Rufus F. Folkks/Ricore Text
Nina Hoss auf dem Filmfest von Venedig, 2008
Heute kann man sich nicht sicher fühlen
Interview: Die Sorgen der Nina Hoss
Nina Hoss gehört zu den arriviertesten deutschen Theater- und Filmschauspielerinnen. Ihr Name steht für Anspruch. Mit Christian Petzold, einem Vertreter der Berliner Schule, verbindet sie eine kreative Partnerschaft. "Barbara", "Yella", "Jerichow" und "Phoenix" haben sie zusammen gedreht. Auf der anderen Seite gibt Hoss auch dem deutschen Genre-Film immer wieder eine Chance. Mit Dennis Gansel dreht sie etwa den Vampirfilm "Wir sind die Nacht", für Hendrik Handloegten steht sie beim Mysterythriller "Fenster zum Sommer" vor der Kamera. Nun ist Hoss mit Anton Corbijns "A Most Wanted Man" in einer englischsprachigen Produktion zu sehen. Darin spielt sie an der Seite Philip Seymour Hoffmans eine Agentin, die Jagd auf Terroristen macht. Im Interview mit Filmreporter.de spricht die Ausnahmeschauspielerin über die Zusammenarbeit mit Hoffman, die Qualität deutscher Komödien und staatliche Überwachung.
erschienen am 10. 09. 2014
Senator Filmverleih
Nina Hoss und Regisseur Anton Corbijn (im Hintergurnd stehend) auf dem Set von "A Most Wanted Man"
"Mich hat der Ansatz interessiert"
Ricore Text: Wie sind Sie Teil des beeindruckenden Ensembles von "A Most Wanted Man" geworden?

Nina Hoss: Regisseur Anton Corbijn ist ein Freund und wir hatten schon länger Lust, einmal zusammenzuarbeiten. Vorher kam es leider nie dazu. Nun hatte er diese Figur auf dem Tisch und schlug mir vor, ob wir den Film nicht zusammen machen könnten. Zum Glück hat auch zeitlich alles hingehauen.

Ricore: "A Most Wanted Man" ist kein klassischer Thriller. Corbijn zeigt die Spionagearbeit, wie sie tatsächlich gemacht wird. Hat man als Schauspieler bei einer realistischen, nicht dramatisierenden Herangehensweise an einen Stoff mehr Raum zur Entfaltung?

Hoss: Genug Raum hätte ich sicher auch bei einer klassischeren Form gehabt. Trotzdem hat mich der Ansatz interessiert. Der Film wirkt fast dokumentarisch. Die Geschichte wird sehr einfach und unglamourös erzählt. Damit habe ich auch gerechnet. Wenn man Antons Filme und das Buch von John Le Carré kennt, dann ist das keine Überraschung. Le Carré ging mit fundierten Wissen an das Thema heran, weil er selbst in dem Milieu gearbeitet hat. Es interessierte ihn, diese Welt zu zeigen, wie sie ist. Das macht auch der Film.

Ricore: Es geht um die Angst vor Terrorismus und der Notwendigkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzten. Dabei vermittelt "A Most Wanted Man" das Gefühl, dass die staatliche Paranoia überhand nimmt.

Hoss: Ich weiß nicht wie groß die Gefahr wirklich ist. Die letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass vieles von der Gefahr letztendlich nicht vorhanden war. Daher glaube ich immer nur die Hälfte von dem, was an die Öffentlichkeit tritt. Dazu gehört die Überzeugung, dass die Angst durch die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden nicht verringert, sondern geschürt wird. Damit sollen Dinge durchgesetzt werden, die andernfalls nicht so schnell durchgesetzt würden. Das muss in der Diskussion bleiben. Man muss die Mittel immer hinterfragen.

Ricore: Fühlen Sie sich im Angesicht der ausufernden Sicherheitsmaßnahmen - Stichwort Online-Überwachung - sicherer?

