Alamode Film
Regisseur Gaspar Noé ("Love 3D")
Explizites Drama: "Love 3D"
Interview: Gaspar Noé zeigt Schwanz
Gaspar Noé inszeniert immer extreme Filmkunst: Ob in "Menschenfeind", "Irreversibel" oder seinem neuesten, sehr explizitem Werk "Love 3D". Der Film handelt von einem jungen Mann, der sich in den Fängen der Liebe verheddert. Weshalb seine Romanze für solch ein Aufsehen sorgt, kann der aus Argentinien stammende Regisseur nicht verstehen, wie er im Interview mit Filmreporter.de erläutert. Darin diskutierten wir auch über Penisneid sowie die Frage, welche Bedeutung Pornos für unsere Gesellschaft haben.
erschienen am 24. 11. 2015
Alamode Film
Love 3D
Namen aus dem privaten Umfeld
Ricore Text: Inwieweit ist "Love 3D" ein Film über Sie?

Gaspar Noé: Einige Figuren tragen den Namen von Personen aus meinem privaten Umfeld. Das war ein kleiner Witz von mir für diejenigen, die mich und meine Familie kennen. Ich verwendete unter anderem den Namen meiner Mutter, meines Vaters und den einer ehemaligen Liebe. "Love 3D" ist ein Film über die Lebenserfahrungen von mir und meinen Freunden. Indem ich alle Erfahrungen miteinander vermischt habe, entspricht die am Ende gezeigte Geschichte aber keinem realen Vorbild. Hauptfigur Murphy würde ich wie einen kleinen Bruder von mir bezeichnen, dem ich mal stolz, mal betrübt über die Schulter sehe.

Ricore: Gibt es weitere Anspielungen?

Noé: Ich zitiere frühere Filme von mir sowie Werke, die ich mag und mich beeinflusst haben. Zum Beispiel "2001 - Odyssee im Weltraum". Erinnerungen korrekt aufeinander abzustimmen ist aber gar nicht so einfach, so wie sich in deinen Träumen die Dinge oft miteinander vermischen. Da siehst du einen Freund, der dann aber mit der Stimme deines Vaters spricht. Am Ende weißt du nicht, ob du deinen Freund gesehen hast oder deinen Vater. Und so ist es mit Murphy im Film: Einerseits ist er ein Teil von mir, andererseits stecken in ihm noch viele weitere Elemente, die nichts mit mir zu tun haben. Auch Elektra ist eine Mischung aus vielen Frauen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Deshalb ist sie auch die einzige Figur in meinem Film, deren Namen nicht auf einer konkreten Person basiert.

Ricore: Wissen Sie was der Name Elektra bedeutet?

Noé: Es gibt in der Psychoanalyse einen Begriff namens 'Elektrakomplex'. Dabei geht es um Frauen, die von ihrem Vater besessen sind. Wenn Sie es genauer wissen möchten, können Sie es auf Wikipedia nachlesen. Bevor ich diesen Namen ausgewählt hatte, wusste ich jedoch nicht, dass er diese Bedeutung in psychoanalytischem Sinne hat. Erst eine Freundin von mir klärte mich zehn Tage vor Drehbeginn auf. Ich dachte sofort, dass es passt, da Elektra auf viele Arten wie eine Amazone und äußerst dominant ist. In manchen Szenen versucht sie ihrem Liebhaber sogar eine weibliche Seite aufzuzwingen, um ihm das männlich-dominante zu nehmen.

Ricore: Das Kino hat sich seit Ihren ersten Filmen stark verändert. Digital und 3D spielen eine immer stärkere Rolle. Wie hat sich in diesem Zusammenhang das Verständnis von Sex verändert?

