Port au Prince Pictures
Systemsprenger (2019)

Systemsprenger

Originaltitel
Systemsprenger
Regie
Nora Fingscheidt
Darsteller
Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Lisa Hagmeister, Melanie Straub, Victoria Trauttmansdorff
Medium
DVD
Im Handel ab
27.02.2020 bei EuroVideo Medien
Kinostart Deutschland
Systemsprenger
Genre
Drama
Land
Deutschland
Jahr
2019
FSK
ab 12 Jahren
Länge
120 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
8,0 (1 User)
Extras: 37 Min. Bonusmaterial: Trailer • EPK-Interviews • Featurette • Audiokommentar Menno Baumann
Wenn das Jugendhilfesystem versagt...
Benni (Helena Zengel) hat ihren Stempel im deutschen Jugendhilfesystem weg. Sie gilt als Systemsprenger. Etliche konventionelle Hilfsangebote haben bei der Neunjährigen bereits versagt, auch Aufenthalte in Psychiatrischen Kliniken und Psychopharmaka brachten keine signifikante, langfristige Änderung ihres sozialen Verhaltens. Ohne Vorwarnung rastet sie aus, wenn ihr etwas nicht passt.

Nachdem sie in der Schule in mehrere Prügeleien verwickelt war und mit den anderen Kindern eines Heimes aneinandergeriet, muss die herzensgute Jugendamtsmitarbeiterin Frau Bafané (Gabriela Maria Schmeide) das Mädchen in einer Notfallstation unterbringen. Auch dort ist Benni aber nicht willkommen. Die Erzieher kennen sie bereits und fürchten ihre ständigen Ausbrüche. Bennis soziale Toleranzschwelle ist beinahe auf dem Nullpunkt. Sie hält nicht aus, wenn sie ihren Willen nicht bekommt. Sie reagiert aggressiv, wenn andere Kinder ihr nicht das Lieblingsspielzeug überlassen wollen oder sie mobben. Sie hat nie gelernt, Konflikten friedlich zu regeln.

Ihrem Schicksal nimmt sich Antigewalttrainer Michael 'Micha' Heller (Albrecht Schuch) an, der normalerweise mit älteren Kindern und Jugendlichen arbeitet. Er schafft es, das Vertrauen der 9-jährigen zu gewinnen und sie zu beruhigen. Andererseits ist er auch nachsichtig - die Einnahme ihrer Medikamente kontrolliert er etwa nicht.

Als er die ersten Signale wahrnimmt, dass Benni in ihm einen Ersatzvater sieht, zieht er jedoch die Reißleine. Glücklicherweise findet das Jugendamt eine andere Möglichkeit der Unterbringung. Bennis ehemalige Stiefmutter Silvia (Victoria Trauttmansdorff) will sie erneut bei sich aufnehmen. Aber tief in ihrem Herzen will Benni nur zurück zu ihrer Mutter (Lisa Hagmeister), die mit ihren drei Kindern überfordert ist und Angst vor der eigenen Tochter hat. Daher hat sie der Unterbringung im Heim zugestimmt. Das Erziehungsrecht gibt sie aber nicht auf.
Beinahe ein Jahrzehnt brauchte Nachwuchsregisseurin Nora Fingscheidt, um ihr Herzensprojekt endlich drehen zu können. Trotz mehrerer renommierter Preise für das Drehbuch winkt die deutsche Filmfördung in ihrer 'unendlichen Weisheit' ab. Nur der Einstieg des renommierten Produzenten Peter Hartwig - dem ständigen Partner von Andreas Dresen - rettete den Film.

Fingscheidt besticht durch ihre exzellente Führung der Schauspieler, allen voran der jungen Helena Zengel. Mit ihrer brillanten Performance brennt sie Bennis Hilfeschreie nach Liebe und Anerkennung tief in die Seelen der Zuschauer ein. Auf ihr ruht die gesamte Handlung.

Nur angedeutet werden dagegen die Ursachen für Bennis Verhalten nach einer schweren Misshandlung in der frühen Kindheit und die Überforderung des Systems, in dem viel zu wenige Sozialarbeiter und Psychologen sich um zu viele Kinder kümmern müssen.

Die Regisseurin hat auch hier intensiv recherchiert und deckt unterschwellig das zweite Defizit auf: Die Inkonsequenz der Erwachsenen, aber auch der Behörden. In den Jugendämtern spricht man bei Systemsprengern beschönigend von verhaltensoriginellen oder verhaltenskreativen Kindern. Bei Benni fehlt vor allem die klare Ansage der Behörde gegenüber der Mutter, die das Kind von sich wegstößt und dann wieder auftaucht und dem Mädchen Hoffnungen auf eine Rückkehr ins Elternhaus macht. Durch ihr Verhalten und der Duldung durch das Jugendamt hat Benni keine Chance, endlich zur Ruhe zu kommen.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
Benni (Helena Zengel) kennt alle Stationen des deutschen Jugendhilfesystems. Sie gilt als Systemsprenger.
 
Beinahe ein Jahrzehnt brauchte Nachwuchsregisseurin Nora Fingscheidt, um "Systemsprenger" drehen zu können.
Port au Prince Pictures, Yunus Roy Imer
Lisa Hagmeister & Helena Zengel in "Systemsprenger" (2019)
2024