farbfilm verleih/Robert Palka
Jonas Nay in "Unser letzter Sommer"
Beim Joggen einiges durch den Kopf gegangen
Interview: Jonas Nays Umgang mit dem Schrecken
Guido liebt Jazz-Musik und wird für diese Leidenschaft in den Krieg geschickt. Ein guter Soldat ist er nicht. Während die Welt um ihn herum zerfällt, sucht er die Leichtigkeit des Lebens, verliebt sich in ein Mädchen, findet erneut den Jazz. Doch der Zweite Weltkrieg holt ihn ein... Jonas Nay spielt diesen Guido in dem berührenden polnisch-deutschen Drama "Unser letzter Sommer". Im Gespräch mit Filmreporter.de spricht der 25-Jährige über den Alltag im Krieg, über seinen Umgang mit grausamen Szenen und seine Begeisterung für den Jazz.
erschienen am 22. 10. 2015
farbfilm verleih/Robert Palka
Jonas Nay will in "Unser letzter Sommer" seine Jugend ausleben
Darf der Holocaust unterhalten?
Ricore Text: Sie hatten gerade Geburtstag: 25 Jahre jung oder alt? Wie sehen Sie das?

Jonas Nay: Ach, ich fühle mich noch recht jung. Ein Viertel Jahrhundert habe ich jetzt hinter mir. Das ging ganz schön schnell.

Ricore: In "Unser letzter Sommer" sind Sie in der Rolle eines jungen Soldaten zu sehen. Die Handlung ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt und behandelt existenzielle Themen wie Tod, Gewalt und Schuld, ist aber trotzdem sehr unterhaltsam. Darf ein Film über den Holocaust unterhalten?

Nay: Kino muss unterhalten, sonst geht niemand hin. Im Gegensatz zu so manch einem anderen Film über den Zweiten Weltkrieg ist dieser sehr nah an jugendlichen Figuren dran. Wir zeigen sie mit all ihren Wünschen, Leidenschaften und Nöten. Als die Brutalität der Zeit sie einholt, müssen sie Entscheidungen treffen, die heutige Jugendliche nicht treffen brauchen. Daran gehen sie letztlich zugrunde. Abseits des Krieges haben sie dennoch ihre kleinen emotionalen Momente. Sei es mein Charakter in seinem Leben und jenseits in seiner Einheit. Oder der polnische Junge Romek, der seine erste Erfahrung mit der Liebe macht. Diese Aspekte haben tatsächlich Unterhaltungswert. Zumal "Unser letzter Sommer" nicht direkt das Kriegsgeschehen zeigt, der Krieg liegt vielmehr als latente Bedrohung darunter.

Ricore: Das Streben nach Leben und Glück ist das Dilemma ihres Charakters Guido.

Nay: Ja, er wurde in die Armee strafversetzt, weil er Jazz und damit entartete Musik gehört hat. Die erste Begegnung zwischen ihm und Romek findet in Romeks Haus statt, wo der polnische Junge mit Franka Swing hört. Die Musik verbindet die drei, sie bringt eine gewisse Leichtigkeit in ihr Dasein. Bis zu dem Moment, als Guido wieder in die Rolle des Besatzers zurück gezwungen wird, als Romeks Eltern im Zimmer auftauchen. Die Charaktere versuchen, ihre Jugend aufrecht zu erhalten, obwohl sie in einem absurden Geschehen gefangen sind.

Ricore: Das Beharren auf Normalität macht Guido letztlich zu einem schlechten Soldaten.

Nay: Absolut. Seine Einheit ist ohnehin nicht mit gut ausgebildeten Soldaten gespickt. Es handelt sich um eine Polizeieinheit, die im Jahr 1943 irgendwo an der Bahnstrecke zwischen Warschau und Treblinka in der Nähe eines kleinen Dorfes stationiert ist. Guido ist völlig überfordert, wenn er eine Waffe auf jemanden richten muss. Insofern ist er kein guter Soldat. Er hatte auch nie den Wunsch gehabt, einer zu werden und sich an der Front zu beweisen. Umso heftiger trifft es ihn, wenn von ihm verlangt wird, einen Heuhaufen anzuzünden, in dem sich Menschen verstecken.

Ricore: Es ist eine sehr verstörende Szene. Wie war es für Sie als Schauspieler, so etwas darzustellen? Wird man da nicht mit Fragen konfrontiert, die über die Rolle hinausgehen?

Nay: Eine Situation wie diese nachzufühlen, ist für unsere Generation einfach unmöglich. Als Schauspieler darf man solche Szenen langfristig nicht zu nah an seine Seele heran lassen. Ich konnte Guido allenfalls auf seinem Weg begleiten. Würde ich den Schrecken bewusst miterleben, könnte ich mich heute nicht mit Ihnen unterhalten. Es war aber dennoch durchaus eine psychische Belastung. Abends beim Joggen ist mir so einiges durch den Kopf gegangen.

Ricore: Man hört immer wieder von Filmemachern und Schauspielern, dass an Sets von Filmen über existentielle Themen wie Krieg und Gewalt oft eine lockere Stimmung herrscht. Wie war das im Fall von "Unser letzter Sommer"?

