Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Dana Vávrová, Joseph Vilsmaier
Trennung zwischen Arbeit und Ehe
Interview: Ein Leben das bereichert
Sichtlich gelöst sitzen Dana Vávrová und Joseph Vilsmaier auf der Couch der Hotelbibliothek. Sie können entspannt sein, denn der schwierige Drehstart von "Der letzte Zug" sowie die Differenzen mit dem Produzenten sind ausgestanden. Das Ehepaar spricht mit uns über die gemeinsame Dreherfahrung und Konflikte am Set. Dass nicht immer alles glatt läuft, selbst in einer langjährigen Partnerschaft, mag für viele ein Trost sein. Denn auch während des Interviews fallen sich die Eheleute immer wieder ins Wort, widersprechen sich oder führen den Satz des Anderen zu Ende.
erschienen am 15. 11. 2006
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Der Regisseur über den schwierigen Drehstart
Ricore: Der Beginn der Dreharbeiten hat sich etwas schwierig gestaltet. Sie sind der vierte Regisseur, die vorherigen Drei sind aus Differenzen mit dem Produzenten abgesprungen. Wie haben sich diese Probleme auf die Dreharbeiten ausgewirkt?

Josef Vilsmaier: Die Differenzen der anderen Drei...

Dana Vávrová: ...haben sich auf die Dreharbeiten gar nicht ausgewirkt.

Vilsmaier: Wir wussten auch nicht genau, welche Differenzen sie hatten!

Vávrová: Doch das wussten wir schon!

Vilsmaier: Wir wussten, dass sie sich nicht verstanden. Aber dies hatte keinen Einfluss auf uns.

Ricore: Sie verstanden sich mit dem Produzenten tadellos?

Vilsmaier: Nein, tadellos haben wir uns nicht verstanden, um Gottes Willen, es hat viele Differenzen gegeben.

Ricore: Wie haben sich diese Differenzen ausgewirkt?

Vávrová: Grundsätzlich war es ein sehr schwieriges Arbeiten mit dem Herrn Brauner. Sehr, sehr schwierig! Für uns einmalig und nicht zu wiederholen. Nie wieder. Aber für uns war der Film und das Thema des Films das Wichtigste. Dies war auch der Grund warum wir den Film überhaupt fertig gemacht haben. Über Herr Brauner wollen wir nicht reden und brauchen wir auch nicht zu reden.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
"Mir tut der Opa genauso leid, wie das Kind"
Ricore: Trotzdem würde ich gerne wissen, welche Probleme Sie hatten. Ging es um Gagen oder um Schauspieler...?

Vilsmaier: Die Probleme gehören jetzt nicht hierher, man könnte diese in zwei Monaten besprechen. Dann auch sehr ausführlich.

Ricore: Sie sind verheiratet und haben drei Töchter. Das Schicksal der Kinder im Zug ist sehr hart. Wie hat sich ihr Umgang mit den eigenen Kindern verändert.

Vilsmaier: Das Leid der Kinder war für mich das Schlimmste. Darum sehe ich das Thema auch so hart, weil ich es auf meine eigene Situation und meine eigene Kinder ummünze.

Vávrová: Ich könnte keine Liste aufstellen, wer mir am Meisten leid tut. Mir tut der Opa genauso leid, wie das Kind. Im Gegenteil, die Mütter tun mir leid, weil die Babys noch so klein sind, aber die Mütter müssen alles mittragen.

Vilsmaier: Was die Dana sagt ist wahr. Die Kinder kriegen das Leid in dieser Form ja nicht mit, sie schreien, haben Hunger... Es hat damals Strecken gegeben, wo jeden Tag bis zu 20 tote Kinder im Gleis gefunden wurden. Sie sind rausgeschmissen worden, damit sie überleben oder sie das Leid nicht miterleben müssen...

Vávrová: Du lenkst jetzt total ab... Nur um das zu erklären, in der Vorbereitung haben wir über die deutsche Bahn gelesen. Es war tatsächlich so, dass die Streckengeher jeden Tag Kinder gefunden haben, die Eltern, die ins KZ-Lager transportiert wurden, aus den fahrenden Zügen geworfen haben. Sie hatten die Hoffnung, dass die Kinder gefunden werden und überleben, oder eben das Leid nicht miterleben müssen.

