academy films
Sänger im Ruhestand: George Michael
George Michael über seine neue Offenheit
Interview: Ich war nie ein guter Promi!
In den Achtziger Jahren war George Michael der schillernde Paradiesvogel der Popmusik. Zusammen mit Michael Jackson, Madonna und Prince prägte er das Jahrzehnt wie wenige andere Künstler. An die Regeln hielt er sich dabei nie: Er verfolgte immer seinen ganz persönlichen Stil, was teilweise soweit ging, dass seine Musikvideos wegen allzu pornografischer Zurschaustellung von Nacktheit zensiert oder gar nicht ausgestrahlt wurden. Sein Outing als Homosexueller geschah dagegen weniger freiherzig:
erschienen am 9. 11. 2005
In Concert: George Michael
Im Frühjahr 1998 wird Michael auf einer öffentlichen Toilette in L.A. wegen "unzüchtigen Verhaltens mit einem Mann" festgenommen. 910 Dollar und 80 Sozialstunden schenken ihm die Freiheit. Gesprochen hat er darüber nie. Bis heute. In der Dokumentation "A Different Story" erinnert er sich an seine letzten zwanzig Jahre und analysiert sich selbst. Warum der 42-Jährige sich plötzlich öffnet, erklärte er der versammelten Presse auf der Berlinale.

Ricore: Mr. George Michael, trotz des weltweiten Medieninteresses hielten Sie Ihr Privatleben in den vergangenen Jahrzehnten immer bedeckt. Warum?

George Michael: Meine Mutter war immer eine sehr private Frau, die nur selten Auskunft über sich selbst gab. Nach ihr habe ich mich mein ganzes Leben lang gerichtet. Meinen Freunden gegenüber war ich immer offen und ehrlich, aber mit den Medien hatte ich zugegebenermaßen meine Probleme. Es drang nicht sehr viel nach außen.

Ricore: Trotzdem war es die Presse, die Sie seinerzeit geoutet hat. Ist das Versteckspiel nun ein für allemal vorbei, oder warum geben Sie in "A Different Story" nun schonungslos Auskunft über Ihr Privatleben?

Michael: Alles fing mit einem ganz normalen Dokumentarfilm an. Erst als ich die ersten fertigen Aufnahmen sah, bemerkte ich, dass sich hier die Gelegenheit bot, einige Dinge klarzustellen. In den letzten Jahren gab es genug falsche Schlagzeilen über meine Person, ich war meinen Fans einfach die Wahrheit schuldig. Ich wollte erklären, warum ich so sporadisch arbeite und worum es in meinen Lieder eigentlich wirklich geht. Die letzten fünfzehn Jahre habe ich geschwiegen. Nun ist es an der Zeit zu sprechen.
academy films
George Michael ungewöhnlich offen
Ricore: Ein Rückblick als Selbsttherapie?

Michael: Ich habe diesen Film auch für mich gemacht. Ich wollte mit diesen Jahren ein für allemal abschließen. Die Zeit des Versteckens ist vorbei. Deswegen hatte ich auch kein Problem damit, diesen Film zu drehen. Was zum großen Teil sicherlich auch daran liegt, dass ich inzwischen einfach out bin.

Ricore: Was bedeutet das für Ihre Karriere?

Michael: Dass ich in Zukunft weniger auftreten und verstärkt hinter der Bühne arbeiten werde. Und ehrlich gesagt freue ich mich über diese Veränderung. Mit diesem Film schließe ich mein Leben im Rampenlicht vorläufig ab.

Ricore: Warum genau? Die Zeiten mögen sich geändert haben, Ihre Alben verkaufen sich trotzdem.

Michael: Wenn ich ehrlich bin, war ich nie besonders gut darin, ein Prominenter zu sein. Ich bin einfach nicht der Typ dafür - und meiner Gesundheit tut es auch nicht gut. Ich habe zwanzig Jahre versucht, diesen Standard zu halten. Ich habe mich regelrecht davor gefürchtet, eine weniger erfolgreiche Platte abzuliefern. Ich habe dafür viel Geld verdient, ja, aber diesen Stress brauche ich heute einfach nicht mehr.

Ricore: Wie viel von dieser Offenheit verdanken Sie Ihrem Freund Kenny Goss?

Michael: Die wichtigsten Anker in meinem Leben sind Kenny - und meine Musik. Allerdings könnte ich hier keine Reihenfolge aufstellen. (lächelt)
academy films
Aus: A Different Story
Ricore: Wie interpretieren Sie den Titel Ihres Films: "George Michael: A Different Story"?

Michael: Mir gefällt, dass er unterschiedliche Bedeutungen zulässt. Ich persönlich habe das Gefühl, dass mein Leben in gewisser Weise eine "Different Story" ist. Ich hatte mehr Glück, als man sich erhoffen - und mehr Pech, als man sich erträumen konnte. Mein Leben war eine Aneinanderreihung von Extremsituationen.

Ricore: Kann ein Musiker in heutiger Zeit überhaupt noch so eine schillernde Karriere erreichen, wie Sie es damals geschafft haben?

