Eugen Haller/Filmfest München
Josef Bierbichler stellt sich etwas kurz angebunden der Diskussion
Steinbichler, Bierbichler und Kekilli
Interview: Demonstratives Desinteresse
Auf der Suche nach dem eigenen ich walzt Josef Bierbichler als Franz Brenninger jeden um, der im Weg steht. Einziger Wegbegleiter auf seinem Kreuzzug ist Franz Schuberts Winterreise. Das melancholische Musikstück hält den Exzentriker gerade so in der Bahn und schickt ihn auf eine erkenntnisvolle Reise. Nach der Premiere von "Winterreise" auf dem Münchner Filmfest 2006 stellten sich Regisseur Hans Steinbichler sowie Hauptdarsteller Josef Bierbichler und Sibel Kekilli unseren Fragen. Bierbichler brachte durch sein demonstratives Desinteresse das Publikum zum Lachen und hielt sein Gesicht phasenweise hinter einem Taschentuch versteckt.
erschienen am 25. 11. 2006
Eugen Haller/Filmfest München
Regisseur Hans Steinbichler (Filmfest München 2006)
Ricore: Wie ist die Geschichte entstanden?

Hans Steinbichler: Ich bin auf einer Reise einem Produzenten begegnet, der mir von einer Geschichte erzählt hat. In dieser Geschichte kamen zwei Stichworte vor, eine Winterreise und ein manisch-depressiver Mann. Ich wollte mit Josef Bierbichler zusammen arbeiten. Die Frage war, finde ich etwas für ihn. Als ich Winterreise und manisch-depressiv hörte, war das für mich wie Amalgam. Ich musste sofort an Josef Bierbichler denken. Ich habe dem Regisseur im Wahn gesagt, geben Sie mir das Buch, ich habe einen Hauptdarsteller und ich will diesen Film machen. Ich habe nach einer Woche das Buch dem Josef gegeben und ihn nach seiner Meinung gefragt und so ist das ins Rollen gekommen. Mir fällt in Deutschland niemand ein, der eine Alternative gewesen wäre. Für mich war die Grundvoraussetzung, dass der Josef zusagt. Das war der erste Teil. Für jemanden wie Josef, für diese Figur braucht man ein Gegengewicht und dieses Gegengewicht versuchte ich in zwei anderen Figuren zu finden, nämlich in Hanna Schygulla und Sibel Kekilli. Wir haben lange gekämpft. Ich wollte keinen Film über eine Krankheit oder manische Depression machen, ich wollte aber auch keinen Kriminalfilm drehen. Mich hat interessiert was man aus einer Figur wie Josef Bierbichler herausholen kann.

Ricore: Wie war es, den Film als fertiges Werk zum ersten Mal zu sehen?

Sibel Kekilli: Ich haben den Film beim Synchronisieren zum ersten Mal gesehen. Ich wollte den Film erst sehen, wenn er komplett fertig gestellt ist. Wenn man das Drehbuch liest und dann zum Schluss den fertigen Film sieht, ist das immer anders.

Ricore: Was hat sich verändert? Was war der Unterschied?

Kekilli: Leyla ist durch den Schnitt offener geworden.
Eugen Haller/Filmfest München
Sibel Kekilli bei der Premiere von "Winterreise" (Filmfest München 2006)
Steinbichler: Das ursprüngliche Drehbuch war sehr stark von einer Geschichte getrieben. Es versuchte, eine Krankheit zu beschreiben. Meine Empfindung war, wenn man einem Protagonisten eine Krankheit aufklebt, werden seine Gefühle nicht mehr ernst genommen. Ich wollte, dass es nur im Verborgenen aufscheint und dass es durch Schubert transportiert wird und vor allem wollte ich die Emotionen nach vorne holen und die Geschichte nach hinten drücken. Das Ursprungsbuch war für ein anderes Casting vorgesehen. Es waren andere Schauspieler und Regisseure vorgesehen. Das Buch hat einen irrsinnig langen Weg gemacht. Das Drehbuch musste auf Josef umgeschrieben werden, weil ursprünglich ein Mann aus dem Sauerland ein konkretes Vorbild abgab. Aber Josef war eben da und deshalb wurde es umgeschrieben.

Ricore: Wurden die anderen Figuren zurückgefahren?

Steinbichler: Nein, überhaupt nicht. Eher das Gegenteil. Ich habe versucht, die Figuren etwas hochzufahren. Die waren mir zum Teil zu nebensächlich. Aber was ich versucht habe, war die Geschichte zu ändern. Ein Krimi hat mich nicht interessiert.

Kekilli: Als ich das Drehbuch gelesen habe, war Leyla zunächst viel weniger präsent. In Kenia kam sie fast nicht vor. Als wir gedreht haben, hat sie ihm immer wieder widersprochen. Durch den Schnitt sind - was ich richtig finde - die Widersprüche reduziert worden.

Steinbichler: Wir haben ein Urbuch gehabt, wir haben eine Fassung gehabt, die wir gedreht haben und im Schnitt haben sich andere Dinge ergeben. Die Sprachlosigkeit von Leyla war ganz wichtig. Was im Schnitt evident wurde, ist dass man da noch nachhelfen kann.

Kekilli: Wenn ich ein Drehbuch lese, sehe ich es mit anderen Augen, stelle mir es anderes vor und der Regisseur stellt es sich wieder anders vor. Und zum Schluss hat der Regisseur die Fäden in der Hand - das finde ich gut. In diesem Fall haben wir denselben Blick gehabt. Ich rede jetzt von anderen Drehbüchern.

Ricore: Die Musik spielt in "Winterreise" eine wichtige Rolle. Herr Bierbichler, haben sie früher schon einmal gesungen, oder war das Ihre Premiere?

Josef Bierbichler: In der Volkschule haben wir immer gesungen. In der Schauspielschule gibt es auch Gesangsausbildung auf niedrigstem Niveau und ich habe einen Bruder der hat Musik studiert und mit dem habe ich versucht Kunstlieder aufzuführen. Das kam mir sehr entgegen, musste ich doch für diesen Film Schubertlieder singen. Ich hoffe die Frage ist damit beantwortet.

Steinbichler: Nicht ganz. Für mich war es eine Sollbruchstelle im Film. Kann man Schubertlieder mit anderen Musikrichtungen kombinieren? Das ist für mich keine lustige Sache, sondern etwas sehr ernstes. Ich hätte keine Lust, Schubert den Hunden zum Fraß vorzuwerfen, nur damit sie ihn finden.

Bierbichler: Aber das merkt doch jeder, dass du das noch nie gemacht hast und ich auch nicht...
erschienen am 25. November 2006
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