Wild Bunch
Jürgen Vogel
"Mir geht es nicht um die Rollen..."
Interview: Grenzgänger Jürgen Vogel
In seinem Thriller "Stereo" lässt Regisseur Maximilian Erlenwein mit Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu zwei der beliebtesten deutschen Schauspieler aufeinander los. Filmreporter.de traf Vogel im Rahmen der 64. Berlinale, auf der "Stereo" im Panorama lief, zum Interview. Ganz ohne Starallüren, so wie man ihn sich vorstellt, spricht der Charakterdarsteller über die Eitelkeit, erklärt, dass die Arbeit an einem Film wie eine gute Beziehung ablaufen sollte und gibt zu, dass er gerne mal eine romantische Komödie sieht.
erschienen am 21. 05. 2014
Wild Bunch
Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu kommen "Stereo"
"Moritz Bleibtreu ist genauso uneitel wie ich"
Ricore Text: Sie sehen ziemlich fit aus, wenn man bedenkt, dass gestern die Premierenparty von "Stereo" bei der Berlinale war.

Jürgen Vogel: Na, ich hab ja auch darauf geachtet, dass ich nicht zu viel trinke, weil ich ja wusste, dass ich am nächsten Tag arbeiten muss. Die Zeiten, in denen ich nach nur einer Stunde Schlaf mit Karnevalsperücke im Interview sitze, sind vorbei.

Ricore: Wie bitte?

Vogel: Ja, das war so, als ich das erste Mal in meinem Leben Karneval gefeiert hab. Mit Daniel Brühl in Köln. Der ist dann auch irgendwann verloren gegangen. Aber wir hatten Spaß.

Ricore: Jetzt sieht man Sie endlich mal mit Moritz Bleibtreu gemeinsam auf der Leinwand.

Vogel: Wir haben schon für Oskar Roehlers "Quellen des Lebens" zusammen vor der Kamera gestanden. Aber da spielte ich seinen Vater. Und wir haben da schon gesagt, dass wir mal richtig einen Film zusammen drehen müssten. Allerdings würde ich dann gerne anders aussehen, hab ich gesagt.

Ricore: Was schätzen Sie an ihm?

Vogel: Wir sind beide Fischköppe, kommen aus Hamburg, das verbindet schon mal. Und er ist genauso uneitel wie ich. Es ist ihm egal, ob ihm Rotz aus der Nase läuft. Es gibt nicht so viele Schauspieler, die gern an ihre Grenzen gehen. Moritz gehört dazu, das finde ich geil.

Ricore: Wie war es denn, ihn im Film im Rücken zu haben.

Vogel: Toll. Ich fand schon das Drehbuch von Maximilian Erlenwein toll und als dann auch noch klar war, dass er für die andere Rolle Moritz fragen würde, sagte ich, ja, mach das, das wird Moritz bestimmt machen. Das Drehbuch und der Film sind einfach ein Geschenk.

Ricore: Warum?

Vogel: Die Möglichkeit, eine Figur zu spielen, die sich in so einer Situation befindet, dieser Verdrängungsmechanismus, dass auch lange nicht klar ist, was in seiner Vergangenheit passiert ist, das ist für einen Schauspieler eine echte Herausforderung. Und dann ist da Moritz, der diese Person spielt, die ich nicht mehr loswerde.

Ricore: Was war die schwierigste Szene?

Vogel: Grundsätzlich ist alles, was in die Hose gehen und richtig peinlich werden kann schwierig, also alles, wo du dich richtig was traust. Sonst könnte es auch lächerlich wirken. Aber Max hat uns immer bei der Stange gehalten und angetrieben. Auch Kameramann Ngo the Chau ist ja nicht einfach nur ein Kameramann. Er ist ein Bildgestaltungskünstler, der sich auch für die Menschen interessiert, die sich in diesem Raum bewegen.
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Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu spielen "Stereo"
Jürgen Vogel in einer guten Beziehung
Ricore: Ist das nicht anstrengend, wenn neben dem Regisseur auch noch der Kameramann dazwischen quatscht?

Vogel: Nein, das ist wie in 'ner guten Beziehung. Leute auf gleicher Ebene sind gut. Eine Beziehung wird dadurch gut, dass sich zwei Leute auch die Sachen sagen, die zu sagen sind. Natürlich ebenbürtig. Das gilt auch für den Film.

Ricore: Stand der Filmtitel "Stereo" von Beginn an fest?

Vogel: Also der Arbeitstitel war erst "Schatten", aber das fand ich ein bisschen bedeutungsschwanger. Mit der Schreibweise und dem Bild find' ich das Plakat echt fett.

Ricore: Was hat Sie besonders an der Figur des Erik gereizt?

Vogel: An der Psyche des Menschen interessiert mich dieser dunkle Raum, den jeder hat. Aber das ist ein grundsätzliches Thema im Kino, wie bei "Wie ein wilder Stier", "Hexenkessel" oder "Die durch die Hölle gehen". Es gibt viele Filme, in denen Menschen an irgendwelchen Abgründen stehen. Wir gehen gerne auf eine solche Reise im Kino, vielleicht auch, um das stellvertretend erleben zu können. Um ein bisschen ein Gefühl dazu zu bekommen, wie es ist, so ein Grenzgänger zu sein.

Ricore: Das gilt ja auch für andere Bereiche.

Vogel: Ja genau, in der Musik, zum Beispiel bei Damien Rice. Der erleidet stellvertretend für dich, was du schon immer empfunden hast. Dadurch, dass er das singt, hast du das Gefühl, dass du nicht allein auf der Welt bist, dass du nicht allein diesen Mist empfindest.

Ricore: Gibt es eine Rolle, die Sie gerne noch spielen würden?

