Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Alexander Fehling auf dem Filmfest München 2007
Dialog zwischen Generationen
Interview: Fehlings Luxus
Alexander Fehling ist für das Kinpublikum eine Neuentdeckung. In Berlin kennt man ihn bereits von der Theaterbühne. Der 26-jährige Berliner war in "Ein Freund von mir" (2004) zu sehen bevor er die Hauptrolle in Robert Thalheims "Am Ende kommen Touristen" bekam. Er kann zwar noch nicht auf große Kinorollen zurückblicken, vielmehr steht er am Anfang einer viel versprechenden Karriere. Auf dem Filmfest in München wurde er mit dem Förderpreis als bester Schauspieler ausgezeichnet.
erschienen am 19. 08. 2007
X-Verleih
Alexander Fehling mit Ryszard Ronczewski
Ricore: Was hat Sie an dem heiklen Thema fasziniert?

Alexander Fehling: Das, worum es im Film eigentlich geht. Die Annäherung an ein für meine Generation schwer fassbares Thema. Viele in meinem Alter beschäftigen sich damit, welchen Meinung man in diesem Thema hat. Muss man eine Meinung dazu haben oder reicht es, darüber etwas zu wissen? Ganz konkret im Film hat mich die Hauptfigur Sven interessiert. Letztendlich geht es nicht nur um ihn. Es geht um viele andere Dinge, Figurkonstellationen und das Verhältnis mit dem Alten. Ich wollte einen Charakter darstellen, den man auch kennen lernt und da ist trotzdem Raum für mehr.

Ricore: Weiß die jüngere Generation, wie sie mit dem Thema umgehen soll?

Fehling: Das ist die Frage. Wie können wir uns zwei Generationen danach an etwas erinnern, was wir selbst nicht erlebt haben. Es geht ja immer um Erinnerung und der Haltung zu dem, was passiert ist. Sven hat es ganz normal in der Schule mitbekommen. Das hat aber eine Grenze. Man weiß davon, aber man kommt nicht näher an das Thema heran. Man versucht einen Zugang zu finden, stößt aber immer an den Punkt, wo man sagt: "Ich weiß auch nicht weiter!". Warum soll ich daran schuld sein? Als Deutscher muss man das akzeptieren. Es ist eine Ratlosigkeit, die man akzeptieren muss. In dem Film ist er erst emotional betroffen, als er durch den Alten und Ania einen persönlichen Bezug bekommt. Diese Ratlosigkeit ist eine allgemeine Erscheinung. Als ich 14, 15 war, sind wir mit der Schulklasse nach Sachsenhausen gefahren. Man weiß, dass wenn man da reinkommt, werden alle um einen herum weinen. Vielleicht weine ich. Aber manchmal ist die Erwartungshaltung, dass man betroffen sein muss. Was auch real ist und richtig ist. Andererseits verfärbt diese Erwartungshaltung den Blick auf das, was man da zu sehen bekommt. In diesem komischen Spannungsfeld bewegt man sich. Man weiß nicht mehr, was von innen kommt und was von dem Wissen kommt, dass man weiß, dass alles schrecklich war. Es gab eine Szene im Film, in der Sven die Kofferausstellung besucht. Da war auch eine 80-jährige Polin, mit der ich mich unterhalten habe. Sie war total fassungslos, wieso er da nicht geweint hat. Es ist total interessant. Einerseits ist es ein Generationsunterschied und auf der anderen Seite ist es ein total deutsches Thema. Die Polin fragt, wieso ist er nicht emotionalisiert und ich als 26-jähriger Deutscher sage, ich will es nicht sehen. Ich will es auch nicht im Kino sehen. Alles ist schon 1.000 Mal passiert. Das war der ausschlagende Punkt für mich. Es geht nicht darum, was Sven empfindet.

Ricore: Sind Sie schon mal in Polen gewesen?

Fehling: Ich bin mal durchgefahren.

Ricore: Ist es Ihnen wie Sven ergangen?

Fehling: Ich bin genau wie Sven relativ naiv und unbedarft dahin gegangen. Ich hatte das klassische Allgemeinwissen. So bin ich in Oswiecim angekommen. Man hört Auschwitz nur als Lager und ich fand eine kleine Stadt mit 40.000 Bewohnern vor. Da scheint die Sonne, da fließt ein Fluss, alles hat ein mediterranes Flair. Das hat mich unglaublich überrascht, davon erzählt niemand. Daneben ist dieses Lager und in diesem Spannungsfeld bewegt man sich. Am Anfang habe ich mir alles angeschaut, aber wir haben auch sehr viel gearbeitet. Ich habe keinen Alltag wie Sven erfahren.
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Alexander Fehling in "Am Ende kommen Touristen"
Ricore: Wie war die Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen?

Fehling: Sehr angenehm. Ryszard Ronczewski war toll.

