Koch Media
Väterlicher Gregory Peck in "Shoot Out"
Edelwestern mit Gregory Peck
Feature: Noch eine Bluttat, dann das Leben
Wenn einem Häftling bei der Entlassung aus dem Gefängnis mitgeteilt wird, dass man sich bald wiederseht, dann scheint der Weg des Kriminellen vorgezeichnet. Der von Gregory Peck in "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" verkörperte Revolverheld Clay Lomax denkt aber nicht daran, wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Entschlossen entfernt er die Munition aus seinem Revolver, steckt die ihm zustehenden Silbermünzen in die Tasche und macht sich auf den Weg in sein neues Leben. Zuerst muss er dennoch eine letzte Bluttat begehen, bevor er der Gewalt endgültig den Rücken kehren will.
erschienen am 23. 03. 2012
Paramount Pictures
Little Big Man (1970)
Demontage des Mythos vom Wilden Westen
1971 entstanden, reiht sich Henry Hathaways "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" in eine Reihe von Spätwestern ein, die das Genre wie den Mythos vom amerikanischen Westen einer Demontage unterziehen. Neben jungen Regisseuren wie Sam Peckinpah ("Sacramento"), Arthur Penn ("Little Big Man") und Clint Eastwood ("Der Texaner") betreiben ab den 1960er Jahren vermehrt auch Altmeister wie John Ford ("Der Mann, der Liberty Valance erschoß"), Howard Hawks ("Rio Bravo"), Anthony Mann ("Nackte Gewalt") und Henry Hathaway eine Entmythologisierung des Westerns. Der Mythos von der legitimen Landnahme und der heroischen Zivilisierung des Wilden Westens wird in ihren Filmen als Illusion, ihre Darstellung im Kino als naiv und wirklichkeitsfern entlarvt.

Konzeptionell äußert sich diese revisionistische Haltung vor anderem durch einen neuen Blick auf den Helden. Dieser verliert nicht nur seine mythische Aura, er büßt auch seine friedensstiftende Funktion ein. Er ist nun mehr ein in die Jahre gekommener Mann, der zu blind ist, um zielsicher zu schießen und zu alt, um sein Pferd zu besteigen. Die Brille und nicht mehr Hut und Revolver ist zu seinem unentbehrlichen Gegenstand geworden. Ab und zu findet man ihn sogar im Schlafanzug anstatt in Hemd und Lederstrumpf, die er schon mal selber nähen muss ("Sacramento"). Dieser alternde Held sucht nicht mehr nach der grenzenlosen Freiheit, sondern ein festes Zuhause. Die Frau, die er früher zugunsten seiner Wanderlust immer wieder verlassen musste, wünscht er sich nun allzu gerne an seine Seite ("Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill"). Der neue Westernheld wird im wahrsten Sinne des Wortes domestiziert.
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Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill
Innerlich verdorbener Antiheld
Auf der anderen Seite wird er zunehmend als innerlich verdorbener Antiheld gezeigt. Er ist alles andere als der 'letzte Gentleman', als den ihn Robert Warshow einst bezeichnete. Sein unerschütterliches Ethos löst sich allmählich auf, während der immer größer werdende Konflikt zwischen dem Wunsch nach Freiheit und dem Zwang, sich den Normen seiner Gesellschaft anzupassen, zur moralischen Pervertierung führt. Dadurch hebt er sich kaum mehr von seinem Gegenpart, dem Schurken, ab. Standen sich im frühen Western Held und Bösewicht gegenüber - ein Konflikt, der sich in den frühesten Ausprägungen des Genres nicht selten auch in der Kostümierung äußerte - weißer Cobwoy gegen schwarzen Schurken - löst sich diese Grenze später zunehmend auf ("Der schwarze Falke").

Eine ähnliche Ambivalenz prägt auch das Gesellschaftbild des Spätwestern. Diese ist kein lebendiger und zivilisierter Organismus mehr, keine harmonische Gemeinschaft, sondern ein degenerierter, unstrukturierter Haufen. Sie bildet keinen Gegensatz zur wilden Natur und der Barbarei der Indianer, sondern ist die Fehlentwicklung einer idealen Zivilisation. Entsprechend richtet sich der Kampf der Gemeinschaft nicht mehr nach Außen, sondern nach Innen. Nicht die bedrohliche und lebensfeindliche Wildnis wird bekämpft, sondern die faulen Äpfel im eigenen Korb aussortiert.
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Dawn Lyn mit Gregory Peck in "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill"
Letzter Kampf vor neuem Leben?
Auch "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" zeichnet sich durch einen revisionistischen Blick auf das eigene Genre und den Mythos vom Wilden Westen. Es ist bezeichnend, dass Hathaway die Handlung des Films erst nach der Haftstrafe des Protagonisten ansetzt. Lomax ist ein alter und von der Erfahrung gebrochener Mann. Gleich nachdem er vom Gefängnis entlassen wird, entfernt er erst einmal die Kugeln aus seinem Revolver. Auch wenn er noch einen letzten gewalttätigen Auftrag erledigen muss, wirklich kämpfen will dieser Mann nicht mehr. Und wenn er später von einer Frau das Angebot bekommt, bei ihr zu bleiben, entspricht das durchaus seinem Wunsch, sich endlich zur Ruhe zu setzen. Hathaway besetzt die Hauptrolle mit dem damals 54-jährigen Gregory Peck, genau wie er wenige Jahre zuvor John Wayne für "Der Marshal" verpflichtete. Auch das ist ein charakteristisches Merkmal des Spätwestern: alte Schauspieler, die alte Charaktere in einem verstaubten Genre verkörpern. Bei Peckinpah ist es Randolph Scott, William Holden und Robert Ryan, bei Anthony Mann James Stewart, bei Ford und Hawks wiederum John Wayne - Schauspieler, die noch einmal die Chance bekommen, die vermeintlichen mythischen Figuren des Wilden Westen einer Neuinterpretation zu unterziehen.

