste, dass nur Dominik diese Geschichte erzählen kann.

Ricore: Was fanden Sie so befremdlich?

Becker: Ich las das Drehbuch und dachte: 'Was ist denn das für ein Quatsch?' Später fand ich einige Sachen wahnsinnig interessant. Zum Beispiel das Zirkus-Motiv. Dann begann ich, mir die einzelnen Fragmente der Geschichte genau anzuschauen. Ich stellte fest, dass der Film aus lauter Einzelfilmen besteht. Im Grunde hätte man aus der Geschichte mehrere Tatortfolgen inszenieren können. Das entspricht der Arbeitsweise Dominiks, der gerne collagenhaft arbeitet. Seine Filme haben oft mehrere Schichten, die dann in ihrer Summe ein bestimmtes Gefühl erzeugen. In "Aus der Tiefe der Zeit" wird eine Leiche in einer Baugrube ausgegraben, es modert also regelrecht unter der Oberfläche. Dann kommen andere Ebenen hinzu, die Nazi-Vergangenheit, das Zirkus-Motiv, Das Wild-West- Motiv und vieles mehr...

Ricore: Sie haben überhaupt eine große Affinität zum Zirkus. Vor anderthalb Jahren arbeiteten Sie an einem Zirkus-Programm. Was ist daraus geworden?

Becker: Ich machte mehrere Sachen in diese Richtung. Zum Beispiel ein Konzert, das viele Zirkus-Elemente vereinte. Dann war ich in einem Varieté tätig, wo ich bereits meine Luftnummer aufführte. Das Programm, das sie erwähnen, wollte ich irgendwann komplett umarbeiten und etwas ganz anders daraus machen. Jetzt bin ich damit an einem Punkt angelangt, an dem ich denke, dass ich es so machen werde, wie ich es machen will. Ich muss mich damit aber beeilen. Denn der menschliche Körper welkt und ist sterblich.

Ricore: Woher kommt die Faszination für den Zirkus?

Becker: Meine schönste Zeit als Kind verbrachte ich im Theater. Dort fühlte ich mich sicher. Dort galt ich als normal und wurde so angenommen, wie ich bin. Überall anders - in der Schule zum Beispiel - galten wir als merkwürdig. Im Theater gab ich mich ganz den Bildern hin. Ich sah Inszenierungen von Peter Stein, Tanzstücke von Pina Bausch oder die Sachen von Jango Edwards. Dann kam Bob Wilson, durch den mein Vater Otto [Sander] berühmt wurde, hinzu. Seine Inszenierung von "Death Destruction & Detroit" öffnete mir eine ganze Welt. Er schuf Bilder, in die ich einfach eintauchen und verschwinden konnte.

Ricore: War das Theater eine Flucht vor der Realität?

Becker: Das weiß ich nicht und ich will das auch gar nicht analysieren. Theater machte mir einfach Freude. Es war wie Tagträumen. Es machte etwas mit mir. Ich konnte mich der fiktiven Welt hingeben und fand darin meine Ruhe. Es war schön. Ich fühlte mich sehr wohl.

Ricore: Und vom Theater ist es zum Zirkus nicht weit?

Becker: Es ist auf jeden Fall eine Verwandtschaft vorhanden. Otto zum Beispiel machte viele Sachen, die zwischen Komik und Tragik pendelten. Später landete ich über das Singen im Varieté. Irgendwann merkte ich, dass ich allmählich in die Fußstapfen meiner Großmutter trete. Sie war ein großer Star im Zirkus und im Varieté. Auch mein Großvater kam aus der Branche. Er war Tänzer. Dieser Zirkus-Hintergrund hat die nachfolgende Generation maßgeblich geprägt. Meine Mutter war immer etwas anders als andere Schauspielerinnen, die sich alle von etwas befreien wollten. Bei meiner Mutter war das nie der Fall. Die Zirkusleute haben etwas Geerdetes an sich. Andererseits haben sind sie verspielt wie Kinder. Diese Mischung aus Intellektualität, Verspieltheit und Bodenständigkeit ist mir sehr vertraut.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 25. Oktober 2013
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Als Spross einer Künstlerfamilie steht für Meret Becker früh fest, dass sie Schauspielerin werden will. Mit 17 Jahren verlässt sie die Schule, um in die Fußstapfen der Eltern, ihres Steifvaters Otto Sander und ihres Bruders Ben Becker zu treten, die alle als Schauspieler tätig sind. Einen ihrer ersten Auftritte vor der Kamera hat sie an der Seite von Sander und Curt Bois im Fernseh-Film "Der Mond scheint auf Kylenamoe" (1981). Der Durchbruch gelingt der 1969 in Bremen geborenen Schauspielerin..
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