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Vielseitig: Viggo Mortensen in Algerienwestern
Glück ist eine Illusion
Interview: Viggo Mortensen auf Camus' Spuren
"Der Herr der Ringe" ist lang, lang her. Nach dem Welterfolg von Peter Jacksons Fantasy-Epos bewegt sich Aragorn-Darsteller Viggo Mortensen wieder abseits des Hollywood-Mainstreams. Die Filme, die er mit David Cronenberg dreht - "Tödliche Versprechen" und "A History of Violence" - dazu internationale Produktionen wie "Jeder hat einen Plan", "Jauja" oder das auf dem Filmfest München 2015 gerade ausgezeichnete Drama "Den Menschen so fern" kreisen um existentielle Themen wie Tod, Gewalt, Menschlichkeit und Glaube. Filmreporter.de traf den dänisch-amerikanischen Schauspieler in München, wo wir mit ihm über existentialistische Philosophen und pragmatische Politiker gesprochen haben.
erschienen am 9. 07. 2015
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Viggo Mortensen
Jede Szene wurde für mich übersetzt
Ricore Text: Mr. Mortensen, Sie sprechen mehrere Sprachen. Sie in "Den Menschen so fern" Arabisch sprechen zu hören, war dann aber doch etwas überraschend.

Viggo Mortensen: Für mich auch (lacht). Zum Glück hatte ich vor den Dreharbeiten einige Monate Zeit, mich darauf vorzubereiten. Wir hatten einen algerischen Sprachtrainer, der mir und Reda Kateb jeden Tag zur Seite stand. Anfänglich hat er jede Szene für mich übersetzt. Später wurden wir spezifischer und ich musste den algerischen Dialekt lernen.

Ricore: Hatten Sie vor den Dreharbeiten eine Beziehung zum Werk Albert Camus?

Mortensen: Ja, ich habe seine Bücher schon als junger Mann gelesen. Ich mochte ihn sowohl als Schriftsteller als auch seine philosophischen Ideen. Die Weltanschauung und der Humanismus Camus' und seine Wertschätzung des freien Willens gefielen mir sehr. Auch mochte ich seine Abneigung gegen jegliches Schubladendenken. All das machte ihn zu einem der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts.

Ricore: Sie spielen in "Den Menschen so fern", einem Drama nach einer Erzählung von Albert Camus, einmal mehr den einsamen Helden. Wie kommt es, dass sie immer wieder an solche Figuren geraten?

Mortensen: Vielleicht ziehen sie mich einfach an. Wie viele Jungs hatte auch ich mir als Kind immer wieder vorgestellt, ein Forscher und Abenteurer zu sein. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch im Kern allein ist, egal ob er sich abseits der Zivilisation in einer Berglandschaft befindet oder umgeben von Menschen ist. Ob man in Beziehung mit anderen Menschen treten will oder sich lieber zurückzieht, ist eine Sache der Entscheidung. Der Mensch ist ein freies Wesen und er ist es umso mehr, wenn er seine Sterblichkeit erkennt. Camus war nicht der erste, der sagte, dass der Mensch sich der Angst vor dem Tod stellen muss, um wirklich frei zu sein. Auch Sigmund Freud sagte: Am besten bereitet man sich auf das Leben vor, indem man sich auf den Tod vorbereitet. Der Tod ist unvermeidlich, dieser Tatsache muss sich der Mensch stellen. Das ist ein Problem ohne Lösung (lacht).

Ricore: Man ignoriert die Tatsache des Todes um des Lebens willen...

Mortensen: Ja, Glück ist eine Illusion. Die Erkenntnis des Todes kann zu so vielen Reaktionen führen, wie es auf der Welt Menschen gibt. Ich kann durchaus nachvollziehen dass es Menschen gibt, die mit dieser Erkenntnis den Lebenswillen verlieren. Warum soll ich aus dem Bett steigen, wenn ich doch sterben werde? Warum soll ich ein Buch lesen oder mir jeden Morgen die Zähne putzen? Das kann ich verstehen. Dennoch: Es ist nicht wichtig, ob persönliches Glück erreicht werden kann, es kommt darauf an, dass man es versucht. Wichtig ist der Wunsch und der Wille zum Glück. Davon handelt auch der Film: von der Wahl des Lebens anstelle des Todes.

Ricore: "Den Menschen so fern" ist eine weitere internationale Independentproduktion, an der Sie mitwirken. Wollen Sie Hollywood den Rücken kehren?

Mortensen: Nein, in den vergangenen Jahren hat es durchaus interessante Rollenangebote gegeben. Ich konnte sie allerdings nicht annehmen, weil ich die Filme beenden musste, die ich angefangen hatte. Es hätte auch anders kommen können. Hätte ich vor drei Jahren bei einem Studiofilm zugesagt, hätte ich mich dafür verpflichtet und die Independent-Projekte außen vor lassen müssen. Es hat sich so ergeben. Ich wähle meine Rollen nicht nach den Kategorien Studio-, Independent-, nordamerikanische oder internationale Produktion.
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Cowboy Viggo Mortensen ("Den Menschen so fern")
Viggo Mortensen: man kann immer Nein sagen...
Ricore: Abseits des Mainstreams bewegen Sie sich auch als Schriftsteller und Betreiber eines Verlages für Kunst und Lyrik.

Mortensen: Die meisten Bücher, die wir herausgeben, bringen kaum Geld ein. Dennoch wollen wir eine gute Arbeit abliefern. Unser Ziel ist es, Bücher herauszubringen, die sonst nicht publiziert würden. Wir wollen die Arbeiten auf eine Weise präsentieren, wie sie es verdienen. Es geht um die Visionen der Künstler, ohne dabei Kompromisse zu einzugehen.

