Andrea Niederfriniger/Ricore Text
John Lasseter
John Lasseters Pionierarbeit
Interview: Der kreative Kopf von Pixar
John Lasseter ist der kreative Kopf in Pixars und Disneys Animationsstudios. Er trennt seine Aufgaben in den beiden Unternehmen strikt voneinander. Zur Premiere von Pixars neuestem Streich "Ratatouille" traf sich das Ricore-Team mit dem Produzenten und Regisseur in Paris. Die Geschichte rund um die kochende Feinschmeckerratte spielt in der Stadt der Liebe. Nicht weit vom Eiffelturm steht uns Lasseter Rede und Antwort. Dabei lobt er die Arbeit von Regisseur Brad Bird. In seinen Augen ist die Begeisterung seiner Arbeit bei Pixar im wahrsten Sinne des Wortes abzulesen. Doch er stellt sich auch kritischen Fragen.
erschienen am 3. 10. 2007
Walt Disney Studios Motion Pictures Germany)
Ratatouille
Ricore: Pixars bisherige Filme haben unterschiedliche Stilrichtungen. Woran liegt das?

John Lasseter: Ich liebe den Kontrast. Ich verbinde gerne Science-Fiction-Elemente mit anderen Stilrichtungen, wie beispielsweise in "Die Unglaublichen - The Incredibles". Auch in "Cars" kontrastieren wir den europäischen Stil mit unserem amerikanischen.

Ricore: Welche genaue Rolle nehmen Sie bei Pixar ein?

Lasseter: Ich bin Chief Creative Officer. Ich überwache alles, was im kreativen Bereich bei Pixar passiert. Dieselbe Funktion habe ich bei Disney Studios. Zudem vermittle ich zwischen den beiden...

Ricore: Inwiefern unterscheidet sich Pixar von anderen Studios?

Lasseter: Pixar ist einzigartig und unterscheidet sich künstlerisch von allen anderen Studios. Wir sind nicht nur ein ausführendes Studio, sondern auch ein leitendes. Die Regisseure entscheiden sehr viel mit, sie machen Geschichten, die sie wirklich interessieren, wo sie mit ganzem Herzen dabei sind. Als Kopf des Studios ist es natürlich meine Aufgabe, die Animatoren in allem zu unterstützen. Das Wichtigste dabei ist, ehrlich zu sein, vor allem wenn die Dinge nicht so laufen wie man will. Wir machen sehr viele Sitzungen, bei denen alle Regisseure und Chef-Animatoren dabei sind. Wir sehen uns Filme gemeinsam an und sprechen darüber. Daraus ergeben sich Ratschläge und Tipps. Zudem hat jeder Regisseur die Möglichkeit, mit anderen Regisseuren in Kontakt zu treten, wann immer sie Probleme haben oder einfach nicht weiterkommen. Jeder einzelne von ihnen trägt dazu bei, dass der nächste Film noch besser wird, als der vorhergehende. Das steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Bei Pixar geht es darum, dass wir alle gleichgestellt sind und jeder jedem hilft. Das Endergebnis ist ein großartiger Film.
Pixar
John Lasseter mit Familie
Ricore: Haben Sie keine Angst, dass das Publikum von Animationen die Nase voll hat? Speziell in den letzten zwei Jahren waren sie in die Kinos sehr präsent.

Lasseter: Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten: Befürchten Sie jemals, dass der Filmmarkt von Realfilmen übersättigt sein wird? Nein, warum also sollten wir uns Sorgen machen, dass der Animationsmarkt ausgeschöpft sein könnte? Ein Jahr hat 52 Wochen. Im Jahr 2006 kamen gerade mal 16 Animationsfilme auf den Markt. Das ist fantastisch. Ich liebe Animationen. Rund um die ganze Welt strömt das Publikum in die Kinos, um sich Animationen anzusehen. Ich bin äußerst motiviert, in Animationen mein Geld zu investieren, egal von wem und wo sie produziert werden. Ob sie nun gut sind oder nicht, hängt von den Filmemachern ab. Aber ich kenne nur gute Regisseure, die in diesem Bereich arbeiten. Ich liebe es, in einer gesunden Filmindustrie zu arbeiten.

Ricore: Viele Animatoren wechseln das Fach und gehen zur Computer-Animation über, weil sie denken, das ist das Wahre. Dadurch kommt man weg von Papier und Bleistift...

Lasseter: Ich habe noch nie verstanden, warum Studios immer mehr von gezeichneten zu Computeranimierten Trickfilmen wechseln. Ich liebe diese Form der Animation. Man kann nicht sagen, dass das Publikum nur noch Computeranimation sehen will. Das ist so, als würde man sagen, die Studios wollen ihre Filme nur noch mit jener Kamera drehen, mit welcher die erfolgreichsten Filme gedreht wurden. Das ist einfach lächerlich. Natürlich hat sich die Situation seit dem ersten Spielfilm geändert, als der Zug im Kinosaal auf sie zufuhr und alle Zuschauer aus dem Saal liefen. Aber seit D. W. Griffith geht es ausschließlich darum, eine Geschichte zu erzählen. Das ist das einzige Werkzeug, das man braucht. Genauso ist es bei den Journalisten. Sie arbeiten mit Textverarbeitungsprogrammen, manche benutzen vielleicht immer noch eine Schreibmaschine, aber diese Werkzeuge alleine schreiben keine Geschichten. E kommt nur darauf an, was man mit Hilfe des Werkzeuges kreiert. Darauf konzentrieren wir uns. Und als Chief Creative Director bei Disney will ich aus dem Studio ähnlich wie bei Pixar ein leitendes Studio machen. Das ist unser Ziel.
Pixar
John Lasseter mit Produzent Brad Lewis
Ricore: Überschreiten Sie dabei manchmal Grenzen?