Vilsmaier: Ich kann mir vorstellen, wenn eine Mutter so etwas macht, muss es für sie die Katastrophe schlechthin sein.
Ricore: Wie haben Sie sich auf dieses Projekt vorbereitet?

Vávrová: Das Anstrengendste an dem Film war für mich die Psyche. Man musste sich monatelang täglich damit auseinandersetzen. Am Anfang hatte ich auch ein bisschen Angst. Als wir das Drehbuch gelesen haben, habe ich mir gedacht: "Na ja, das ist jetzt schön geschrieben, das Baby fängt an zu weinen und guckt die Mama mit großen Augen an, aber wie bitte soll man das umsetzen?" Am Anfang hat man eine Vorstellung wie der Film aussehen soll und wir konnten uns auch gut austauschen. Gemeinsam bereichert das Ganze, man kriegt mehr Sicherheit, wenn man zu zweit ist. Wir haben zuerst alles gedreht was außen ist, wegen der Vegetation. Anschließend haben wir im Atelier das Zuginnere gedreht. Es war also nicht chronologisch. So haben wir vier bis fünf Wochen gedreht. Und nach zwei bis drei Wochen ist man mittendrin, man erlebt alles unglaublich intensiv. Nach Ende der Dreharbeiten war ich persönlich psychisch komplett am Ende. Ich konnte nicht mehr in einem Raum sein, wo mehrere Personen sind. Ich konnte auch gar nicht mehr Zug fahren. Ich musste erst wieder den Weg zurück in unser Leben finden. Und da ist man schon sehr dankbar, dass man eigene Kinder hat, denn die sagen einem ziemlich schnell wo man hingehört. Und das ist sehr schön.

Ricore: Ist es Ihnen gelungen, nach den Dreharbeiten abzuschalten?

Vávrová: Man versucht zwar am Abend nach Hause zu gehen und an etwas anderes zu denken, aber ich konnte das nicht. Am Abend bereitet man sich natürlich auch wieder auf den nächsten Drehtag vor. Die Entwicklung des Films ist ja auch nicht besonders hübsch. Es ist ja nicht so, dass es morgen besser wird, es wird immer schlimmer. Ich fand das psychisch sehr anstrengend. Aber auf einmal hat sich jeder geöffnet und zu dem Thema etwas gesagt, weil es die Leute schon während der Dreharbeiten irrsinnig bewegt hat.
Concorde Filmverleih
Gedeon Burkhard kämpft in "Der letzte Zug" um seine Kinder
Ricore: Herr Vilsmaier, verspürten Sie auch diesen psychischen Druck?

Vilsmaier: Mir ging es nicht ganz so wie der Dana, ich habe das Ganze so gesehen...

Vávrová: Das ist ja das Schöne, wenn man zu zweit arbeitet, übernimmt einer eine Last und der andere ist sozusagen unbelastet. Man stützt sich erst mal gegenseitig.

Vilsmaier: Wir haben ja schon immer vorgehabt, den Film miteinander zu machen. Diese Zusammenarbeit ist nicht irgendwie so entstanden, sondern es war von Anfang an klar. Und es war toll, denn ich habe mir gedacht, was kann die Dana übernehmen und was kann ich machen. Wo kann ich ihr oder sie mir was abnehmen? Ihre Psyche abnehmen, kann ich natürlich nicht. Aber da ich ja ein anderer Jahrgang bin, habe ich mitgekriegt was da los war und was passiert ist. Ich habe zu viel gesehen.

Vávrová: Ich hab das Gleiche gesehen wie du!

Vilsmaier: Aber auch erlebt, nach dem Krieg... Ich habe mit drei jüdischen Familien gewohnt und habe einfach mehr mitgekriegt, so richtig. Schnell nachdem alles passiert ist. Noch im Jahr 1945, wo man so nah dran war. Jetzt während der Dreharbeiten habe ich mir immer gesagt, wir müssen da durch und versuchen einen guten Film zu machen, einen ehrlichen Film ohne Haken und Ösen, einen geradlinigen Film...

Vávrová: Und einen konsequenten Film.

