Jean-François Martin/Ricore Text
Fatih Akin
Fatih Akin erobert Cannes!
Interview: Die Welt besteht aus Zyklen
Mit seinem Film "Auf der anderen Seite" hielt Fatih Akin (33) in Cannes die deutschen Farben hoch. Für die Goldene Palme hats nicht ganz gereicht, aber die Teilnahme im Hauptwettbewerb und der Preis für das beste Drehbuch ist auch nicht zu verachten. Wir sprachen mit Akin über seinen Wettbewerbsfilm und warum er dieses Mal auf eine langatmige Erzählweise setzt.
erschienen am 28. 05. 2007
Pandora
Auf der anderen Seite
Ricore: Herr Akin, wie kam es zu "Auf der anderen Seite"?

Fatih Akin: Es gab mehrere Facetten, Anekdoten, Fenster und Türen, die gleichzeitig passierten und den Schreibprozess von "Auf der andere Seite" vorangebracht haben. Der Film ist relativ schnell entstanden. Genau vor einem Jahr haben wir noch nicht einmal gedreht, sondern steckten mitten im Probenprozess. Im Jahr davor - im Mai 2005 - gab es noch nicht einmal ein Drehbuch. Wenn ich mir den Film ansehe und darüber nachdenke, wie viel eigentlich in dem Film enthalten ist, wie voll er eigentlich ist, dann kommt es mir selbst vor, als wäre es eine Arbeit von mehreren Jahren. Aber auch wenn ich es gerne gewollt hätte: Die Zeit von fünf bis sechs Jahren gab es einfach nicht.

Ricore: Warum hat das der Qualität des Films nicht geschadet?

Akin: Es gibt quantitative und qualitative Zeit. Aus Druck ist bei uns etwas Gutes entstanden. Ich bin zufrieden mit dem Film, oder sagen wir: Zufrieden genug. Ich sehe in dem Film zwar sehr viele Fehler, vor allem im technischen Bereich, aber ich sehe ihn als Momentaufnahme. Während ich ihn gedreht habe, dachte ich: "Oh, das ist ja alles furchtbar altmodisch. Das spielt ja in den 1970ern!" Dann habe ich aber gemerkt: Nein, nein, das ist nicht altmodisch. Zeit, das habe ich gelernt, bewegt sich in Zyklen. Zeit ist nicht etwas, das geradeaus geht. Genauso wie Kino wiederholt sie sich immer. Das ganze Leben, die ganze Welt, besteht aus Zyklen.

Ricore: Fühlen Sie sich als Deutscher?

Akin: Das kann ich so nicht sagen. Ich komme aus Hamburg und Istanbul, mein Leben besteht aus Ambivalenz. Meine Filme sind Gemälde, die natürlich stark von diesen beiden Hintergründen geprägt werden.
Pandora
Fatih Akin
Ricore: Ihr neuer Film ist auffallend langsam erzählt. Warum?

Akin: Weil ich bei vielen Filmen ständig das Gefühl habe, dass wir uns nicht genug Zeit nehmen. "Auf der anderen Seite ist deshalb das Distanzierteste, was ich jemals gemacht habe. Die Kamera ist am weitesten weg, ich versuche dem Raum Atem und dem Zuschauer die Chance zu geben, das, was er sieht, auch zu glauben und nicht auszusteigen. Ich ergreife auch keine Partei, sondern lasse den Zuschauer selbst entscheiden.

Ricore: Was hätten Sie gemacht, wenn Sie Sonntagabend die Goldene Palme bekommen hätten?

Akin: Was ich dann gemacht hätte? Ich hätte mich wahnsinnig gefreut. Ein Gewinn wäre schön für mich, für meine Karriere - und auch für Deutschland gewesen.

Ricore: Verkauft sich der Film nicht von ganz von alleine?

Akin: Nun ja, es ist und bleibt immer noch ein Independent-Film, der diese Form der Aufmerksamkeit schon bräuchte, um international den großen Durchbruch zu schaffen. Ich hatte für den Film 3 1/2 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist für Deutschland nicht wenig, aber eben auch keine Bernd Eichinger-Produktion.
erschienen am 28. Mai 2007
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Für den Sohn türkischer Einwanderer steht schon mit 16 Jahren fest, dass er ins Filmgeschäft einsteigt. Er engagiert sich im Schultheater, übernimmt kleinere TV-Rollen und schreibt schließlich ein eigenes Drehbuch. Dieses gefällt Produzenten Ralph Schwingel so gut, dass er eine langjährige Zusammenarbeit mit dem damals 19-Jährigen beginnt. Nach seinem Abitur schließt Fatih Akin im Jahr 2000 sein Studium an der Kurz und schmerzlos". Es folgen weitere Spielfilme und Dokumentationen, darunter die..
2024