Nay: Von Lockerheit würde ich nicht sprechen, es herrschte aber eine Einigkeit darüber, was für eine Art von Geschichte wir gemeinsam erzählen möchten. Das Team war halb Deutsch, halb Polnisch und wir fingen sehr schnell an, uns zu verbinden. Ich würde sagen, es herrschte eine schöne Stimmung, weil beide Seiten eine Leidenschaft für den Stoff hatten. Während der Vorbereitung zum Film nahm Michal mich und Gerdy auf eine Flussinsel, wo er mit uns eingehend über seine Pläne sprach. Er wollte keine großen Bilder abfeuern, sondern mit der Kamera nah an die Figuren ran gehen und ihre Geschichten erzählen.
Movienet Film
Jonas Nay in "Hirngespinster"
Jonas Nay: unheimliche Leichtigkeit der Jugend
Ricore: Ausgangspunkt seines Films sollen Privataufnahmen aus seinem familiären Umfeld gewesen sein.

Nay: Ja, er fand auf seinem Dachboden Fotos von seiner Großmutter, die eine unheimliche Leichtigkeit der Jugend ausstrahlten. Davon wollte er in "Unser letzter Sommer" erzählen. Er wollte nachvollziehen, wie man in einer so schrecklichen Zeit Freude am Leben empfinden konnte. Diese Suche hat sich auch auf das Team übertragen. Es war eine sehr schöne und warmherzige Zusammenarbeit.

Ricore: Die Dreharbeiten fanden unter anderem in Polen statt. Wie reagierten die Menschen vor Ort auf das Filmteam, vor allem mit Blick auf Darsteller mit Nazi-Uniformen?

Nay: Es gab durchaus Situationen, in denen mir schon mal der Klos im Hals stecken blieb. Eines Tages kam während des Drehs ein alter, ärmlich aussehender polnischer Mann auf mich zu und redete auf mich ein. Ich verstand ihn nur schwer, bis der Regie-Assistent kam und übersetzte. Der Mann erzählte völlig aufgelöst, dass er auf der Straße, auf der wir uns in dem Moment befanden, während des Krieges die deutsche Besatzung gesehen hatte. Es war für ihn sehr schwer, uns in den Nazi-Uniformen zu sehen.

Ricore: Was empfanden Sie dabei?

Nay: Ich spürte eine Verantwortung, mit der ich nur schwer umgehen konnte.

Ricore: Wenn die junge Generation den Krieg nicht aus Filmen, Fernseh-Sendungen und Büchern kennt, dann aus Erzählungen von ihren Großeltern. War das bei Ihnen auch der Fall?

Nay: Ich habe relativ junge Eltern und Großeltern. Mein Opa war noch ein kleiner Junge, als der Krieg zu Ende ging. Er erzählte mir Geschichten vom Ende des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Es war eine enorm schwere Kost für mich. Meine Urgroßeltern sind mittlerweile tot, sie hätten mir bestimmt noch einiges mehr erzählen können. Unsere Generation muss sich dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer eigenen Perspektive nähern. Aus diesem Grund ist dieser Film so wichtig. Ihm gelingt es auf differenzierte Weise, diese Zeit aus beiden Perspektiven zu zeigen, der polnischen und der deutschen. Es geht ihm nicht um ein Opfer-Täter-Bild als vielmehr darum, feine Charakterstrukturen auf polnischer und deutscher Seite aufzuzeigen.

Ricore: Was Sie mit ihrer Filmfigur verbindet, ist die Leidenschaft für Musik, insbesondere Jazz-Musik. Fast möchte man glauben, dass Regisseur und Drehbuchautor Rogalski sich von Ihnen für dieses Motiv inspirieren ließ.

Nay: (lacht) Nein, das kann ich leider nicht behaupten. Ich kann aber sagen, dass ich die Musik sehr schön finde. Tatsächlich hörten wir am Set viel Swing und Big-Band-Musik. Auch in der Vorbereitung hat uns Michal aus seinem iPad Musik aus jener Zeit vorgespielt. Ich war begeistert davon. Ich finde die Musikauswahl sehr gelungen. Ich bin ein großer Fan des damaligen Swing.

Ricore: Sie haben gerade das Debütalbum "Landed" mit Ihrer Band Northern Lights herausgebracht. Darauf sind durchaus Big-Band-Elemente zu hören.

Nay: Meine Bandjungs studieren wie ich auch alle Jazzinstrumente und wir haben eine dreiköpfige Bläser Sektion dabei. Ich machte meine ersten Jazz-Erfahrungen in einer Schul-Big-Band, wo ich Klavier spielte. Heute studiere ich Jazz-Piano in Lübeck, wo ich erst vor kurzem die Bachelor-Zwischenprüfung gemacht habe. Die Hälfte habe ich also hinter mir.
Universum Film
Jonas Nay und Maria Schrader in der TV-Serie "Deutschland 83"
Schauspieler Jonas Nay dem Musiker förderlich?
Ricore: Man könnte fast meinen, die Musik kommt bei Ihnen vor der Schauspielerei.

