Senator Film
Daniel Brühl in: Merry Christmas
Daniel Brühl über devote Schleimerei
Interview: Die Narrenfreiheit ist vorbei
Besser hätte es für Daniel Brühl nicht laufen können: anspruchsvolle Filmrollen, jede Menge Preise, eine Traumfrau als Verlobte, und von Skandalen keine Spur. Auch in seinem neuesten Film "Merry Christmas" läuft der 26-jährige Schauspieler als deutscher Leutnant Horstmayer zur Höchstform auf. Die Story der französisch-deutsch-englisch-belgisch-rumänischen Co-Produktion mag unglaubwürdig klingen - ist aber wahr.
erschienen am 24. 11. 2005
Senator Film Verleih
Unglaubwürdige aber doch wahre Geschichte: Merry Christmas
Weihnachten 1914, an der Westfront: Französische, britische und deutsche Truppen liegen sich seit Monaten in einem erbarmungslosen Kampf gegenüber. Als ein deutscher Tenor "Stille Nacht" anstimmt, ist der Hass gebrochen. Soldaten steigen aus ihren Gräben und feiern zwischen Kerzen und Tannenbäumen im Niemandland gemeinsam Weihnachten. Die "Verbrüderung mit dem Feind" alarmiert die Heeresleitungen. Erst vier Jahre und fünfzehn Millionen Tote später ist der Erste Weltkrieg zu Ende. In Cannes - wo der Film außer Konkurrenz seine Weltpremiere feierte - unterhielten wir uns mit Daniel Brühl über das ambitionierte Projekt.

Ricore: Zum ersten Mal spielen Sie nicht den netten Typen von nebenan...

Brühl: Es lag mir auch viel daran, endlich mal gegen meinen Typ besetzt zu werden. Der Leutnant war mir von seinem Naturell her völlig fremd. Ich habe nach meinem Abitur den Wehrdienst verweigert, weil ich Soldatentum und Kriege einfach nicht gutheißen kann. Umso schwieriger wurde es, mich in den Wahnsinn dieser Person hineinzufühlen. Ich ließ mir vor lauter Panik sogar einen Vollbart wachsen, um nicht zu jung auszusehen. Auch wenn ich danach eher wie ein Ire oder Schotte aussah, war es trotzdem eine gute Entscheidung. Ich habe Kriegsfotos von Siebzehnjährigen gesehen, die aussahen wie Ende Zwanzig.

Ricore: Hat man Sie mit dem Bart auf der Straße weniger oft erkannt?

Brühl: Hören Sie mir auf mit Eitelkeit und Berühmtheit! Vor zwei Wochen kam in Barcelona ein junges Pärchen mit Fotoapparat auf mich zu, und übereifrig wie ich bin, habe ich die junge Dame sofort in den Arm genommen. Dabei kannten die beiden mich gar nicht und wollten eigentlich nur, dass ich ein Foto von ihnen mache. Der Typ schaute ziemlich böse, und weil sie keine Deutschen waren, konnte ich mich noch nicht einmal erklären. Also stapfte ich mit hochrotem Kopf davon.

Ricore: Können Sie sich in der Öffentlichkeit noch frei bewegen?

Brühl: Das schon, nur scheine ich Tresenphilosophen förmlich anzuziehen. Vor allem im Berliner Nachtleben kann es manchmal echt stressig werden. Dann bestellen dir wildfremde Typen ein Bier und wollen sich mit dir unterhalten. Wenn ich es dann wage, zu meinen Freunden zurückzugehen, verändert sich die devote Schleimerei fast schon zur Aggression. Es ist echt seltsam, das manchmal zu beobachten. Ich habe mir mittlerweile zwangsläufig eine gewisse Härte angewöhnt, nur fällt mir die auch nicht besonders leicht.

Ricore: Keine Gespräche mit attraktiven Frauen?

Brühl: Doch, die können natürlich liebend gerne stundenlang erzählen. (lacht) Meistens sind es aber leider Jungs, die einen auf besten Kumpel machen wollen. Oft erzählen sie mir auch Monologe über ihr Leben und reden mir so lange eine Frikadelle ins Ohr, bis ich nicht mehr aufnahmefähig bin. Wenn ich dann gehe, heißt es nur: Langweile ich dich vielleicht?
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Zum ersten Mal gegen den Strich besetzt
Ricore: Diane Kruger, die im Film eine Opernsängerin spielt, kennt diese Problematik wohl auch zur Genüge. Sie beide haben in den letzten Jahren eine ähnlich rasante Karriere aufs Parkett gelegt.

