Jean-François Martin/Ricore Text
Dustin Hoffman
Hoffman über Trauer und magische Momente
Interview: Schmutziger Erfolg
Ein Charmeur der alten Garde, ohne Allüren, dafür voller Charisma und Esprit: Hollywood-Star Dustin Hoffman ist ein gleichermaßen humorvoller wie tiefsinniger Gesprächspartner. Seine Geschichten und Gedanken möchten süchtig machen, und so ist die knappe halbe Stunde Interviewzeit viel zu knapp bemessen - nicht einmal eine Minute für jedes seiner 36 Karrierejahre.
erschienen am 30. 03. 2003
Szene aus: Moonlight Mile
Reichlich kurz, um über sein Leben, seine Familie und seine Ängste zu sprechen. Und über seinen neuen, herz zerreißenden Film "Moonlight Mile", in dem er den tragischen Tod seiner Filmtochter verarbeiten muss. Auch Dustin Hoffman spürt dies und überzieht unsere Gesprächszeit großzügig - ohne Rücksicht auf die rollenden Augen der Publicity-Agentin. Der Mann hat eben viel zu erzählen, und ans Aufhören denkt er trotz seiner 65 Jahre noch lange nicht. Zum Glück, denn Altern kann so schön sein!

Frage: Mr. Hoffman, in "Moonlight Mile" spielen Sie nur eine Nebenrolle. Warum haben Sie trotzdem zugesagt?

Dustin Hoffman: Regisseur Brad Silberling erzählte mir von den tragischen Hintergründen des Projekts: Seine Freundin wurde 1989 ermordet, der Film basiert also auf seinen eigenen Erfahrungen. Während des Gesprächs sah ich in seine Augen, und da wurde mir plötzlich klar: Du hast noch nie in einem Film gespielt, der auf einem so intimen und persönlichen Background basiert wie "Moonlight Mile". Daraufhin musste ich einfach zusagen.

Frage: War es schwer, sich in die Rolle des trauernden Vaters hineinzuversetzen?

Hoffman: "Tootsie" war eine Herausforderung, glauben Sie mir. (lacht) Aber diese Rolle? Nein. Ich habe selbst sechs Kinder und weiß, was ein plötzlicher Tod für mich bedeuten würde. Den Verlust zu verdrängen und abzublocken ist ein Verhalten, das ich sehr gut nachempfinden kann.

Frage: Zumal der Vater im Film keine Möglichkeit mehr hatte, sich mit seiner Tochter auszusprechen...

Hoffman: Es gibt nichts Schlimmeres als den plötzlichen Tod einer geliebten Person, der man etwas Entscheidendes nicht mehr sagen konnte.
Szene aus: Moonlight Mile
Ricore: Kann man so ein Erlebnis überhaupt verkraften?

Hoffman: Nein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Warum gehen die Verwandten eines Opfers zur Hinrichtung des Mörders?

Ricore: Um Genugtuung zu erfahren und den Schmerz zu lindern?

Hoffman: Ja, aber jeder von ihnen muss sich danach eingestehen, dass die Hinrichtung nichts an der Situation geändert hat. Die Erinnerung und der Schmerz packen sie immer wieder. Man kann einfach nicht entkommen.

Ricore: Wie würden Sie in einer solchen Situation reagieren?

Hoffman: Ich möchte nicht darüber nachdenken. (zögert) Ich will Ihnen etwas verraten: Kurz nach Drehbeginn starb ein sehr guter Freund meines sechzehnjährigen Sohnes bei einem Autounfall. Mein Sohn war sehr traurig. Er war desillusioniert und konnte es nicht begreifen. Kinder halten sich in diesem Alter doch eigentlich für unsterblich! Das hat gereicht, um mich vollkommen fertig zu machen.

Ricore: Können Sie ein derart emotionales Projekt nach Drehschluss einfach zur Seite legen?

Hoffman: So etwas ist unmöglich. Kennen Sie dieses schreckliche Gefühl von Angst, wenn Sie nachts plötzlich aufwachen und sich unwohl fühlen?

Ricore: Jeder Mensch war vermutlich schon einmal in dieser Situation...