Hoss: In der heutigen Zeit kann man sich sowieso nicht sicher fühlen. Und das nicht nur wegen der Überwachung, sondern weil es an allen Ecken und Enden kracht. Das heißt jetzt nicht, dass ich in ständiger Angst lebe. Ich habe nur das Gefühl, dass wir bald nicht mehr so sicher leben können werden, wie wir das bis jetzt getan haben.

Ricore: Können Sie den Einwand einiger Kritiker nachvollziehen, dass "A Most Wanted Man" eine Fernsehästhetik hat?

Hoss: Nein, was soll denn daran Fernsehästhetik sein? Soll damit gemeint sein, dass der Film nicht genug Hochglanz und Action zu bieten hat...?
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Schauspielgrößen Philip Seymour Hoffman und Nina Hoss in "A Most Wanted Man"
Nina Hoss: unaufgeregtes Porträtieren des Alltags
Ricore: Das hat er tatsächlich nicht. Ist Ihnen zum Beispiel aufgefallen, dass während des gesamten Films kein einziger Schuss fällt?

Hoss: Das finde ich doch so interessant daran. Er lässt dem Zuschauer erstens Zeit zum Beobachten. Zweitens wird die Spannung durch andere Mittel erzeugt. Als Zuschauer möchte man die Komplexität der Sachlage durchschauen. Man möchte wissen, wer Recht hat, oder ob Günther Bachmann es schafft, sein Ziel zu erreichen. Außerdem kann man so vieles über unsere Zeit erfahren. Der Film hinterfragt unsere Zeit, er fragt, ob das, was wir von den Medien präsentiert bekommen, auch tatsächlich so ist. Dieses unaufgeregte Porträtieren des Alltags macht das Fernsehen sehr selten. Hier kann man nicht sehen, mit welcher Beamtenmentalität das Agentendasein einhergeht. Es ist sicher nicht so, wie man es in den "Bourne"-Filmen gezeigt bekommt. Agenten müssen nicht nur Kung Fu beherrschen, um ihren Beruf auszuüben. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist das Entschlüsseln, das Lösen von Rätseln. Darum geht es "A Most Wanted Man".

Ricore: Wenn man "A Most Wanted Man" etwas vorwerfen kann, dann ist es allenfalls seine Überbesetzung. Selbst die kleinsten Rollen sind mit hochkarätigen Schauspielern besetzt. Ist das nicht eine Verschwendung?

Hoss: Ich betrachte die kleinen Rollen eher als supporting acts. Den Begriff finde ich besser als Nebenrolle. Man darf nicht unterschätzen, wie ungemein wichtig zuspielende Rollen sind. Sie werden oft unterschätzt, dabei machen sie doch zum großen Teil der Atmosphäre und der Qualität eines Films aus. Wenn eine zu große Qualitätsdiskrepanz zwischen Haupt- und unterstützenden Darstellern besteht, funktioniert oft der ganze Film nicht. Je besser die sogenannten Nebendarsteller sind, umso glaubwürdiger wird der ganze Film. Und umso mehr Spaß hat man als Zuschauer.

Ricore: Auch Ihre Figur gehört zu den unterstützenden Charakteren des Films...

Hoss: Ja, aber deswegen habe ich das Argument nicht angebracht... (lacht)

Ricore: Nein, davon bin ich auch nicht ausgegangen... Obwohl es sich um eine vergleichsweise kleine Rolle handelt, besitzt ihre Figur Profil. Wie sind Sie vorgegangen, um Irna Frei Leben einzuhauchen?