Noé: Ich habe mein Sexualleben im Altern von 14 Jahren begonnen. Ich habe niemals ein Pornoheft genutzt, um zu masturbieren. Als ich 18 oder 19 war und auf dem Bezahlfernsehen zum ersten Mal einen Erwachsenenfilm sah, war ich natürlich aufgeregt. Allerdings konnte ich bald nichts mehr mit solchen Sachen anfangen. In meinem gesamten Leben habe ich im Gegensatz zu vielen anderen Menschen vielleicht eine Stunde Pornos geguckt, da mich der Anblick eines Computerbildschirms überhaupt nicht erregt. Ich bin aber niemand, der PCs meidet. Ich checke einmal täglich meine Mails, arbeite natürlich auch beruflich bedingt am Computer. Aber um mir sexuelle Befriedigung zu verschaffen, nutze ich den PC nicht. Generell nutze ich keinen Computer, um zu entspannen. Auch nicht, um Filme zu sehen. Insofern habe ich keine Ahnung, was da draußen in der digitalen Welt los ist.
Alamode Film
Regisseur Gaspar Noé ("Love 3D")
Gaspar Noé: Sex zeigen
Ricore: Europa gibt sich gesellschaftlich sehr offen. Weshalb bekommt man in Filmen trotzdem praktisch nie 'Echten Sex' und 'Echte Liebe' zu sehen?

Noé: Sex wird schon gezeigt. Das Merkwürdige dabei ist nur, dass man die sexuellen Interaktionen selbst nicht sieht. Es gibt immer Bilder, es ist ein 'so tun als ob'. Wenn Leute in Filmen miteinander schlafen küssen sie sich nicht, nackte Haut sieht man kaum. Der Mann spielt nicht mit den Brustwarzen der Frau und diese bläst ihrem Partner keinen. Man meint also Leuten beim Sex zuzusehen, in Wirklichkeit wird der sexuelle Akt jedoch gar nicht reproduziert. Ich hingegen wollte mit "Love 3D" unbedingt einen Film drehen, der sich wie das echte Leben anfühlt. Sex und Liebe sind die wichtigsten Dinge im Leben und nehmen einen extrem großen Raum ein. Ich verstehe bis heute nicht, warum man das in all seinen Ausprägungen nicht auch auf der Leinwand sehen soll. Sex ist nicht illegal, sondern ganz natürlich.

Ricore: Warum wird richtiger Sex nicht auf der Leinwand gezeigt, wenn es doch eine so universelle Sache ist?

Noé: Ich weiß es nicht. Ich hatte echt nicht damit gerechnet, dass "Love 3D" hinsichtlich der Alterszulassung in so vielen Ländern Probleme bekommt. Die Russen haben den ziemlich gewalttätigen "Irreversibel" veröffentlicht, verbannen aber meinen neuen Film, weil dieser für das Publikum zu gefährlich sei. Ich habe wirklich nicht gedacht, dass praktisch überall "Love 3D" eine höhere Altersfreigabe als "Irreversibel" erhält. Der war wirklich schockierend, gefährlich, düster und extrem gewalttätig. Das trifft auf "Love 3D" alles nicht zu, er zeigt nur das Natürlichste auf der Welt: Es ist die Imitation von echter Liebe und Sex. Das soll nun aber das Gesicht des Teufels sein. Ich schätze das ist so, weil wir in einer sehr patriarchalischen Gesellschaft leben. Da sieht alles viel besser aus, als es wirklich ist. Die Männer, die in dieser patriarchalischen Gesellschaft leben, haben alle Angst vor dem Penis ihres Freundes, des Bruders oder Nachbarn. Männer mögen es generell nicht, den Penis eines anderen Mannes zu sehen - insbesondere heterosexuelle Männer.

Ricore: Sie haben Angst davor, als schwul eingeordnet zu werden.

Noé: Oder weil sie Angst vor dem Penisvergleich haben. Menschen wollen sich immer vergleichen und beim Penis haben sie dann Angst, dass ihrer kleiner ist, als der von anderen. Oder sie haben vielleicht Angst, dass es ihre Freundin, Schwester oder Mutter anmachen könnte, einen Penis zu sehen. Heutzutage gibt es in ein von zwei amerikanischen Filmen Waffen, aber in dem Moment, wo sich zwei Menschen näher kommen, werden die Geschlechtsteile der Menschen gemieden - die der Männer noch mehr, als die der Frauen - obwohl dies eigentlich eine viel natürlichere Sache ist als Waffen.

Ricore: Insofern wollten Sie sich bei "Love 3D" insbesondere auf den Penis des Mannes konzentrieren?

