Vega Film AG
Film socialisme

Film socialisme

Originaltitel
Film socialisme
Regie
Jean-Luc Godard
Darsteller
Marie-Christine Bergier, Agatha Couture, Dominique Devals, Mathias Domahidy, Gulliver Hecq, Lenny Kaye
Kinostart:
Deutschland, am 29.09.2011 bei NFP marketing & distribution
Genre
Drama
Land
Schweiz, Frankreich
Jahr
2010
FSK
ab 0 Jahren
Länge
101 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
8,0 (1 User)
Jean-Luc Godards Reflexion über das 20.Jahrhundert
Wie beschreibt man einen Film, dessen Regisseur sich seit Jahrzehnten weigert, stringente Handlungsfilme zu machen. Wie viele vorausgegangene Filme von Jean-Luc Godard ist auch "Film socialisme" kein Film mit einer klaren Linie, sondern ein einziger Bewusstseinsstrom. Es ist ein höchst assoziativer Film, in dem Bilder und Töne nebeneinanderstellt werden und der Rest dem Zuschauer überlassen wird. Wie das Frühwerk Sergej Eisensteins, dem Godard einmal mehr formal und motivisch eine Reverenz erweist, ist auch "Film socialisme" ein betont offenes und bruchstückhaftes Werk. Zu einem Ganzen wird er erst im Bewusstsein und die reflektierende Leistung des Zuschauers. Dass dieses Ganze relativ ist, versteht sich von selbst, da jeder Zuschauer in das Werk schließlich immer auch ein wenig von sich selbst hineinprojiziert.

Ganz grob lassen sich in Godards Essay aus Bildern, Tönen, Texten und Sprache in drei Kapitel unterteilen. Der erste führt den Zuschauer auf ein Kreuzschiff im Mittelmehr. Die Stationen der Reise sind unter anderem Neapel, Barcelona und Kairo. Doch nicht um Postkartenansichten beliebter Touristengebiete geht es hier Godard. Im Sinne einer dialektischen Montage und als freies Spiel mit Assoziationen verschränkt er vielmehr Bilder von der Gegenwart mit "Erinnerungen" an die Vergangenheit, indem er Archivaufnahmen aus den dunkelsten Stunden Europas hinein montiert.

Der zweite Teil rückt eine einfache Familie aus Frankreichs Süden in den Fokus. Hier sticht ein junges Mädchen heraus, das über die Ungerechtigkeit des politischen Systems Europas lamentiert. Ein Junge, der ihr Bruder sein könnte, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift CCCP (UdSSR). "Die (sozialistische) Revolution hat Kinder - und die formieren sich gerade neu, so könnte man das deuten", urteilte ein Kritiker anlässlich der Uraufführung des Films auf dem Filmfestival in Cannes 2010.

Der dritte und kürzeste Teil schließlich "verbindet Palästina und Opfer der Söhne durch die Väter seit Abraham", so Rüdiger Suchsland. Ergänzt werden diese Passagen durch die Treppensequenz aus Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" sowie kryptische Textzeilen wie "democracy + tragedy married".
Gewiss leistet Jean-Luc Godard auch in "Film socialisme" eine Dekonstruktion des filmischen Erzählens und gewiss konstruiert sich jeder Zuschauer angesichts der Bilderflut seinen eigenen Film. Dabei macht es ihm Godard beileibe nicht einfach. Wie so oft in seinen Essayfilmen fügt er auch in "Film socialisme" die Sprache - in geschriebener und gesprochener Form - als weiteres - oft irritierendes Element hinzu. Es wird in Französisch, Deutsch, Russisch oder Arabisch gesprochen, ohne dass sich Godard die Mühe gemacht hätte, etwas zu übersetzen. Erschwerend kommen die englischen Untertitel hinzu, die eher als assoziative Schlagwörter Gedankenfragmente des Regisseurs wiedergeben, als dass sie erklärend zum Verständnis der Fragmente beitragen. Am Ende fragt man sich unweigerlich, was das alles soll. Zu welchem Ganzen fügen sich die einzelnen Teile, welches Bild ergibt die typische Godard'sche "Vielstimmigkeit" (Suchsland)?

Der ideale Film sei für ihn niemals ein politischer, sagt Godard einmal; man müsse vielmehr Filme politisch machen. Und so ist auch "Film socialisme" ein in Film gegossener Standpunkt, ein Konglomerat von Ideen und Gedanken über Politik, Gesellschaft und Geschichte. Godard bleibt seiner systemkritischen Anschauung treu, indem er in gewohnt dialektischer und heterogener Form den Zustand der Gegenwart ins Visier nimmt. Vor allem ist "Film socialisme" eine Reflexion über das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts: den Jahren zwischen 1933 bis 1945. "Die Reflexion braucht Zeit", schreibt Suchsland und "Film socialisme" ist die Betrachtung der Vergehen des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts. Der Film trägt den Ballast der Erfahrung in sich und das Wissen um die heutigen Verfehlungen. Es ist ein Film, der notgedrungen pessimistisch und skeptisch zugleich ist. Es ist aber auch ein Film voller Hoffnung und Zuversicht. "Ich will nicht sterben, bevor Europa glücklich ist", sagt Godard einmal. Als er 2010 in Cannes eingeladen wird, um "Film socialisme" zu präsentieren, sagt er als Ausdruck seiner Empörung über den Zustand der Welt ab. Nein, Godard ist nicht nur ein denkender Künstler, sondern auch einer der Tat.
Willy Flemmer, Filmreporter.de
Galerie: Film socialisme
Jean-Luc Godard inszeniert mit "Film socialisme" einen seiner berüchtigten und gefürchteten Essayfilme. Mit der heterogenen Machart seines Films...
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2024