Lasseter: Das tun wir tatsächlich. 1983 habe ich mit Ed Campbell bei den ursprünglichen Lucas Film Computer Division angefangen zu arbeiten - die Firma wurde im Februar 1986 von Steve Jobs aufgekauft und daraus wurde Pixar gegründet. Diese Zeit war meine kreativste Zeit. Wir überschritten ständig die Grenzen der Technologie. Das liebe ich an Pixar. Das Studio hat vieles in der Computeranimation weiterentwickelt. Was Pixar einzigartig macht und was ich immer geliebt habe, ist die Zusammenarbeit zwischen den Künstlern, der Technologie und den Computerwissenschaftlern. Früher erschufen die gleichen Leute die Figur und die Animation. Ich gehöre zu den ersten, die darauf geschult wurden, mit Computeranimationen zu arbeiten. Von den Disney-Trickfilmzeichnern lernte ich, wie man durch pure Bewegung einer Figur eine einzigartige Persönlichkeit oder Emotionalität verleiht. Alles, was Pixar bisher gemacht hat, auch die Kurzfilme, hat niemand vor uns jemals gemacht. Pixar leistet Pionierarbeit und jeder, der dort arbeitet, ist sich dessen bewusst. Alle Künstler, die bei Pixar arbeiten, wollen herausgefordert werden, sie alle geben ihr Bestes. Alle beteiligten Personen müssen 100 Prozent geben. Ob ein Film gut oder schlecht wird, liegt schlussendlich in den Händen einiger weniger Personen. Und ich weiß, dass ich einer von ihnen bin. Das Schönste ist natürlich, nachher zu sehen, dass sich die harte Arbeit ausgezahlt hat. Ich möchte nachher nicht im Kino sitzen und denken 'Was, ich habe mich dafür fast umgebracht?' Auch für unsere Familien ist diese Zeit sehr schwer. Während wir an dem Film arbeiten, sind wir sehr viel weg, da muss das Ergebnis schon außergewöhnlich sein.

Ricore: Sind Sie mit "Ratatouille" zufrieden?

Lasseter: Wir sind sehr glücklich mit dem Film. Wir haben alles getan, um ihn gut zu machen. Wenn die Lichter ausgehen, die Musik leiser wird, gibt es keine Entschuldigung mehr. Dann wird abgerechnet. Und genau deshalb haben wir so hart daran gearbeitet. Wenn wir die Sache gut machen, dann dauern unsere Pixar Filme Generationen an. Gute Animation kann Jahre überstehen.

Ricore: Wie würden Sie ihre Art der Animation beschreiben?

Lasseter: Man kann nicht sagen, das ist amerikanische, das japanische oder das europäische Animation. Die Bandbreite ist sehr groß. Es gibt Animationen für Erwachsene, Science-Fiction-Animationen etc. Einige Animationen überschreiten kulturelle Grenzen.
Pixar
Eingang zu Pixar
Ricore: Wird es eine Verschmelzung zwischen Disney und Pixar geben?

Lasseter: Um eines klar zu stellen: Pixar wird vom Animations-Studio Disney immer getrennt bleiben. Zwischen uns besteht eine Art Verwandtschaft, wir sind wie Cousins. Wir sind gut befreundet. Wir wollen nicht, dass Disney ein zweites Pixar wird und umgekehrt. Es sind zwei verschiedene Gruppen von Künstlern. Worauf wir auch stolz sind. Disney hat die einzigartige Fähigkeit, einen Charakter am Leben zu erhalten. Erst durch diese Firma kam ich zum Filmbusiness und bin heute sehr stolz darauf, Teil des Unternehmens zu sein.

Ricore: Der neue Pixar Film erzählt ähnlich wie die Vorgänger eine Geschichte...

Lasseter: Auf eine Sache bin ich sehr stolz: Alle Pixar-Filme sind sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gedacht. Wir wollen das Publikum nicht unterrichten, dennoch sind unsere Themen vielschichtig. Wir geben unseren Filmen Emotionen. "Ratatouille" ist ein ungewöhnlicher Film. Es geht ja schließlich um Ratten in der Küche. Für den Rest meines Lebens werde ich sehr stolz auf "Ratatouille" sein. Das ist nun der achte Film aus dem Hause Pixar und ich bin auf jeden einzelnen sehr stolz. Wenn man die bisherigen Werke betrachtet, besitzt jeder einzelne eine originelle Geschichte, jeder unterschiedet sich vom anderen. Manche bringen einem zum Lachen, andere zum Weinen. Ich bin daher auch sehr stolz auf Brad Bird. Er ist ohne Zweifel ein sehr großer Filmemacher. Wir sind schon seit den 1970er Jahren befreundet. Auch seine Arbeit zu "Die Unglaublichen - The Incredibles" hat mir sehr gut gefallen. Das zeigt schon das große Talent dieses Mannes.

Ricore: Was können wir in Zukunft von Pixar erwarten?

Lasseter: Sehr viel, wir sind fleißig. 2008 kommt bereits der nächste Pixar Film in die Kinos: Dabei geht es um die Liebe zwischen zwei Robotern, also mit Science-Fiction-Elementen. Es wird ein besonderer Film. Danach planen wir "Up", eine Art Actionfilm über einen 80-jährigen Mann. Danach kommt "Toy Story 3". Tim Allen und Tom Hanks werden als Originalstimmen erneut das Publikum verzaubern. Regie führt Lee Unkrich, der als Co-Regisseur bei "Toy Story 2" mit mir zusammenarbeitete.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 3. Oktober 2007
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2024