Noé: Nein, nein. Aber als wir den Film machten, dachten wir: "Was macht es für einen Unterschied, ob wir den Penis eine Mannes zeigen oder nicht? Keinen! Also zeigen wir ihn!" Wir leben in einer Gesellschaft, die so tut, als wäre sie nicht religiös. Aber ich denke dies ist nicht so.
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Aomi Muyock und Karl Glusman machen "Love" in 3D
Penis in Aktion zeigen
Ricore: Füllen Sie mit "Love 3D" die Lücke zwischen dem romantisierenden Sex Hollywoods und dem pornografischen Sex von Werken wie "Deep Throat"?

Noé: Natürlich.

Ricore: Wie ist es für Sie als 'Regisseur der Leute schockieren will' bezeichnet zu werden?

Noé: Ich kann sehr gut verstehen, dass ein Film wie "Irreversibel" als schockierend wahrgenommen wird. Auch deshalb, weil das im Film gezeigte keine universelle Erfahrung ist, die jeder in seinem Leben bereits gemacht hat oder noch machen wird. Sich aber in jemanden zu verlieben und dann von dieser anderen Person abhängig zu sein, halte ich für überhaupt nicht schockierend, sondern für das natürlichste der Welt. So gut wie jeder im Alter von 30 Jahren oder älter hat so eine Erfahrung schon einmal gemacht. Erst bist du verliebt, alles ist toll und du lebst wie in einer Seifenblase. Doch irgendwann beginnst du dich zu streiten und trennst dich vielleicht sogar. Das gehört zu den schmerzhaftesten Erfahrungen, die du machen kannst. Für manche fühlt es sich so an, als hätten sie einen Arm verloren. Die Abhängigkeit kann schwerwiegend und schmerzhaft enden. Meines Erachtens gab es in den vergangenen Jahren nur einen einzigen Film, der diese traurige schmerzhafte Erfahrung verständlich und nachfühlbar für die Kinoleinwand reproduzieren konnte: "Blau ist eine warme Farbe". Ich sah ihn, als ich meine Arbeiten zu "Love 3D" gerade beginnen wollte und dachte: "Wow, was für ein toller Film." Gleichzeitig war ich aber erleichtert, dass es in dem Film um ein lesbisches Paar ging, sodass die Gefahr relativ klein war, dass Leute mein neues Werk als eine Art Wiederholung wahrnehmen. Zudem sind die Charaktere aus "Blau ist eine warme Farbe" einfacher als meine, sie sind schlichtweg universeller.

Ricore: Fühlt sich jeder, der sich mit "Love 3D" nicht wohlfühlt, auch nicht mit seinem eigenen Sexleben wohl?

Noé: Nein. Denn das einem mein Film eventuell negativ aufstößt, liegt vor allem daran, dass man es nicht gewohnt ist, so etwas auf der großen Leinwand zu sehen. Es ist ein Überraschungseffekt. Abgesehen davon haben deine Vorstellungen davon, wie Sexualität ausgelebt wird und was in der Öffentlichkeit gezeigt werden darf, vor allem damit zu tun wie du erzogen wurdest. Du wirst geboren, man bringt dir Sachen bei und du beobachtest dein direktes Umfeld. All das prägt deine späteren Ansichten. Zwei Personen können gleich aussehen und gleich alt sein - aber wenn einer von beiden von einer polynesischen Familie adoptiert wird, sind seine Wertvorstellungen andere. Vielleicht denkt man dann ja, dass Inzest oder deine Mitmenschen zu verzehren eine total natürliche Sache ist.

Ricore: Sie wollten "Love 3D" schon seit langer Zeit machen. Weshalb ist es erst jetzt dazu gekommen? War "Blau ist eine warme Farbe" der Türöffner?

Noé: Als "Blau ist eine warme Farbe" ins Kino kam, habe ich schon längst an dem Film gearbeitet. Insofern hat mit der Erfolg dieses Werkes nicht wirklich geholfen. Das "Love 3D" jetzt erst ins Kino kommt, liegt ganz allein daran, dass ich zuvor niemanden gefunden hatte, der mir den Film finanziert.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 24. November 2015
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2024