Vilsmaier: Ohne Rücksicht auf Verluste. Zeigen wie es in Wirklichkeit war. Aber im Gegensatz zur Realität ist unser Film noch harmlos. Klar, aus verschiedenen Gründen kann man auch nicht alles so zeigen wie es war. Trotz der Tragödie hat der Film auch Emotionen. Die Hauptakteure sind verschiedene Menschen und man leidet mit denen mit. Gelungen ist der Film erst, wenn der Zuschauer Gefühl für den anderen kriegt, mit dem Herzen bei dem Anderen ist, in seiner Situation, in den zwei Stunden Kino.

Vávrová: Beim Lesen des Drehbuchs habe ich mir komischerweise gedacht, wann fährt der Zug endlich weiter? Aber warum? Man wünscht sich ja gar nicht, dass sie ankommen. Am Besten sollten sie gar nicht ankommen. Die Situation ist ein bisschen aussichtslos. Das Schöne ist, dass eine Hoffnung am Ende des Films besteht. Das jüdische Volk hat überlebt und das ist das Schöne. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, im Schneideraum, als wir endlich am Ende des Films angelangt waren, haben wir uns gestritten, wie lange die Schlussszene sein darf, mit den Bäumen und dem freien Himmel. Ich habe gesagt, ich will das sehen! Ich konnte mich an dem Grün, dem blauen Himmel und dem Gefühl, das Leben geht weiter, nicht satt sehen. Ja, so habe ich mir selbst ein Happy End gebastelt.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
"Es gab nur Streit, aber positiven!"
Ricore: Herr Vilsmaier, Sie haben noch Kindheitserinnerungen an diese Zeit? War dies einer der Beweggründe für diesen Film?

Vilsmaier: Ich habe mitbekommen was los war, und man glaubt man muss etwas tun, um die Leute daran zu erinnern...

Vávrová: ...das war das größte Verbrechen das es gegeben hat.

Vilsmaier: ...damit es auch im Gedächtnis bleibt. Wir leben in einer sozusagen "Schönen Welt", aber wir hatten seit 60 Jahren keinen Krieg mehr. Wenn wir zurückrechnen, ab 1940 war alle paar Jahre irgendwo ein Krieg. Deshalb finde ich, dass diese Filme wichtig sind. Ich mache mir immer selbst Gedanken und setze es auf mich, meine Kinder und meine Familie um. Da werde ich wahnsinnig. Als kleiner Junge habe ich hautnah miterlebt, wie ganze Familien ausgelöscht wurden und auf der Flucht waren. Manchmal haben sich Überlebende auf der Flucht kennen gelernt und später sogar geheiratet. Da kam es vor, dass beide Partner bis zu 20 tote Familienmitglieder zu beklagen hatten. Wenn ich mir das vorstelle, leuchtet es jetzt noch überall rot bei mir auf.

Vávrová: Das Verbrechen war zehn Jahre davor geplant und zehn Jahre lang wurde es umgesetzt. Man glaubt es einfach nicht.

Vilsmaier: Es kann sich jetzt niemand mehr vorstellen, die Leute auf der Straße sind alles andere Jahrgänge. Es ist ja auch so, dass Filme gemacht werden fürs Geschäft, das muss man auch sagen. In diesem Fall natürlich gegen das Vergessen. Ich kann auch das Fenster aufreißen und rausschreien: "Schaut meinen Film an!"

Ricore: Gab es in ihrer Zusammenarbeit als Regisseure Streit?

Vilsmaier: Nur! Aber positiven Streit, sonst wäre es ja langweilig. Sie ist ein ganz anderer Kopf als ich und umgekehrt.

Vávrová: Nein, langweilig war es nicht. Bei ihm muss alles schnell gehen und bei mir muss es Sinn machen. Es ist einfach anders. Er denkt an etwas und sagt die Hälfte, die andere Hälfte hat man nicht verstanden...

Vilsmaier: ...die hab ich auch schon gemacht! Die Zusammenarbeit war schon toll, die Dana hat sich jeden Abend immer vorbereitet. Ich bin da mehr der spontane Mensch. Die Dana hat immer alles organisiert und vorbereitet, wie und wo etwas gemacht werden muss. Am nächsten Tag, wenn ich das sehe, habe ich Ideen, da trudelt es bei mir ein. Ich kann nicht Blöcke voll schreiben. Ich muss immer die Situation sehen, muss sehen wie die Menschen drauf sind, wie alles abläuft, da bin ich gut drin.
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Gedeon Burkhard & Lale Yavas in "Der letzte Zug"
Ricore: Wie sind sie mit diesen Konflikten umgegangen?

