Roberto Benignis Pinocchio
Roberto Benigni über Lügen, üble Kritiken und Berlusconi
Interview: Pinocchio mit Herz und Seele
Roberto Benigni ("Das Leben ist schön ") ist Italiens cineastisches Aushängeschild und - neben dem Papst - der bekannteste Bürger Roms. Mit " Pinocchio " kommt das neue Werk des Oscar-Preisträgers in unsere Kinos - ein Film, der - wie sollte es anders sein - in Italien sämtliche Rekorde brach. In Amerika dagegen war Benignis Märchen ein unerwartetes Desaster und erntete kaum mehr als blanker Hohn.
erschienen am 13. 03. 2003
Roberto Benigni
Ricore Medien: Signore Benigni, herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichsten Film Italiens.

Roberto Benigni: Danke, vielen Dank! Der Erfolg ist wichtig, immerhin hatten wir ein enorm hohes Budget. Aber in Italien liebt mich sowieso jeder. Für "Pinocchio" habe ich sehr viel Fanpost bekommen, auch von Kindern. All das macht mich sehr glücklich.

Ricore: Wie erklären Sie sich den enormen Erfolg in Italien? Immerhin waren die Kritiken in anderen Ländern sehr gespalten.

Benigni: Da haben Sie recht. Momentan wird sehr viel über den Film diskutiert. Aber die Geschichte von Pinocchio ist den Italienern heilig, gehört einfach zu Italien. Soll ich Ihnen etwas verraten? Seit ich als Schauspieler arbeite, wurde ich immer mit Pinocchio verglichen. Schon deswegen musste ich ihn spielen. Es ging gar nicht anders.
Roberto Benignis Pinocchio
Ricore: Bekommen Sie denn auch eine lange Nase, wenn Sie lügen?

Benigni: (lacht) Zum Glück nicht! Als Schauspieler muss ich ja ständig lügen. Keine schlimmen Lügen zwar, aber trotzdem Lügen.

Ricore: Das müssen Sie uns genauer erklären!

Benigni: Ein Autor erfindet eine Geschichte - also lügt er. Ein Schauspieler spielt dem Zuschauer mit dieser Geschichte etwas vor - also lügt er auch. Aber es ist eine wundervolle Art der Lüge, finden Sie nicht auch?

Ricore: Was fasziniert Sie denn am meisten an "Pinocchio"?

Benigni: Ich bin mit diesem Buch aufgewachsen und war regelrecht besessen von der Geschichte. Meine Mutter ermahnte mich in meiner Jugend immer wieder: Roberto, wenn du fleißig bist, wirst du wie Leonardo Da Vinci. Und wenn du faul bist, tja, dann wirst du eben wie Pinocchio. (lacht) Sehen Sie, was aus mir geworden ist! Außerdem mag ich den philosophischen Aspekt der Geschichte. Ein Meisterstück, bei dem man immer neue Dinge erkennen kann. Pinocchio ist wie Buddha!
Roberto Benignis Pinocchio
Ricore: Wie Buddha?

Benigni: Ja, die Geschichte zeigt uns nicht nur, an welche Grundsätze man sich als Kind halten sollte, um anständig aufzuwachsen, sondern auch die Erfahrung von Armut und Gewalt. Pinocchio ist umgeben von grausamen Menschen und liebt trotzdem alles, was sich bewegt. Er ist loyal zu Freunden und vermutet in jedem Menschen nur das Beste. Ein fantastischer Charakter, von dem wir vieles lernen können.

Ricore: Ist es also gut für Kinder, schon in ihrer Jugend mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert zu werden?

Benigni: Ja, aber wir als Eltern müssen darauf achten, dass sie kein Trauma bekommen. Eltern müssen mit gutem Beispiel vorangehen, Kinder passen sich ganz von alleine an. Meine Eltern zum Beispiel haben mir nie Vorschriften gemacht, aber ihr vorbildliches Verhalten beeinflusste mich mehr als es jede noch so laute Ermahnung vermocht hätte. Wir sollten unsere Kinder über alles lieben und ihnen den Weg weisen. Aber irgendwann müssen wir auch von ihnen ablassen, damit sie selbst ihren Weg gehen. Deswegen verlässt die Fee auch Pinocchio am Ende des Films. Aus der Holzpuppe ist ein echter Junge geworden, der nicht mehr auf ihre Hilfe angewiesen ist.
Roberto Benignis Pinocchio
Ricore: Aber ist es nicht sehr traurig, dass Pinocchios bester Freund sterben muss?

