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Paul und Virginie (Fernsehjuwelen)

Paul und Virginie

Originaltitel
Paul et Virginie
Regie
Pierre Gaspard-Huit
Darsteller
Jean Vinci, Mary Marquet, Robert Lombard, Philippe Forquet, Moune de Rivel, Jacques Buron
Kinostart:
Deutschland, bei
Genre
TV-Serie, Romanze
Land
Frankreich
Jahr
1974
Länge
26 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
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Kitschiges Kolonialdrama mit formelhaftem Plot
Unerbittlich brennt die Mittagssonne auf der Haut der Sklaven. Der Auktionator verliest teilnahmslos die Preise, während seine Kunden die menschliche Ware auf dem Podest inspizieren. Damen in teuren Kleidern lassen sich Luft zufächeln. Arrogante Plantagenbesitzer kommentieren herablassend den Zustand ihrer Einkäufe.

Solche Szenen sieht man häufig in der 1974 produzierten Serie "Paul und Virginie". Pierre-François Pistorio und Véronique Jannot mögen die Titelrollen spielen, die Hauptrolle spielt die tropische Kulisse. Mit zahlreichen Statisten, aufwendigen Bauten und zeitgenössischen Kostümen versucht Regisseur Pierre Gaspard-Huit der französischen Kolonie Île-de-France - das heutige Mauritius - um 1800 Leben einzuhauchen. Eher beiläufig wird vor diesem Hintergrund in sechs Folgen die Romanze zwischen Paul und Virginie erzählt, die in dem Tropenparadies aufwachsen. Formelhaft konstruierte Nebenhandlungsstränge thematisieren Konflikte zwischen Gouverneur (Georges Marchal) und Plantagenbesitzern, französischen Herren und afrikanischen Sklaven, Adeligen und gemeinem Volk, Marine und Piraten.
Zu viel - damit lässt sich "Paul und Virginie" in vielerlei Hinsicht beschreiben. Zu viel Kitsch, Pathos, Klischees und vor allem Langeweile prägen die Fernsehserie, die auf einer Romanvorlage von Henri Bernardin de Saint-Pierre beruht. Mit fast unerträglicher Langsamkeit lässt Pierre Gaspard-Huit dessen Geschichte vor sich hindümpeln. Zaghafte Ansätze von Spannung werden in quälend langen Dialogen effizient unterdrückt. Zurück bleibt ein steriler Brei aus Sozialromantik á la Rosamunde Pilcher, Geschichtsklitterung und klischeehaften Figuren, dass selbst den Autoren mancher Seifenoper der kalte Schweiß den Rücken hinunterlaufen dürfte.

Eines kann man "Paul und Virginie" indes auf keinen Fall vorwerfen: dass die Form dem Inhalt qualitativ nicht angemessen wäre. Quietschbunte Kostüme, stets blütenweiße Sklavenkleidung und Häuser, die wohl jeden Morgen frisch gestrichen werden, visualisieren perfekt den triefenden Kitsch des Drehbuchs. Ein fabelhaftes Leben ohne Grautöne muss in den Kolonien vorgeherrscht haben, glaubt man der Serie. Dies zeichnet sich vor allem an den Figuren ab. Französische Kolonialisten, die nur das Beste für ihre schwarzen Sklaven wollen, stehen brutalen Plantagenbesitzern gegenüber, die auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind. Ein hartgesottener Piratenkapitän brummelt pseudo-miesgelaunt im Bud Spencer-Duktus unter seinem frisch gestärkten Hut hervor. Und Paul und Virginie sind so herrlich jugendlich naiv, dass der geneigte Zuschauer sich sanft in rosarote Watte einpacken lassen kann. Dem kritischen Denkvermögen, das nach wenigen Minuten die Flucht ergriffen hat, kann er mangels Anknüpfungspunkten im Plot nur noch aus der Ferne zuwinken. Doch wer so lange durchgehalten hat, erwartet ohnehin keine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus oder anderen brisanten Themen. Hier muss sich der Zuschauer mit verkitschten Sozialklischees inklusive wohlwollender Kolonialherren und ungebildeter aber dennoch äußerst weiser Sklaven zufrieden geben.

Auch filmisch ist die Serie missraten. Die Kameraführung ist unterdurchschnittlich. So stören wackelige Aufnahmen. Das peinliche Pathos der Dialoge wird durch den aufdringlichen Soundtrack gesteigert. Sehenswert ist "Paul und Virginie" allenfalls als Sammelsurium unfreiwilliger Komik. In hölzerner Mimik vorgetragene, gestelzte Dialoge nötigen dem Zuschauer ein peinlich berührtes Lachen ab. Viel Raum für eine differenzierte Darstellung hat das Drehbuch den Schauspielern nicht gegeben. Gelegenheit zum Lachen bieten auch die wenigen Action-Szenen, die mit slapstickhafter Unbeholfenheit inszeniert sind.
Michael Domke, Filmreporter.de
2024