Hoss: Mir war wichtig, dass man die große Vertrautheit zwischen Irna und Günther merkt. Die beiden sind ein Team, das durch Dick und Dünn gegangen ist. Sie sind einander sehr zugewandt. Auch privat stehen sie sich nahe, obwohl sie sich gegen eine enge private Beziehung entschieden haben. Irna bewundert Günther für seine Anarchie und Kompromisslosigkeit. Sie schätzt ihn dafür, dass er nicht korrumpierbar ist. Dabei bietet sie ihm mit einer gewissen Leichtigkeit ein Gegenpol zu seiner Schwere. Sie ist eine wohlsituierte Frau, die diesen Beruf eigentlich nicht hätte ergreifen müssen. Dennoch ist sie am Thema interessiert und entscheidet sich ganz bewusst für das nicht gerade ungefährliche Dasein einer Agentin und ist dabei hochprofessionell. Auf dieser Ebene begegnen sich die beiden Figuren. Das wollte ich zeigen und mein Glück war, dass ich das mit Philip Seymour Hoffman sehr unkompliziert umsetzen konnte.

Ricore: Wenn man sich über "A Most Wanted Man" unterhält kann man das Thema Philip Seymour Hoffman nicht übergehen, zumal der Film noch immer von seinem Tod überschattet wird. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ihm erlebt?

Hoss: Er hat mir die Arbeit unwahrscheinlich leicht gemacht. Unsere erste Begegnung war sofort sehr offen. Wir fanden sehr schnell eine gemeinsame Ebene, sprachen viel über Theater, worin er ja ebenfalls viel Erfahrung hat. Über unsere Figuren haben wir uns eigentlich nur sehr kurz ausgetauscht. Wir hatten ähnliche Gedanken, was das angeht. Er war ein ungeheuer faszinierender Schauspieler und Mensch.
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Herbert Grönemeyer, Nina Hoss und Anton Corbijn auf der Premiere von "A Most Wanted Man" in Berlin
Drehtag verlangt viel Kraft und Konzentration
Ricore: Laut Anton Corbijn soll er vor allem mit denjenigen Schauspielern Kontakt gepflegt haben, mit denen er auch vor der Kamera stand.

Hoss: Ehrlich gesagt, habe ich das nicht so beobachtet. Abgesehen davon wäre das auch nichts Ungewöhnliches. Als Schauspieler braucht man am Drehtag sehr viel Kraft und Konzentration. Vor allem wenn man den ganzen Film auf den Schultern trägt. Da kann man sich nicht auf alle Mitarbeiter einlassen. Teilweise sind bis zu 120 Menschen auf dem Set. Wenn sich Philip also abgeschottet hat, dann habe ich das nicht als etwas Besonderes wahrgenommen. Das kenne ich auch von anderen Schauspielern. Es ist eine Notwendigkeit, um in der Konzentration zu bleiben. Es hat nichts mit Unhöflichkeit und Unfreundlichkeit zu tun, sondern damit, dass man sich einen Schutzraum sucht.

Ricore: Nach dieser internationalen, englischsprachigen Produktion werden sicher die Fragen laut, ob Nina Hoss eine Hollywood-Karriere anstrebt. Ist das ein Thema für Sie?

Hoss: Darüber denke ich nicht nach. Meistens ergeben sich die Dinge einfach. Wohin sich die Karriere entwickelt, hat man als Schauspieler nicht wirklich in der Hand. Ich freue mich über jedes Projekt, das eine spannende Geschichte und großartige Kollegen hat. Woher dieses Projekt kommt, ist eine sekundäre Frage.

Ricore: Sie haben viele Filme mit schwergewichtigen Themen gedreht und Ihnen haftet die Aura des Ernsthaften an. Kann man sich auch eine komödiantische Nina Hoss vorstellen?