Benigni: Natürlich. Mama Mia, diese Szene ist wirklich schrecklich. Jeder Mensch braucht Freunde, die ihn lieben und ihm vertrauen. Die Geschichte von "Pinocchio" vermittelt uns viel über eine Freundschaft, die genauso stark ist wie die Liebe.

Ricore: Wie stark war Sylvio Berlusconis Medienapparat am gigantischen Erfolg von "Pinocchio" beteiligt?

Benigni: Ziemlich. Die Zusammenarbeit ergab sich durch sehr komplizierte Umstände. Wenn man in Italien wohnt, kommt man an seinem Namen gar nicht mehr vorbei. Er hat sogar ein eigenes Fußballteam. Man kann darüber denken, wie man will.

Ricore: Wie denken Sie denn über ihn?

Benigni: Entweder sagt man, dass er schlimmer ist als Mussolini und verlässt wegen ihm Italien. Oder aber man vertritt eine gemäßigte Meinung und akzeptiert ihn als das rechtmäßige Staatsoberhaut. Immerhin wurde er von mehr als fünfzig Prozent der Italiener gewählt. Ich persönlich kann die extremen Meinungen nicht verstehen. Einschränkungen habe ich an meiner eigenen Person noch nicht erlebt und meiner Meinung nach lebe ich in einem freien, demokratischen Land. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin mit seinem Standpunkt nicht einverstanden, aber ich verachte ihn nicht. Ich will ihn übrigens auch nicht umbringen (lacht)!
Roberto Benignis Pinocchio
Ricore: Wie wichtig ist internationaler Erfolg für Sie?

Benigni: Oh, sehr wichtig! Ich möchte so vielen Leuten wie möglich das Beste geben, das ich zustande bringe.

Ricore: Dann dürften die verheerenden Kritiken zu "Pinocchio" in Amerika ein herber Tiefschlag gewesen sein...

Benigni: Mit "Das Leben ist schön" wurde ich in Amerika über Nacht zum Star. Jeder sprach über mich, meine Arbeit und den Auftritt bei der Oscarverleihung. Alle Amerikaner waren vernarrt in mich. Mit "Pinocchio" aber passierte genau das Gegenteil. Man verriss ihn mit schlimmen Worten, die wirklich nichts mehr mit einer normalen Kritik gemein hatten. Vielleicht liegt es daran, dass sie durch die Disney-Version von "Pinocchio" eine sehr amerikanische Auslegung des Stoffes als Vergleich hatten.

Ricore: Haben die Amerikaner den italienischen Touch des Films nicht verstanden?

Benigni: Ich weiß es nicht, aber in Italien findet man dasselbe Schema wieder: Dort haben nur eine Handvoll amerikanischer Filme wirklichen Erfolg. Natürlich ist es schade, weil dieser Film meinem Innersten entspringt, mir sehr viel bedeutet und ich meine Seele dem Publikum damit offenbare. Aber ich bin überzeugt, dass die Amerikaner meiner nächsten Film wieder lieben werden. Und ich liebe Amerika nach wie vor!

Ricore: Trotz der derzeitigen politischen Situation?

Benigni: Mit dem Krieg begeht Amerika einen großen Fehler. Es ist eine Tragödie. Trotzdem liebe ich Amerika! Auch ich habe an der Friedensdemonstration in Rom teilgenommen. Aus welchem Grund? Weil mir Amerika sympathisch ist und ich ihnen zeigen will, dass sie in diesem Punkt eine falsche Meinung vertreten. Basta.
erschienen am 13. März 2003
Zum Thema
Geboren in Misericordia, Arezzo, Tuscany, Italien.
Roberto Benigni (Das Leben ist schön) durfte für europäische Verhältnisse märchenhafte 40 Millionen Euro ausgeben, um das klassische Märchen auf die Leinwand zu bannen. Italien 1880: Schreiner und Spielzeugmacher Gepetto schafft mit Pinocchio eine Holzpuppe, die durch den Zauber der blauen Fee zum Leben erweckt wird. Pinocchios größter Wunsch ist es, ein richtiges Kind zu werden - wäre da nicht seine blühende Phantasie...
2024