Brühl: Weil sie lange Jahre in Paris gelebt hat, habe ich habe sie erst bei "Troja" zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Aber wir beide haben uns blendend verstanden. Sie ist vom Typ her dieselbe Giftschlange wie ich. Wir haben uns immer angestichelt und Witze gerissen. Diane hat einen super Humor.

Ricore: Wie lange dauerte die Verbrüderung mit den anderen Nationalitäten am Set?

Brühl: Für einen Kriegsfilm haben wir uns fast zu gut verstanden! (lacht) In der ersten Woche saß beim Essen noch jede Nationalität beisammen, später lockerte sich das aber sehr schnell auf. Für mich war der Dreh auch von der völkerkulturellen Erfahrung etwas ganz besonderes. Die französische Mentalität kannte ich schon etwas besser, aber dass Schotten unglaublich gesellige Menschen sind, die abends regelrechte Gesangsorgien veranstalten, war mir damals noch nicht klar. Die wunderten sich dagegen, warum wir Deutschen beim Singen immer so gehemmt waren.

Ricore: Ihre Karriere wird auch zunehmend internationaler. In welchem Land würden Sie gerne als nächstes drehen?

Brühl: Ich bin stark interessiert an französischen Filmen und hoffe, dass die Angebote nach "Merry Christmas" vielleicht etwas zunehmen. Ich habe Familie in Frankreich, und auch wenn ich die Sprache schon wieder etwas verlernt habe, könnte ich mir das nötige Wissen doch schnell wieder aneignen. Christian Carion, der Regisseur unseres Films, hat für seinen nächsten Film wohl schon konkretere Pläne mit mir. Näheres wollte er aber noch nicht verraten. Momentan bin ich mit den Dreharbeiten zu "Salvador" auch genug beschäftigt. Immerhin spiele ich zum ersten Mal in spanischer Sprache. Die Story handelt von dem letzten spanischen Anarchisten, der 1973 von Franco umgebracht wurde.

Ricore: Seit geraumer Zeit haben Sie auch einen amerikanischen Agenten. Wie interessiert ist Hollywood an Ihrer Person?

Brühl: Sie haben mit Sicherheit nicht auf mich gewartet, aber zumindest geben sie dir das Gefühl, dass es so wäre. (lacht) In meiner Agentur stapeln sich Drehbücher, nur fragt man sich schon manchmal, wie realistisch diese Angebote zu beurteilen sind. Einmal sollte ich laut Drehbuch einen 40-jährigen Texaner spielen, und als ich verdutzt in Amerika anrief, meinten die nur ganz salopp: Mach dir über Alter und Akzent keine Sorgen, das kann man noch alles ändern. Wenn eines Tages ein wirklich packendes Drehbuch kommt, will ich gerne meine Erfahrungen in Übersee machen. Bis dahin bleibe ich aber auch gerne in Deutschland und arbeite weiter an europäischen Filmen. Meine Leidenschaft dafür ist ungebrochen.

Ricore: Fällt es Ihnen schwer, Entscheidungen zu treffen?

Brühl: Es ist mitunter das Schwierigste in meinem Job. Bisher bin ich mit meinen Projekten sehr verwöhnt gewesen, irgendwie kam eines zum anderen. Aber eigentlich ist es völlig unvorhersehbar, wie sich ein Projekt entwickelt. Ich gehe auch grundsätzlich immer vom Schlechtesten aus. Jessica nervt das mittlerweile. Denn egal wie viele Zweifel ich äußere, die Filme laufen letzten Endes doch immer erfolgreich.
erschienen am 24. November 2005
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Daniel Brühl hat sich durch seine Rollenwahl früh den Ruf eines ambitionierten Charakterdarstellers gesichert. Dabei beweist er eine souveräne Uneitelkeit und stellt seine Figuren mit ungeheurer Leinwandpräsenz dar - und das ohne Schauspielausbildung. Salvador - Kampf um die Freiheit". Seine internationalen Produktionen umfassen "Die Gräfin" von Julie Delpy sowie Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds".Benedict Cumberbatch im Biopic "Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" zu sehen. Im..
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