Ricore: Hat er für die Rolle deutsch gelernt?

Fehling: Er konnte ein bisschen deutsch. Aber er hat sich auch darauf vorbereitet. Es war ein bisschen schwierig für ihn. Am Anfang hatten wir eine Sprachbarriere, aber wir gingen sehr vorsichtig miteinander um. Er ist sehr offen und an uns jungen sehr interessiert. Ein sensibler, herzlicher alter Mann. Ich habe es sehr genossen.

Ricore: Wie war die Erfahrung in Cannes?

Fehling: Sehr aufregend. Ich hatte den Film zuvor nicht gesehen gehabt. Ich habe ihn dort zum ersten Mal gesehen. Sehr spannend. Der Film ist sehr gut angekommen. Wir waren glücklich, ich hatte schon mal gehört, dass da oft sehr kühl reagiert wird, dass die Leute einfach rausgehen oder Hefte nach vorne schmeißen. Da sind keine Freunde, die den Film gut finden müssen. Aber die Zuschauer waren sehr konzentriert und es gab einen warmen Applaus. Danach sind einige auf uns zugekommen. Da war ich sehr froh. Es ist ja ein kleiner Film - kein Blockbuster. Das ist sicherlich ein Thema, das nicht unbedingt die Leute ins Kino lockt. Man hört "Auschwitz" und denkt sich: "Dann schaue ich mir lieber "Spider-Man" an. Viele waren letztendlich positiv überrascht. Cannes war wichtig.

Ricore: Sie spielen auch Theater. Inwieweit unterscheidet sich die Bühne und von der Kamera?

Fehling: Schwierige Frage. Ich spiele gerade in Berlin "Wallenstein" von Schiller. Vielleicht ändert sich meine Ansicht mit der Erfahrung. Beim Theater gibt es eine große Vorgabe - das Stück, die Sprache. Das ist ein artifizielles Konstrukt, was man erstmal begreifen muss. Man kann es lesen, aber um zu verstehen, und zu ordnen, was hat welche Funktion, muss man etwas finden, was man dann ausfüllt. Und beim zweiten und dritten Schritt muss man den individuellen und emotionalen Punkt findet. Warum sagt die Figur das so? Vom Großen geht man immer mehr ins Kleine, dass es eine Figur wird, der man die Sätze abnimmt. Beim Film ist es ungekehrt. Bei der vorgegeben Situation im Drehbuch überlege ich mir, was die Figur in dieser Situation denkt. Man arbeitet sich eher vom Kleinen vor. "Ich habe dir Milch mitgebracht", das kann man auf tausenderlei Art und Weisen sagen. Es ist schwer zu beschreiben. Ich habe versucht nach meinem individuellen Empfinden eine Figur zu entwickeln. Im Theater geht man beim Vorgegeben auf eine individuelle Suche. Es sind Gegenbewegungen.

Ricore: Was würden Sie am liebsten machen?

Fehling: Ferien. (lacht) Nein, ich würde gerne beides machen.

Ricore: Das ist aber ein Luxus...

Fehling: Das ist ein Luxus, klar. Ich will Luxus. Es wird sicherlich eine Weile dauern bis das geht. Aber ich würde mich gerne nach dem Inhalt, dem Stoff entscheiden. Wenn es ein Hörspiel oder Lesung oder Theater oder Film ist, es spielt keine Rolle ob es 50 oder 1.000 Zuschauer sind, ich will möglichst viele unterschiedliche Sachen mit neuen Leuten machen. Immer eins und dasselbe ist nichts für mich. Ich brauche Abwechslung. Ich drehe jetzt mit Heinrich Breloer. Er verfilmt "Die Buddenbrooks" von Thomas Mann. Da spiele ich eine kleine, aber wichtige Rolle - die erste Liebe von Tony Buddenbrook, die später unglücklich verheiratet ist.

Ricore: Vielen Dank fürs Gespräch.
erschienen am 19. August 2007
Zum Thema
Alexander Fehling wird 1981 in Berlin geboren. Nach der Schulzeit absolviert er ein Studium an der renommierten Am Ende kommen Touristen" erhält er 2007 den Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" als SS-Soldat Wilhelm zu sehen, der eine Widerstandsgruppe in den Wahnsinn treibt.
Robert Thalheim reflektiert das sensible Thema der deutschen Verbrechen in Auschwitz aus einer erfrischenden Perspektive. Wie kann man an einem Ort leben, dessen Namen zum Symbol für Völkermord geworden ist? Wird die Geschichte in Museen banalisiert oder helfen Gedenkstätten gegen das Vergessen? Anhand der persönlichen Erfahrungen des jungen Deutschen Sven (Alexander Fehling) wird das Gefühlskomplex von Schuld und Verantwortung aufgearbeitet.
2024