Jean-François Martin/Ricore Text
Oliver Stone auf dem Filmfest Venedig 2006
Regisseur Oliver Stone über Politik und Niederlagen
Interview: Stark bleiben und weitermachen
In Hollywood gilt der Vietnamveteran und gefeierte Filmemacher Oliver Stone als Fachmann für kontroverse Themen und subversive Politik. Doch die harten Diskussionen um "JFK - John F. Kennedy - Tatort Dallas" oder "Platoon" könnten sich nun über sein neuestes, vielleicht mutigstes Projekt entbrennen: Mit "World Trade Center" bringt der 59-jährige eine Abhandlung über die 9/11-Anschläge in die Kinos - und gerät dafür weltweit ins Kreuzfeuer der Kritik.
erschienen am 1. 09. 2006
UIP
Ground Zero nach dem Anschlag (World Trade Center)
Ricore: Mr. Stone, durchleben wir gerade eine gute Zeit für politisch engagierte Filmemacher?

Oliver Stone: Ich denke schon, auch wenn ich bereits vor fünfzehn Jahren einer dieser Regisseure war.

Ricore: Allerdings kreiden viele - im Gegensatz zu Ihren Werken - "Syriana", "Brokeback Mountain" oder "Good Night, and Good Luck" mangelnden Biss an. Ist der immense Trubel um Amerikas neue Filmpolitik vielleicht sogar zuviel des Guten?

Stone: Ich bin da ganz anderer Meinung und halte diese Einstellung für völligen Schwachsinn. Journalisten schreiben ihre Kritik in einer Stunde, einen Film zu machen kostet dagegen Jahre. Die eben erwähnten Filme sind allesamt mutig und spiegeln die enorme Anstrengung und Kreativität ihrer Filmemacher wieder: George Clooney hat für "Good Night, and Good Luck" praktisch kein Budget zur Verfügung gehabt, weil er ihn unbedingt in schwarz/weiß drehen wollte, was in heutiger Zeit eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ang Lee ist bei den Planungen zu "Brokeback Mountain" durch die Hölle gegangen. "Syriana", "München" - beide großartig! Ich bin immer etwas fassungslos, wenn wir leichtfertig all diese Anstrengungen niedermachen.

Ricore: Sie sind mit der Auswahl Ihrer Filme immer Ihren persönlichen Weg gegangen und mussten dafür in den letzten Jahrzehnten auch viel Kritik einstecken? Machen Sie nach wie vor einfach das, was Sie möchten?

Stone: Meine Filme reflektieren immer, wo ich mich in meinem eigenen Leben gerade befinde. Mit jungen Jahren hätte ich noch mehr Filme vom Kaliber "JFK" drehen können, doch wenn man älter wird, bemerkt man, dass Politik nur selten eine mustergültige Lösung bietet. Welchen Film du in dieser Hinsicht auch drehst, entweder polarisiert er oder er wird missverstanden. Heute habe ich begriffen, dass Politik eine verdammt komplizierte Kunst ist, Kompromisse einzugehen.

Ricore: Gibt es einen bestimmten Politiker, bei dem Ihnen nur warme Worte einfallen?

Stone: Auch wenn es einige sicher nicht hören wollen: Al Gore! Er war der Vizepräsident einer guten Regierung, bestens geschult und vorbereitet, selbst ins Oval Office einzuziehen. Leider wurde ihm diese Möglichkeit unter den seltsamsten Umständen genommen, und er konnte nie den verdienten Platz an der Sonne einnehmen, der ihm eigentlich gebührt hätte. Unsere jetzige Regierung dagegen ist - und das weiß ich nicht erst seit gestern - ein wahrer Alptraum.
UIP
12 Stunden unter Trümmern...
Ricore: Als die Filmvorschau von "Flug 93", Paul Greengrass' filmischer Abhandlung über die Ereignisse an Bord des dritten gekidnappten Flugzeugs, in den New Yorker Kinos lief, verließen einige Zuschauer die Kinos, andere riefen: "Zu früh, zu früh". Mr. Stone, ist die Welt wirklich bereit, dass Hollywood die damaligen Attentate nun ausschlachtet?

Stone: Es wäre mir zuwider, wenn das die Hauptfrage ist, die mein Film aufwirft. Ich will im Gegenteil lieber, dass die Menschen objektiv sagen, ob der Film gut ist und realistisch wirkt! Aber ich nehme an, dass die Schlagzeilen um meinen Film trotzdem so aufgezogen werden. "Ist Amerika reif für 9/11?" Klingt fast wie eine CNN-Dokumentation.

Ricore: Unserer Frage sind Sie nun geschickt ausgewichen.

Stone: Ob Amerika reif dafür ist? Ist Amerika reif für schwule Liebe? Auch da bin ich mir nicht sicher. Ich bin nicht in der Position, dass ich behaupten könnte, dass es soweit ist, aber man probiert es eben und hofft das Beste. Mehr kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen.

Ricore: Zu Beginn Ihrer Karriere wurden Sie angeheuert, um für andere Regisseure Drehbücher zu schreiben. Waren Sie da schon genauso eigensinnig?

Stone: Ich war den meisten Regisseuren wohl ein Dorn im Auge, weil mir als Drehbuchautor meine persönliche Vision von der Umsetzung immer über die Maßen wichtig war. Weil ich immer dafür gekämpft habe, dass es so inszeniert wird, wie ich das wollte, konnte ich enorm viel lernen. Manchmal auch durch Niederlagen. Brian De Palma etwa hat "Al Pacino - Scarface" ganz anders inszeniert, als ich das im Drehbuch vorgesehen hatte. Er setzte sich über mich hinweg - und irgendwie schien es trotzdem gut zu passen. Auch Alan Parker und Michael Cimino haben mir bei "12 Uhr nachts" und "Im Jahr des Drachen" einiges durch ihren Stil beigebracht, was mir beim Schreiben nicht in den Sinn gekommen wäre.

