Capelight Pictures/Lisbeth_Salas
Emily_Mortimer in "Der Buchladen der Florence Green" (The Bookshop, 2017)
'Tschechow könnte ich noch lesen'
Interview: Emily Mortimer "Der Buchladen der Florence Green"
Emily Mortimer wurde an der Seite von Steve Martin in den Neuverfilmungen der Abenteuer des Rosaroten Panthers schlagartig bekannt. Die 1971 geborene Britin ist Mutter zweier Kinder. Sie spielte unter anderem in Martin Scorseses "Shutter Island" und "Hugo Cabret" und war zuletzt in Sally Potters "The Party" zu sehen. Zur Berlinale 2018 stellte sie "Der Buchladen der Florence Green" vor. In dem Film von Isabel Coixet spielt sie eine verwitwete Britin, die in der 1950er Jahren in einer bornierten Kleinstadt einen kleinen Buchladen eröffnet. In dem exzentrischen Außenseiter Brundish (Bill Nighy) findet sie ihren treuesten Kunden.
erschienen am 1. 06. 2018
Capelight Pictures/Aidan-Monaghan
Bill Nighy & Emily Mortimer in "Der Buchladen der Florence Green"
Stiller, leidenschaftlicher, radikaler Film
Ricore Text: Sie haben russische Literatur studiert. Können Sie sich noch in Russisch verständigen?

Emily Mortimer: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich einem Gespräch in allen Details folgen kann. Aber eine Kurzgeschichte von Tschechow könnte ich noch lesen.

Ricore Text: Sie lesen gerne?

Emily Mortimer: Mein Vater war Autor, ich bin mit Büchern aufgewachsen. Sie waren einfach überall. Das hat mich bewogen, neben russischer englische Literatur zu studieren. Heute wünsche ich mir, ich hätte mehr Zeit zum Lesen. Ich habe stets ein Buch mit mir. Aber es ist schrecklich, wie lange ich brauche.

Ricore Text: Was fasziniert Sie an der Literatur?

Emily Mortimer: Mit einem Buch springe ich in eine andere Zeit oder ein fremdes Land. Ich erlebe Abenteuer in einer geheimen Welt, in der ich mich sicher. Diese Leidenschaft teile ich mit Isabel Coixet. Sie ist der belesendste Mensch, die ich je getroffen habe. Für sie sind Bücher Obsession und Erlösung.

Ricore Text: Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn Menschen weniger lesen?

Emily Mortimer: Ich fühle mich uralt, wenn ich mich darüber beschwere. Vielleicht finden Menschen durch die Digitalisierung zur Literatur zurück. Bücher sind heute überall zugänglich. Aber ich weiß von mir selbst, dass man lernen muss, sich auf ein Buch zu konzentrieren und die Ideen zu verarbeiten. Unsere Kultur ist dagegen schnell und diskursmüde geworden. Wir denken, mit 140 Zeichen kann man alles ausdrücken. Und jeder ist sich seiner Meinung absolut sicher und denkt, er hätte die Wahrheit gepachtet. Obwohl wir doch wissen, dass keiner eine objektive Meinung haben kann. Diese Entwicklung ängstigt mich.

Ricore Text: Dann traf die Verfilmung bei Ihnen einen Nerv?

Emily Mortimer: Es ist ein sehr stiller, leidenschaftlicher und radikaler Film, er entspricht nicht unbedingt dem Zeitgeist. Das haben uns potentielle Investoren spüren lassen, bei denen Isabel und ich Klinken putzten und bettelten. Einige erinnerten an die zugeknöpften und skeptischen Bankmanager aus dem Film, die Florence abweisen.
Capelight Pictures/Aidan-Monaghan
Emily Mortimer in "Der Buchladen der Florence Green"
Emily Mortimer: Geschichte eines Scheiterns
Ricore Text: Warum entspricht er nicht dem Zeitgeist?

Emily Mortimer: Er erzählt die Geschichte eines Scheiterns. Das Publikum bevorzugt Sieger, die alle Hindernisse überwinden. Obwohl uns die Erfahrung anderes lehrt. Scheitern ist eine Grunderfahrung des Lebens.

Ricore Text: Ist das nicht ein wenig pessimistisch, dass unser Leben vom Scheitern bestimmt wird?

Emily Mortimer: Natürlich meistern Menschen Herausforderungen, bei denen sie zuvor Angst vor dem Scheitern hatten. Das ist leider die Ausnahme, meist klappt es nicht. Schauspieler kämpfen oft für Filme, die nie gedreht werden. Oder die niemand sehen will. Wenn ich auf mein berufliches Leben zurückblicke, haben die meisten Projekte nicht funktioniert. Sie waren nicht unbedingt Fehler, aber die Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Ich habe gelernt, mich nicht vom Erfolg an der Kinokasse und der Meinung anderer abhängig zu machen. Was zählt, ist die Zeit am Set. Ich genieße die Atmosphäre und das Zusammensein mit kreativen Menschen aus verschiedenen Kulturen. Sie werden Teil meiner Erfahrungen und meines Herzens.

Ricore Text: Geht nicht auch Florence so an ihr Leben?

Emily Mortimer: Florence schätzte das Glück des Augenblicks, sie hatte immer akzeptiert, dass sie scheitern kann. Ganz egal ob es mit dem Laden klappt, es gibt immer ein Buch, mit dem sie dem Alltag entfliehen kann und das sie rettet.

Ricore Text: Sollten wir nicht trotz dieser Möglichkeit immer wieder versuchen, unser Leben zu verbessern?

Emily Mortimer: Das stimmt schon, sonst gibt man sein Leben völlig auf. Wir stehen jeden Tag auf, verlieben uns, kriegen Kinder, arbeiten, tragen etwas zur Gesellschaft bei. Das ist das Paradoxe in uns. Wir meistern jeden Tag die kleinen Herausforderungen des Alltags.

Ricore Text: Ist das Theater für Sie nach den negativen Erfahrungen erfüllender als der Film?

Emily Mortimer: Ich spiele gerne. Aber die Angst, einen Fehler zu machen und mich zu blamieren, treibt mich manchmal an den Rand des Wahnsinn. Trotzdem gebe ich nicht auf. Ich versuche es immer wieder, denn ich weiß, es kann sehr befriedigend sein.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 1. Juni 2018
Zum Thema
Die melodramatische Provinzposse um eine selbstbewusste Geschäftsfrau, die ihren feministisch angehauchten Traum gegen den Widerstand der britischen Klassengesellschaft leben will, entstand nach Penelope Fitzgeralds gleichnamigem Bestseller. Die spanische Regisseurin Isabel Coixet hat Greens Geschichte mit viel Liebe zum Detail, den Menschen sowie einem nostalgischen Blick zurück inszeniert.
2024