Vilsmaier: Die Konflikte tragen wir natürlich aus, aber nicht mit einem Beil...

Vávrová: Gott sei Dank, sonst wärst du tot...

Vilsmaier: Im Hinblick auf die filmischen Konflikte kommt man zu einer Einigung. Das heißt, man muss zu einer Einigung kommen, denn am nächsten Tag geht es wieder weiter.

Vávrová: Dadurch dass wir in Tschechien gedreht haben, hatten wir nur fünf deutschsprachige Leute mit am Set, der Rest sprach Tschechisch. Nun ist es so, dass Tschechisch meine Muttersprache ist. Es hat schon damit angefangen, dass die Tschechen eine andere Mentalität haben als die Deutschen. Wenn es in Deutschland heißt, neun Uhr ist Drehbeginn, dann ist neun Uhr Drehbeginn. In Tschechen nicht. Um neun Uhr sind wir da, trinken noch einen Kaffee, und da rastet er schon aus. Da habe ich ihm immer gesagt, wir sind nicht in Deutschland, lass die Leute einfach arbeiten wie sie es wollen. Sie schaffen ja das Gleiche am Tag, nur halt ein bisschen anders. Da hat das Problem schon angefangen. Er hat immer zu mir gesagt: "Warum redest du soviel? Warum sagst du das nicht einfacher?"

Vilsmaier: Ich sage zu Dana: "Mach das und geh da rüber". Und sie braucht eine halbe Stunde um ihnen zu erklären, dass sie da rüber gehen sollen.

Vávrová: Gott sei Dank haben wir die Leute auch mal aufmuntern können mit unseren "wunderbaren Gesprächen", weil man kann ja nicht den ganzen Tag wegen der tragischen Geschichte leiden.

Ricore: Konnten sie diese Konflikte von dem ehelichen Leben trennen?

Vávrová: Das muss man, sonst wird man ja verrückt.

Vilsmaier: Wir haben diese Probleme schon seit 20 Jahren gelöst. Das ist aber ok. Ich muss zugeben, mich bereichert es, wenn ich mich mit ihr auseinandersetzen kann. Dies ist ein ehrlicher Zustand. Sie macht mir ja nix vor oder schmiert mir Honig ums Maul, um mich bei guter Laune zu halten. Das Problem wird auf den Punkt gebracht. Ich kann mich auf Dana verlassen und es ist auch immer etwas dabei herausgekommen.

Ricore: Frau Vávrová, Herr Vilsmaier, wir danken Ihnen für das Gespräch.
erschienen am 15. November 2006
Zum Thema
Dana Vávrová wurde am 9. August 1967 in Prag, Tschechien geboren. In Ihrer Heimat war sie bereits im Alter von 6 Jahren ein gefragter Kinderstar. In Deutschland wurde Vávrová 1982 durch Ihre Rolle der Janina David im Fernsehmehrteiler "Ein Stück Himmel" über Nacht berühmt. Für diese Rolle wurde sie mit der goldenen Kamera, dem goldenen Gong und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Für Ihre Leistung als Anna Wimschneider in "Herbstmilch" 1988 erhielt sie zudem den Bayerischen und den Deutschen..
Joseph Vilsmaier steigt als Kameramann in die Filmbranche ein, entwickelt sich dann aber schnell weiter. 1989 liefert er mit "Herbstmilch" sein Regiedebüt ab und kann damit einen ersten Achtungserfolg verbuchen. Sieben Jahre später wird "Schlafes Bruder" für den Comedian Harmonists" werden international beachtet. Bei seinen Filmen hat Vilsmaier gerne alles unter Kontrolle. Er führt Regie, steht hinter der Kamera und produziert. Bis zu ihrem Tod am 5. Februar 2009 ist Vilsmaier mit der..
Der letzte Zug (Kinofilm)
Es ist einer der letzten Züge, die von Berlin nach Auschwitz rollen. Er ist voll beladen mit Juden, die in der deutschen Hauptstadt nicht mehr erwünscht sind. Im Zug befinden sich junge und alte Menschen, Künstler und Handwerker. Joseph Vilsmaier gelingt mit "Der letzte Zug" ein unter die Haut gehendes Drama über das Schicksal von Menschen, die den nahen Tod vor Augen einen unbändigen Lebenswillen entwickeln.
2024