Farbfilm Verleih
Der Fall Chodorkowski

Der Fall Chodorkowski

Originaltitel
Khodorkovsky
Regie
Cyril Tuschi
Darsteller
Evgeny Saburov, Aleksey Kondaurov, Dmitry Gololobov, Andrei V. Vasilyev, Boris Nemtsov, Ben Aris
Kinostart:
Deutschland, am 17.11.2011 bei farbfilm verleih
Kinostart:
Österreich, am 02.03.2012 bei ThimFilm
Kinostart:
Schweiz, am 13.10.2011 bei Pathé Films
Kinostart Deutschland
Der Fall Chodorkowski
Genre
Dokumentarfilm, Biographie
Land
Deutschland
Jahr
2011
Länge
111 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Porträt des Unternehmers Michail Chodorkowski
Ein Schwenk auf eine Winterlandschaft eröffnet die Dokumentation "Der Fall Chodorkowski". Während die Kamera ihre Abwärtsbewegung fortsetzt, ist im Hintergrund der Panorama-Aufnahme ein beschaulicher Wald zu sehen. Auf einmal tauchen die überraschend großen Maschinen einer Ölraffinerie ins Bild, die sich wie Fremdkörper in der idyllischen Landschaft ausnehmen. Schließlich erreicht die Kamera eine Kirche. Es folgt ein Schwenk nach unten bis drei Jugendliche im Bild erscheinen. "Kennt ihr Michail Chodorkowski ", lautet die Frage des Mannes hinter der Kamera. Die Stimme gehört Cyril Tuschi, der im Laufe seines Films noch öfter zu hören und zu sehen sein wird. "Nein", antwortet das Mädchen. Der Junge an ihrer Seite weiß da besser Bescheid: "Der Mann hat Russland eine Menge Geld gestohlen", meint er.

Das Eröffnungsbild der Dokumentation hat nicht nur die Funktion, den titelgebenden Protagonisten einzuführen. Es symbolisiert mit seiner Szenerie voller Widersprüche ein Land, in dem seit dem Übergang vom Sozialismus zur Demokratie, von der Planwirtschaft zum Kapitalismus alles möglich schien. Ölraffinerien standen hier plötzlich neben Kirchen wie Politiker Dichter wurden und Unternehmer sich in der Politik einmischten sowie die Politik in die Wirtschaft. Die Grenzen verschwammen in einem Land, das sich nach 70 Jahren Sozialismus neu orientieren musste - und dabei manchen Irrweg gegangen ist.

In dieser Welt des Durcheinanders war Michail Chodorkowski lange Zeit ein wichtiger Protagonist. Dem Unternehmer, der in den 1990er Jahren zu einem der reichsten Männer Russlands aufstieg und innerhalb kürzester Zeit alles verloren hat, widmet Tuschi seine in mehreren Jahren entstandene Dokumentation. Der Regisseur hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Hintergründe seiner Verhaftung im Jahr 2003 zu beleuchten. Es geht es ihm aber auch um das Bild eines ebenso faszinierenden, wie die Gemüter spaltenden Unternehmers, dessen Schicksal die Welt seit fast zehn Jahren in Atem hält.

In Begegnungen mit Freunden, Familienangehörigen, Kollegen und Politikern werden die einzelnen biographischen und beruflichen Stationen Chodorkowskis Revue passiert. Tuschi recherchiert seine Studienzeit, wo er wegen seiner jüdischen Wurzeln keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen durfte, sich dann umso emsiger in der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol engagierte. Die Zuschauer erfahren von seinem Aufstieg als Unternehmer, als er eine der ersten russischen Privatbanken mitgründet, später den Ölkonzern Yukos zu einem Spottreis erwirbt und zu einem der größten Unternehmen des Landes aufbaut. Und man erfährt von Chodorkowskis spektakulärem Absturz, als er sich mit der politischen Macht anlegt und er verhaftet wird. Ergänzt werden die Interview-Passagen von Archivaufnahmen, die das Gesagte belegen sollen. Zusätzlich werden durch Animationsaufnahmen Ereignisse 'hinter den Kulissen' nachgestellt, so auch die spektakuläre Verhaftung Chodorkowskis in seinem Privatjet.
Das Tragische am Schicksal von Michail Chodorkowski ist, dass sich sein Absturz von der wirtschaftlichen und der politischen Bühne ausgerechnet zu einer Zeit ereignete, als er sich vom machthungrigen Oligarchen zum Förderer von Bildung und Kultur mauserte. Mag man diese Wandlung als Mittel zum Zweck interpretieren, so bleibt die Haltung Tuschis gegenüber dem Ex-Unternehmer dennoch neutral. Cyril Tuschi möchte durch investigative Recherchen einen Fall und einen Menschen transparent machen. Die Meinung überlässt er allenfalls seinen Interviewpartnern - und diese sind in ihrem Urteil nicht immer zimperlich mit dem Ex-Oligarchen.

Bleibt Tuschi im Falle Chodorkowskis sachlich, so ist er es sicher nicht gegenüber dem moralischen Relativismus von Politik und Wirtschaft, den er konstatiert. Dabei beschränkt sich der Werteverlust nicht nur auf Russland, wie der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer zum Ausdruck bringt. An einer anderen Stelle heißt es, Russland habe sich während des Übergangs von der Planwirtschaft zum Kapitalismus wirtschaftlich einiges von Westeuropa abgeschaut. Der Gedanke, dass es sich dabei auch die unsauberen Geschäftsmethoden angeeignet hat, liegt nahe. Geradezu ernüchternd ist in diesem Zusammenhang die Feststellung Fischers, dass es naiv wäre zu glauben, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht. Dann kommt fast ein Vorwurf des Politikers an den Filmemacher: dieser sei ein Idealist und Träumer in seiner Suche nach dem Guten auf der Welt.

Am Ende kommt er Chodorkowski tatsächlich ganz nahe, als er ihn im Gerichtssaal interviewen darf. Man spürt die Aufgeregtheit des Filmemachers dann doch, wenn er dem Mann hinter der Glasscheibe zum ersten Mal begegnet. Die neutrale Haltung weicht einer Faszination, die sich auf den Zuschauer überträgt. So nervös der Interviewer bei seinen Fragen, so zittrig seine Stimme, so ruhig und gefasst sind die Antworten Chodorkowskis. Unweigerlich drängt sich einem beim Betrachten der Bilder die Frage auf: ist diese Gelassenheit echt oder gespielt? Und wenn sie gespielt ist, ist sie das Bemühen eines stolzen Menschen, seine Enttäuschungen und Verletzungen zu verbergen. Oder spricht daraus das Kalkül eines ambitionierten Politikers, der auf die Zeit nach dem Martyrium setzt?
Willy Flemmer, Filmreporter.de
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2024