Hoss: Anders als beim Theater ist beim Film der Multiplikationsfaktor gegeben. Auf der Bühne habe ich durchaus schon die eine oder andere komische Rolle gespielt. Insofern wundert es mich, dass ich diesen Ruf habe (lacht). Abgesehen davon gibt es in Deutschland nicht so viele gute Komödien. Zumindest war von den Angeboten nichts dabei, das ich unbedingt machen wollte. Wenn ich im Gegenzug eine Geschichte angeboten bekomme, die mich fasziniert und ernsthafter ist, dann mache ich das. Was zählt, ist die Qualität eines Buches. Ich schaue nicht danach, ob es sich um einen lustigen oder ernsten Stoff handelt. Wichtig ist, ob ich mich mit einer Geschichte beschäftigen will und mich die Figur interessiert. Das kann durchaus auch komisch sein.

Ricore: Ist dieser Anspruch auch der Grund wieso Ihre Filmographie doch recht überschaubar ist? Oder sind Sie zu sehr in der Theaterarbeit eingebunden?

Hoss: Es ist eher Letzteres der Fall. Ich wollte immer Theater machen und habe mich dazu entschieden, fürs Theater zu arbeiten. Es ist meine Leidenschaft, genauso wie das Drehen. Dass ich beides parallel mache, führt eben dazu, dass ich nicht drei Filme im Jahr drehen kann. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich nicht genug Filme mache. Ich hatte und habe noch immer spannende Theater-Produktionen, die mich weiterbringen. Zugleich freue ich mich immer wieder auf die Filmarbeit, vor allem dann, wenn eine gute Geschichte vorliegt.

Ricore: Christian Petzold bietet Ihnen die Geschichten, für die Sie sich interessieren. Mit ihm haben Sie wiederholt zusammengearbeitet. Was hat er, was andere Regisseure nicht haben?

Hoss: Die Zusammenarbeit mit Christian ist sehr vertraut. Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein. Das heißt nicht, dass wir uns in und auswendig kennen, das wäre ja langweilig. Aber wir müssen uns nicht erst kennenlernen. Das hat den Vorteil, dass man nicht umeinander herumtanzen muss. Man kann viel offener sein und tiefer in die Geschichte vordringen. Hinzu kommt, dass ich bei Christian sehr früh in einer Geschichte eingebunden bin. Ich bin am Drehbuchprozess beteiligt, kann Dinge hinterfragen oder neue Ideen anregen. Das hilft mir auch schauspielerisch, weil ich nicht kalt starten muss, sondern mich schon im Voraus mit der Figur beschäftigen kann.

Ricore: Vielleicht kann Ihnen Herr Petzold ja eine Komödie auf den Leib schreiben. Wie ihr nächster gemeinsamer Film, "Phoenix" zeigt, ist er sehr Genre-bewandert. Der Film ist ein Genre-Mix, wie man es von ihm nicht erwartet hätte.

Hoss: Ich weiß nicht, ob Komödien sein Ding sind (lacht)... Aber ich lasse mich gerne überraschen. Man weiß ja nie.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 10. September 2014
Zum Thema
Als Flüchtling Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin) in Hamburg landet, gerät er ins Visier deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste. Auf deutscher Seite hat sich Güther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) des Falles angenommen. Obwohl er an der Schuld des Verdächtigen zweifelt, lässt er Issa observieren. Der soll ihn nämlich zum Geldgeber der Terroristen führen. Mit "A Most Wanted Man" hat Anton Corbijn einen hochspannenden Film über Terrorismusgefahr und Spionage im Kontext von 9/11 inszeniert...
Phoenix (Kinofilm)
Nina Hoss wird am 7. Juli 1975 als Tochter von Theaterintendantin Heidemarie Rohweder und Politiker Willi Hoss geboren. Bereits mit sieben Jahren sammelt sie Hörspielerfahrungen, mit 14 steht sie zum ersten Mal auf der Bühne. Nach ihrer Ausbildung an der Michael Thalheimer ("Emilia Galotti"), Barbara Frey ("Medea") Stefan Pucher ("Hedda Gabler") und Stephan Kimmig ("Der Kirschgarten").Joseph Vilsmaiers "Und keiner weint mir nach". Ihren großen Durchbruch feiert sie 1996 mit Bernd Eichingers..
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