Michael: Die 1980er Jahre waren einen ganz besondere Zeit. Wichtige Themen kamen auf - und ich hatte das Glück, einer von nur vier oder fünf Musikern zu sein, die weltweites Interesse auf sich zogen. So etwas ist in der vielschichtigen Musiklandschaft unserer Zeit einfach nicht mehr drin. Alles hat sich in so unterschiedliche Bereiche aufgeteilt, dass eine derartig einheitliche Massenmedien-Popkultur wie damals einfach nicht mehr zustande kommen kann. Talent ist mit Sicherheit da, aber das System lässt eine zweite Madonna, einen zweiten Prince oder eben einen zweiten George Michael einfach nicht mehr zu.

Ricore: Was genau unterscheidet die heutige Musiklandschaft von damals?

Michael: Mein Genre ist tot. Es existiert einfach nicht mehr. Popmusik ist nur noch als Pop-Rock-Mix erfolgreich. Damals hast du als Musiker die Plattenfirmen abgeklappert, und wenn du ein Glückskind warst, hat irgendwann ein Mogul gesagt, dass du derjenige bist, der ab sofort Hits schreiben wird. Diese Macht haben die Plattenfirmen durch die verbreiterte Medienlandschaft an die Kids auf der Straße abgeben müssen. Es gibt genug Angebot, und deswegen entscheidet der Hörer einfach selbst. Eine neue Band muss heute erst mit Live-Auftritten von sich reden machen, bevor die Plattenfirma sie unter Vertrag nimmt. Dafür gibt es mehr als genug Beispiele: Oasis, Radiohead, Blur, Coldplay oder neuere Newcomer wie Keane. All das ist Musik, die von der Straße kommt und gerade deswegen so lebendig wirkt.
academy films
George Michael erzählt seine etwas andere Geschichte
Ricore: Trauern Sie der Popmusik nach?

Michael: Da gibt es nichts nachzutrauern. Ich würde mit niemandem zusammenarbeiten wollen, der heute noch in diesem Bereich arbeitet. Intelligente Popmusik war einmal. Deswegen ist Schluss. Wäre ich ein Mitglied von U2, würde ich mir noch den Kopf über diese Tendenzen zerbrechen. Die sind für mich nämlich eines der wenigen Beispiele, wie Bands trotz aller Widrigkeiten Ihre Integrität bewahren können. Bono kann wenigstens stolz sein, dass er im Pop/Rock Genre ganz oben steht. Aber mit wem soll ich mich denn bitteschön noch messen? Deswegen gieße ich meine Karriere in eine andere Form, von der ich immer noch nicht genau weiß, welche Konturen sie konkret annehmen wird. Aber gerade diese Freiheit ist das Schöne.

Ricore: Was denken Sie rückblickend über die Achtziger?

Michael: Dass die Mode hoffentlich nie wieder zurückkommt. (lacht) Mit etwas Abstand befürchte ich, dass ich mich damals ganz schrecklich gekleidet habe. Wie will man auch Modebewusstsein entwickeln, wenn man sexuell frustriert ist?! Ich war so etwas wie die männliche Kylie Minogue. Die fand ihren sexy Schliff nämlich auch erst heraus, als sie mit Michael Hutchins von INXS zusammenkam.

Ricore: Sie waren ein Mann der vielen Gesichter, eine Ikone, die zwanzig Jahre lang Popgeschichte schrieb. Welcher Moment war Ihnen am Wichtigsten?

Michael: Vielleicht als "Faith" auf den Markt kam. Da war der Kontakt mit den Fans irgendwie ein ganz besonderer. Aber eigentlich ist die wichtigste Musik für mich immer die, die ich als letztes gemacht habe, und die, die ich als nächstes machen werde. Das gilt auch für die Zukunft. Ich werde ja nie im Leben aufhören Musik zu machen. Das könnte ich gar nicht. Aber davon braucht die Öffentlichkeit ja nicht unbedingt etwas mitzubekommen.
erschienen am 9. November 2005
Zum Thema
George Michael hat ein Stück Popgeschichte geschrieben. Seine Karriere beginnt in den 1980er Jahren zusammen mit Wham!-Partner Andrew Ridgeley, mit dem er 1982 bis 1986 zusammenarbeitete. Zahlreiche Hits wie "Wake Me Up Before You Go Go", "I'm Your Man" und "Last Christmas" sind das Ergebnis dieser Schaffensperiode. Nach der Trennung des Duos ist Michael mit seinem Soloalbum "Faith" erfolgreich. Es verkauft sich allein in den USA acht Millionen Mal. Außerdem gewinnt er den begehrten Grammy...
Wer kennt nicht die berühmte Textzeile des Wham-Winterhits "Last Christmas I gave you my heart". Sänger dieser damals erfolgreichen Band war George Michael. Zum Ende seiner Karriere eröffnet er in der Dokumentation "George Michael: A Different Story" selbst die Geschichte seines Lebens. Seine Kindheit, die lange verheimlichte Liebe zu Männern, der Umgang mit dem Ruhm sind ebenso Themen des Films wie die wenigen Skandale. Natürlich kommen auch Weggefährten wie Elton John, Sting und Mariah Carey..
2024