Ricore: Wie fortgeschritten sind Ihre Planungen, das Leben von General George Armstrong Cluster zu verfilmen, der in der Schlacht am Little Big Horn River gegen Häuptling Sitting Bull und seine Indianer getötet wurde?

Stone: Dieses Projekt ist nichts weiter als ein Gerücht. Ich war interessiert, habe es aber anschließend wieder verworfen. Gereizt hat mich an seiner Person, dass er zwar auch gute Seiten hatte, aber im Grunde Amerikas Wahnsinn verkörperte. Seine Expedition war - wie auch der Irakkrieg - ein Desaster - und als das kann man auch Amerikas gesamte Außenpolitik der letzten 150 Jahre bezeichnen.
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Oliver Stone ist bei der New Yorker Premiere guter Stimmung
Ricore: An welchen Punkt Ihrer Karriere haben Sie sich entschlossen, in Filmen Ihre politische Meinung zu verpacken?

Stone: So richtig vermutlich bei "JFK", aber auch in "Geboren am 4. Juli" stecken viele kontroverse Themen. Bei "Platoon" verärgerte ich sogar jede Menge Veteranen, weil ich eine Art Bürgerkrieg in unseren eigenen Reihen inszenierte und so etwas ja ein regelrechtes Tabuthema war. Dabei bin ich sicher, dass ähnliches fernab der Medien auch im Irak passiert. Es wird interessant, wenn in drei Jahren die ersten Soldaten auspacken werden, was sich dort wirklich alles abgespielt hat.

Ricore: Sie denken also, dass seit "JFK" auch politische Kreise einen genauen Blick auf Ihre Filme werfen?

Stone: Mit "JFK" habe ich meine Unschuld verloren, definitiv. Danach gab es kein zurück mehr.

Ricore: Ihre Verfilmung des Attentats auf John F. Kennedy führte sogar zur Einberufung des Prüfungsausschusses für Attentatsdokumente (ARRB). Dabei gibt es doch wesentlich politischere Filme als "JFK". Den Warren Report, den Sie im Film in Frage stellen, zweifelt heutzutage beinahe jeder an. Warum also hat der Film Sie zur mythologischen Zielscheibe der rechtsorientierten Gruppen in Amerika gemacht?

Stone: Weil der Film gut war! Sie würde mich heute weniger hassen, wenn ich damals etwas Langweiliges abgeliefert hätte.
Paramount Pictures
World Trade Center
Ricore: Man hat Ihnen auch vorgeworfen, durch Veränderung oder Verdichtung geschichtlicher Fakten und Ereignisse zu polemisieren und den Zuschauer zu manipulieren.

Stone: Man behauptet, ich würde die heutige Jugend einer Gehirnwäsche unterziehen. Was für ein Schwachsinn! Die heutige Jugend kennt sich überhaupt nicht mehr mit Geschichte aus. Wie bitte kann man einen Haufen Idioten einer Gehirnwäsche unterziehen? Aber "JFK" hat wenigstens erreicht, dass einige dieser Schwachköpfe anschließend anfangen, ein Buch darüber zu lesen und geschichtliche Fragen zu stellen - und wenn ein Film so etwas zur Folge hat, ist das in meinen Augen die Quintessenz eines erfolgreichen Werks.

Ricore: Trotz einiger Meisterwerke mussten Sie sich in Ihrer Karriere so manches Mal auch negativer Kritik aussetzen. Wie gehen Sie mit Selbstzweifeln um?

Stone: Ganz einfach: Du kaufst dir eine Waffe und ein paar Kugeln, lädst sie und jagst dir ein paar Kugeln durch den Kopf. Oder du machst weiter. Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, du musst härter kämpfen, stärker an dich glauben und triffst in Sachen Fehlern trotzdem auch weniger Toleranz. Aber mich tröstet, dass ich weiß Gott nicht der einzige bin, der in seinem Leben immer wieder auf Ablehnung und Niederlagen gestoßen ist.

Ricore: Bedauern Sie Entscheidungen, die Sie getroffen haben?

Stone: (lacht) Viele! Was mein Verhältnis zur Öffentlichkeit angeht, bin ich zum Beispiel viel zu redselig - und das hat mir so manche Probleme bereitet. Aber ich bin wenigstens meinen eigenen Weg gegangen und habe noch nie einen Film gedreht, den ich nicht machen wollte. Und das ist verdammt noch mal das Wichtigste.
erschienen am 1. September 2006
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William Oliver Stone kommt am 15. September 1946 in New York zur Welt. Ende der 1960er Jahre meldet er sich zum Fronteinsatz in Vietnam, wo er zwei Mal verwundet wird. Später verarbeitet er seine Kriegserlebnisse unter anderem in "Platoon", "Geboren am 4. Juli" und "Zwischen Himmel und Hölle". Stone studiert an der Filmhochschule der New York University unter anderem unter Martin Scorsese. 12 Uhr nachts - Midnight Express". Es folgen zwei Regie-Platoon", "Geboren am 4. Juli"). Bis 2010 wird er..
Oliver Stone hat in der Vergangenheit immer wieder seinen Finger auf offene Wunden der Supermacht USA gelegt. Besonders kritisch ist der Oskargewinner mit dem Vietnamkrieg umgegangen. In "World Trade Center" ist davon nichts geblieben. Das Schicksal der New Yorker Polizisten, die in einem der Tower verschüttet wurden, ist nicht mehr, als ein Hollywoodtypischer Medley aus Gefühlen und billigem Pathos. Das Drama gleicht in Aufmachung und Dramatik einer brasilianischen Seifenoper. Pathetisch,..
2024