Hoffman: Es handelt sich um dieselbe Art von Angst, die auch bei mir während eines kreativen Prozesses immer wieder auftritt: Die Angst, etwas nur mäßig zu erledigen, obwohl ich zu mehr in der Lage gewesen wäre. Die Angst, eine miserable Leistung abzuliefern. Diese Sorgen umhüllen dich wie eine Wolke, lassen dich einfach nicht mehr los.
Szene aus: Moonlight Mile
Ricore: Erinnern Sie sich noch an Ihre miserabelste Leistung?

Hoffman: Nein, da gab es zu viele. (lacht) Aber ich erinnere mich an diese besonderen Momente, die eine gewisse Magie besaßen. Augenblicke, in denen sich etwas zu verselbständigen schien.

Ricore: Zum Beispiel?

Hoffman: Vor ein paar Jahren spielte ich am Theater. Als nach einer grandiosen Szene der Vorhang fiel, konnte ich einfach nicht begreifen, was gerade auf der Bühne passiert war. Die Szene war voll unbeschreiblicher Magie und Kraft. Dieses Gefühl ist unglaublich, tritt aber leider sehr selten auf. Meinen Sie nicht auch?

Ricore: Sie sollten einfach öfter Siegertypen spielen. Vielleicht hören die Versagensängste dann auf.

Hoffman: Oh, vor diesen Rollen hätte ich vermutlich noch größere Angst. Apropos Siegertypen. Ich wüsste da einen erstklassigen Witz. Wollen Sie ihn hören?

Ricore: Sehr gerne.

Hoffman: Also: Eine sehr attraktive Frau steht allein mit in einem Fahrstuhl. Die Frau wird nervös und stammelt: "Mr. Trump, Sie sind so sexy, so toll, ich habe alle Ihre Bücher gelesen, Fotos von Ihnen hängen in meiner ganzen Wohnung, Sie sind Teil meiner schmutzigsten Phantasien, egal mit wem ich schlafe, immer muss ich an Sie denken, ich kann nicht anders, bitte, bitte, darf ich Ihnen hier und auf der Stelle einen blasen?" Donald Trump schaut sie an und sagt ganz gelassen: "Und was springt dabei für mich heraus?" (lacht). Ist das nicht ein guter Witz?
Szene aus: Moonlight Mile
Ricore: Sie sollten öfter mal Komödien spielen...

Hoffman: Schon möglich, aber die Komödie ist das schwierigste und am wenigsten geschätzte Genre überhaupt. Zum Beispiel hat Charles Chaplin nie einen Oscar bekommen!

Ricore: Seit über dreißig Jahren sind Sie jetzt im Filmbusiness. Wie hat sich Ihre Einstellung gegenüber der Schauspielerei im Laufe der Jahre geändert?

Hoffman: Die Wahrheit ist, dass ich niemals erwartet hätte, ein Filmstar zu werden. Ein Traum ist wahr geworden. Andererseits ist Erfolg schmutzig und macht dich fertig. Es gibt keinen Ausweg. Du kannst zwar versuchen, nur wenig von der Strahlung abzukriegen, aber verstrahlt wirst du trotzdem. Erfolg zwingt dich, Dinge zu tun, die du eigentlich gar nicht willst. Das habe ich mittlerweile gelernt.

Ricore: Können Sie das konkretisieren?

Hoffman: Nach "Die Reifeprüfung" hatte ich auf einmal sehr viel Geld und ein paar Rollenangebote. Anfangs blieb ich meiner Linie treu und lehnte lukrative Angebote ab, wenn mir die Story nicht gefiel. Später wurde mir dann nahe gelegt, bestimmte Nebenrollen abzusagen, obwohl ich sie gerne gespielt hätte. Eines Tages riet mir mein Manager, eine wirklich schlechte Rolle zu spielen, um das Geld für ein Haus aufzubringen, das ich damals gerne haben wollte. Ich sagte zu. Das war das erste Mal, dass ich in den Sumpf hineingezogen wurde.

Ricore: Wie lange werden wir Sie eigentlich noch auf der Leinwand sehen - egal, ob in guten oder schlechten Filmen?

Hoffman: Hey, ich bin gerade erst am Anfang. Luis Buñuel hat mit siebzig noch Regie geführt, Picasso hat mit neunzig noch gemalt und mein Freund Sam hat mit sechzig noch masturbiert. Das sind meine Vorbilder! (lacht)
erschienen am 30. März 2003
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