Wie andere Spätwestern ist auch "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" eine Dekonstruktion des Mythos einer Gründernation. Ausführlich rückt Hathaway eine Gesellschaft ins Bild, der jedes Bewusstsein für Gut und Böse abhanden gekommen ist. Dabei findet sich die moralische Verhärtung nicht nur in der Welt der Outlaws, etwa im sadistischen Anführer der Dreierbande, dessen Skrupellosigkeit scheinbar keine Grenzen kennt. Auch innerhalb der Zivilisation herrscht Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen. Als Lomax die kleine Decky Ortega (Dawn Lyn) fähigeren Erziehern anvertrauen will, findet er keinen Abnehmer. Weder der Dorfpfarrer noch die Lehrerin des kleinen Ortes sind bereit, sich um das Mädchen zu kümmern. 'Was bringen sie den Kindern bei', fragt der enttäuschte Lomax die unnachgiebige Lehrerin, 'wie man an sich selbst denkt?' Das Kind dem Sheriff anzuvertrauen, kommt für Lomax nicht in Frage. Wieso, das wird nicht ausgesprochen, als Zuschauer ahnt man es aber: Beim vermeintlichen Gesetzeshüter ist das Mädchen jedenfalls nicht gut aufgehoben.

Die moralische Auflösung findet in "Shoot Out - Abrechnung in gun Hill" im physischen Zerfall ihre Entsprechung. Selten hat man im Westerngenre so viele körperlich degenerierte Menschen gesehen. Im Saloon findet man einen im Rollstuhl gefesselten Wirt und Prostituierte mit blauen Augen und anderen Blessuren. Es wird unentwegt geschlagen, gedemütigt und vergewaltigt. Dabei ist Hathaway wenig zimperlich im Umgang mit dem im amerikanischen Kino immer geltenden Tabuthema Sex. Wenn die Outlaws sich eine Frau im Zimmer teilen, hat das nichts mehr mit dem naiven, romantisch-verklärten und harmlosen Prostituiertenbild klassischer Western gemein.
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Väterlicher Gregory Peck in "Shoot Out"
Regen statt Sonne - neues Landschaftsbild
Henry Hathaway fängt diese deprimierende Gesellschaft in grobkörnigen, nüchternen Bildern ein, die andererseits ausgewogen arrangiert und perfekt kadriert sind. Von der ursprünglichen, wilden und doch schönen Natur ist in "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" nicht mehr viel zu sehen. Sie ist rau und unfreundlich. Entsprechend verzichtet Hathaway auf in die Weite schweifende Panoramaaufnahmen. Und den sintflutartige Regen, der im zweiten Drittel des Films fällt und alle Protagonisten zu einer dramatischen Begegnung zusammenführt, hat man bis dahin eher im Film Noir als in einem sonnengefluteten Western gesehen.

Dennoch ist Hathaway trotz seiner düsteren Bilder kein Pessimist. Nicht umsonst stellt er dem alten Revolverhelden ein kleines Mädchen zur Seite. Kaum kommt Lomax mit dem Kind in Kontakt, entdeckt er tiefere menschlichen Eigenschaften in sich. Schon Ford wusste um das identifikationsstiftende Potenzial eines Kindes und ließ in "Spuren im Sand" ein Neugeborenes die raue Schale seiner Outlaws aufbrechen. Ähnlich wiegt Hathaway das Böse, das er überall beobachtet, in Gestalt des Mädchens wieder auf. Es ist das Prinzip Hoffnung in einer Welt, die so nah am Abgrund steht.
erschienen am 23. März 2012
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Der gerade aus dem Gefängnis entlassene Clay Lomax (Gregory Peck) möchte der Gewalt endlich den Rücken kehren und ein neues Leben beginnen. Zuvor muss er jedoch eine letzte Aufgabe erfüllen: Er will sich an seinem ehemaligen Partner Sam Foley (James Gregory) rächen, der ihn einst verraten hat. Dieser ist vorbereitet und hat drei Kopfgeldjäger auf Lomax angeheuert. "Shoot Out - Abrechnung in Gun Hill" ist ein Westernklassiker, der den Mythos vom Wilden Westen und das eigene Genre eine..
Eine Rückenverletzung, zugezogen zu College-Zeiten, bedeutete für Gregory Peck Glück im Unglück. Dadurch wurde er vom Dienst als Soldat befreit und konnte regelmäßig für Hollywood arbeiten. Bereits für eine seiner ersten großen Rollen in "Schlüssel zum Himmelreich" wurde er für den Oscar nominiert. Die begehrte Auszeichnung gewann er 1963 als bester Hauptdarsteller in "Wer die Nachtigall stört". In den 1960er Jahren begann er sich neben seiner Filmkarriere auch politisch zu engagieren. Dabei..
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