Vogel: Ja, einen Säugling (lacht). Mit dem Thema bin ich nach über 100 Filmen durch. Mir geht es nicht mehr um die Rollen, sondern um die Filme.

Ricore: Mit wem würden Sie sonst noch gerne drehen, außer mit Brühl und Bleibtreu.

Vogel: Ich dreh' mit allen! Das fand ich schon bei "Die Welle" so geil. Elyas und so machen ja jetzt alle Karriere. Ich fand das toll zu sehen, dass bei der nächsten Generation richtig gute Schauspieler dabei sind.
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Zärtlich: Petra Schmidt-Schaller und Jürgen Vogel in "Stereo"
Hollywood reizt mich gar nicht
Ricore: Wie sieht's aus mit Hollywood?

Vogel: Das reizt mich gar nicht. Natürlich gibt es ein paar amerikanische Regisseure, zu denen ich nicht nein sagen würde. Quentin Tarantino zum Beispiel. Der interessiert sich für die Leute, mit denen er arbeitet. Der guckt sich die Filme von denen an, überhaupt guckt er auch deutsche Filme. Er kennt alle Edgar-Wallace-Filme.

Ricore: Würden Sie gerne Regie führen?

Vogel: Nein, aber ich wäre gerne Autor. Zum Schreiben fehlt mir aber das Talent.

Ricore: Als Autor ist man doch sehr einsam.

Vogel: Das ist man als Schauspieler auch. Klar, wenn man seinen Text abliefert, sind immer Menschen um einen herum. Aber das Ganze vorher, die Auseinandersetzung mit einer Szene, findet allein statt. Das, was ich mache, wenn die Klappe geschlagen wird, habe ich vorher mit niemandem besprochen. Außerdem ist man bei Dreharbeiten weg von zu Hause, in irgendeinem Hotelzimmer.

Ricore: Sollten Filme ein gutes oder ein schlechtes Ende haben?

Vogel: Das kommt auf das Genre an. Wenn ich eine romantische Komödie sehe, finde ich es gut, wenn die sich am Ende dann haben, weil ich mir denke, dafür hab ich den Film doch ausgeliehen.

Ricore: Wie viel von Ihnen steckt in dieser Rolle?

Vogel: In jeder meiner Figuren steckt ganz viel von mir. Ich kann ja nur ich sein. Ich bin nur an mir selbst interessiert, das gebe ich auch zu. Ich darf das Schizophrene und Psychopathische ausleben und werde dafür bezahlt, das ist total geil. Mein großes Problem ist, dass ich alles verstehe. Deswegen hab ich auch Probleme mit Moral und der Verurteilung von irgendwelchen Sachen. Außer bei Politik, da kann ich mich echt aufregen. Die haben schließlich eine andere Aufgabe übernommen.

Ricore: Stimmt es, dass Sie während der Dreharbeiten einen Stuntman umgehauen haben?

Vogel: Ja, das stimmt tatsächlich. Wir trainieren schon ewig zusammen und er macht mit mir immer alle Kampfszenen. Und für den Film jetzt hatten wir uns natürlich besonders vorgenommen, dass alles absolut realistisch wirkt. Für die Szene war zuerst wichtig, dass der Schrank, der da steht, nicht kaputt geht. Aber dann hatten wir alles im Kasten und Max sagte, jetzt machen wir's noch einmal und der Schrank ist egal. Jetzt dürft ihr richtig Gas geben (an der Stelle springt Jürgen Vogel von seinem Stuhl auf und führt vor, wie die Filmschlägerei ablief). Der Stuntman hatte so eine Maske auf, die aber immer verrutschte, deshalb sah er kaum was. Dann gibt er mir eine mit dem Ellbogen, schön durchgekommen, ich fliege zurück auf den Arsch, die Kamera filmt das in einer Fahrt. Dann komme ich wieder zu mir, stehe auf gebe ihm auch voll den Ellbogen und er dreht sich und fällt. Und ich dachte schon, Mann, geil gespielt, was für'n geiler Move. Und dann lag er da und steht nicht auf. Und ich so, alles in Ordnung? Und er, jaja, geht schon, versucht aufzustehen und geht gleich wieder zu Boden. Irgendwas war mit der Maske. Die Sanitäter mussten ihm dann ein Stück von der Lippe abschneiden, damit die abgeht.

Ricore: Und die Szene ist im Film zu sehen?

Vogel: Ja klar, dieser K.O., wo der Kopf so wackelt. Sowas kann man ja auch nicht spielen. Das hat auch Spaß gemacht, so an die Grenzen zu gehen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. Mai 2014
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Stereo (Kinofilm)
In dem Thriller von Maximilian Erlenwein liefern Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu ihre bislang möglicherweise beste Vorstellung ab. Jürgen Vogel spielt einen Mann, der von seiner Vergangenheit - personifiziert von Moritz Bleibtreu - eingeholt wird. Der Film, der auf der 64. Berlinale in der Sektion Panorama das Publikum rockte, besticht durch seine spannende Story, die coole Optik und grandios besetzte Schauspieler. Gutes Genrekino aus Deutschland geht also doch!
Schauspieler und Sänger Jürgen Vogel wird als Sohn eines Kellners und einer Hausfrau in Hamburg geboren. Ohne Schauspiel-Ausbildung debütiert er 16-jährig in "Kinder aus Stein". Sein Durchbruch gelingt ihm mit Sönke Wortmanns "Kleine Haie". Im Interview mit Taxi Driver" und der Schauspielkunst Robert De Niros inspiriert worden zu sein. In Lars Kraumes halbdokumentarischem Musik-Film "Keine Lieder über Liebe" singt er in der eigentlich fiktiven Hansen Band. Die Band tourt zweimal durch..
2024