Nay: Nun, rein zeitlich gesehen trifft das zu, da ich schon Jahre lang Musik gemacht habe, bevor das mit der Schauspielerei begann. Von den Prioritäten hält sich das mittlerweile ganz gut in der Waage. Das gesamte letzte Jahr habe ich gedreht. Eine Serie und zwei Filme. Jetzt gerade, während der Semesterferien, drehe ich einen weiteren Film. Danach widme ich mich wieder dem Studium. Ich versuche, beide Passionen zu vereinen. Es lässt sich schwer sagen, ob es einen Schwerpunkt gibt.

Ricore: Ist der Schauspieler Jonas Nay dem Musiker förderlich, oder steht er ihm eher im Weg? Stichwort: Drehtermine.

Nay: Man muss sich immer arrangieren. Die Termine greifen leider nicht immer ineinander. Im Weg haben sich die beiden Leidenschaften jedoch noch nie gestanden. Ich versuche die Termine so zu legen, dass ich beiden gerecht werde. Im Moment habe ich sehr viele Angebote, auf schauspielerischer und musikalischer Ebene, was ich als sehr komfortable Situation empfinde. Das tut mir sehr gut.

Ricore: Sie haben seit "Homevideo" einen sagenhaften Karriere-Aufstieg erlebt. Wie haben Sie den Erfolg menschlich verarbeitet?

Nay: Mir geht es sehr gut damit, dass ich gute Filme drehen und mich kreativ ausleben darf. Zusätzlich habe ich die Möglichkeit, mit meiner Band Musik zu machen. Durch meine Arbeit komme ich viel um in der Welt, was mir als wissbegierigen Menschen wichtig ist. Bei dem Trubel muss ich aber auch schauen, dass ich Ruhe bekomme. Dass ich Zeit für mich finde, um das Erlebte und Gelernte zu verarbeiten. Ich finde es wichtig, mich zu erden und mir Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Darum ist mir meine Heimat Lübeck mit Familie, Band, Handball-Verein, Studium und Freunden so wichtig.

Ricore: Wie finden Sie diese Zeit mit einem immer voller werdenden Terminkalender?

Nay: Ich nehme mir die Zeit dafür während des Studiums. Meine besten Freunde sind meine Jungs aus der Band. Die Erdung verknüpft sich bei mir vor allem mit der Musik. Meine beste Freundin sehe ich im Studium. Außerdem befindet sich in Lübeck meine Familie. Während des Studiums kann ich alles schön miteinander verknüpfen. Das tut mir gut.

Ricore: Energie tanken haben Sie sicher nötig, denn die nächste Erfolgswelle steht kurz bevor. Im Herbst dieses Jahres startet "Deutschland 83" im deutschen Fernsehen. In den USA sorgt die Serie derzeit für Furore. Wie sind dort die Reaktionen?

Nay: Ich hatte das Glück, dass ich zur Presse-Premiere von "Deutschland 83" im Goethe Institut nach New York fliegen durfte. Einigen wichtigen Medienvertretern wurde hier die erste Folge gezeigt. Ich war erstaunt, wie gut der lokal-begrenzte Humor über die Ost-West-Unterschiede beim amerikanischen Publikum aufgenommen wurde. Es wurde viel gelacht und mitgefiebert. Es war eine unheimlich positive Resonanz. Vom Wall Street Journal über die New York Times bis hin zu kleinen Blogs waren alle begeistert. Ich war schon überwältigt, dass wir mit einer so kleinen Serie auf dem großen amerikanischen Markt für Furore sorgen konnten.

Ricore: Gute Aussichten also für den deutschen Markt.

Nay: Ja, das hoffe ich sehr. Ich finde, dass Serien ein sehr modernes Phänomen sind. Ich persönlich schaue unheimlich gerne serielle Stoffe, viel mehr als Filme. Dazu gehören viele amerikanische Produktionen, aber auch Serien aus Großbritannien, Frankreich und Skandinavien finde ich super. Es ist absolut an der Zeit, dass auch wir Deutschen gute Serien an den Start bringen. Ich finde, mit "Deutschland 83" haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet.

Ricore: Trotz großartiger Versuche wie "Im Angesicht des Verbrechens" scheint "Deutschland 83" hinsichtlich internationaler Aufmerksamkeit eine Bresche für deutsche Serien zu schlagen.

Nay: Mal schauen. Bislang ging der Trend eher Richtung Event-Mehrteiler oder Miniserie. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickeln wird. Es wird jedenfalls Zeit dafür.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. Oktober 2015
Zum Thema
Nach einigen Auftritten in diversen Fernsehserien hat Jonas Nay mit dem sozialkritischen Fernsehdrama "Homevideo" seinen Durchbruch. Darin verkörpert er einen Jugendlichen, der von seinen Mitschülern erpresst wird. Das Druckmittel ist ein intimes Video, das in falsche Hände gerät. Die Hauptrolle bringt dem Huaptdarsteller unter anderem den Tobias Moretti in dem Drama "Hirngespinster" zu sehen, in der Nay den Sohn eines an Verfolgungswahn leidenden Vaters darstellt. Überzeugend ist seine Rolle..
2024