Ricore: Geben ihnen Erfolge wie "Der Herr der Ringe" die Freiheit für solche wenig rentable Projekte?

Mortensen: Ja, das war großes Glück. Es ist schön, Glück zu haben, doch man sollte es auch ausnutzen. Als ich die Chance bekam, mit David Cronenberg zu arbeiten, packte ich sie beim Schopf. Besser so, als wenn ich fünf, sechs Comicverfilmungen in Folge gemacht hätte. Vielleicht hätte ich dabei sogar Spaß gehabt, wer weiß. Aber das fand ich einfach nicht interessant. Ich mache gerne Filme, die ich selber gerne sehe. Mit dem Erfolg von "Der Herr der Ringe" hatte ich die Chance, Sachen auszuprobieren, die ich mir sonst gerne im Kino ansah.

Ricore: Stichwort Comicverfilmungen: Kommt ein Schauspieler heutzutage tatsächlich an Comicveriflmungen vorbei?

Mortensen: Klar, man kann immer Nein sagen (lacht).

Ricore: Haben Sie schon mal Nein gesagt?

Mortensen: Ja, ich hatte einige Angebote. Das war aber in Zeiten, in denen ich bereits bei anderen Projekten eingebunden war. Die Tatsache, dass ich bis jetzt in keinen Comicverfilmungen mitgewirkt habe, war also keine Sache der Entscheidung. Ich konnte einfach nicht.
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Viggo Mortensen in "Den Menschen so fern"
Konflikte resultieren aus mangelnder Kommunikation
Ricore: In "Den Menschen so fern" geht es um den Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen. Ein aktuelles Thema…

Mortensen: Ja, es geht darum, dass sich Daru in Mohameds Perspektive versetzen muss und dabei dessen Weltsicht zu schätzen lernt. Obwohl er in derselben Region geboren und gelebt hat wie Mohamed und als Lehrer Umgang mit arabischen Kindern hatte, sind ihm die Werte und Lebensansichten des Mannes zunächst fremd. So geht es uns mit allen Menschen, denen wir im Leben begegnen. Egal welche Vorurteile wir über jemanden haben, immer gibt es eine Seite an diesem Menschen, die einen überraschen kann. Indem sich Daru gegenüber Mohameds Welt nicht verschließt und sich mit ihr auseinandersetzt, lernt er auch etwas über sich selbst. Das ist der eigentliche Sinn der Kommunikation. Wenn man sich dafür entscheidet, das Gegenüber wahrzunehmen, lernt man auch etwas über die Welt und über sich selbst. Wenn man sich gegen die Kommunikation entscheidet, lernt man nichts.

Ricore: Das kann man auch auf die großen Konflikte unserer Zeit beziehen.

Mortensen: Ja, die Konflikte, die Abgrenzung der Kulturen voneinander nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa, Nordamerika oder auf der ganzen Welt resultieren aus mangelnder Kommunikation. Die meisten Politiker haben nicht einmal Interesse daran, dass die Kulturen aufeinander zu gehen, weil es ihnen um Machtgewinn und Machterhalt geht. Wenn man das Geheimnis der friedlichen Koexistenz herausfinden würde, würden sie überflüssig werden. Davor haben sie Angst.

Ricore: Das klingt ganz schön desillusioniert...

Mortensen: Man wäre wahnsinnig, wenn man das nicht wäre. Man wäre schlicht taub und stumm, würde man die Ereignisse auf der Welt sehen und dabei nicht die Illusionen verlieren. Nehmen Sie zum Beispiel die Flüchtlingspolitik. Die Menschen werden nicht aufhören, aus ihren Ländern zu fliehen, so lange es in den Zielländern Arbeit gibt. Das liegt in der Natur der Dinge. Früher gingen Menschen aus Bolivien, Argentinien und andern Ländern aus Südamerika nach Spanien, um Arbeit zu finden und Familien zu gründen. Als die Wirtschaftskrise 2007, 2008 ausbrach, gingen sie wieder zurück. Diese Tendenz wird es immer geben. Doch die Politiker versuchen, das Flüchtlingsproblem mit Regeln und Gesetzen in Schach zu halten. Dabei geht es ihnen doch nur um Wahlen, Profit und darum, andere Menschen vom Geld verdienen abzuhalten.

Ricore: Obwohl sie einen Abschluss in Politik haben, werden wir Sie in Zukunft wohl nicht als Politiker sehen.

Mortensen: Ich paraphrasiere Albert Camus, den man gefragt hatte, ob er sich eine Laufbahn als Politiker vorstellen könnte. Seine Antwort: Ich könnte kein Politiker werden, weil ich den Tod meines Kontrahenten weder fördern noch akzeptieren könnte.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 9. Juli 2015
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Der dänisch-US-amerikanische Schauspieler wird am 20. Oktober 1958 in New York City geboren. Den skandinavischen Namen verdankt er seinem dänischen Vater. Im Jahr 1982 beginnt er eine Schauspielkarriere am Theater. Bald darauf gibt er sein Leinwanddebüt und überzeugt Publikum und Kritik gleichermaßen. Weltweite Bekanntheit erlangt Mortensen als Aragon in "Der Herr der Ringe". Danach widmet sich der Schauspieler vermehrt Independent-Produktionen.David Cronenberg hervor. "Tödliche Versprechen"..
David Oelhoffen adaptiert die Erzählkonventionen und Strukturen des Western für ein Überlebensdrama in der menschenleeren Steinwüste. Nicht Ruhm, Ehre oder die Verteidigung der Familie und die Durchsetzung des Gesetzes als klassische Western-Werte stehen inhaltlich im Focus. Eindringlich stellt die vor grandioser Kulisse entstandene Parabel die Frage nach dem Wert eines Menschenlebens und der Möglichkeit, sich in einem Konflikt rauszuhalten.
2024