Szene aus: Roter Satin

Roter Satin

Originaltitel
Satin Rouge
Regie
Raja Amari
Darsteller
Zinedine Soualem, Salah Miled, Abou Moez El Fazaa, Nadra Lamloum, Faouzia Badr, Monia Hichri
Kinostart:
Deutschland, am 16.05.2002 bei Alamode Filmdistribution
Kinostart:
Schweiz, am 21.11.2002 bei trigon-film
Genre
Drama
Land
Tunesien, Frankreich
Jahr
2002
Länge
91 min.
IMDB
IMDB
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brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
7,0 (1 User)
Das Leben auf dem Maghreb besteht aus einer islamisch geprägter Gesellschaft, die durch sanfte Modernisierungen und westliche Einflüsse ihren eigenen Weg in die Moderne sucht. Die alleinstehende Witwe Lilia (Hiam Abbas) gerät auf der Suche nach ihrer Tochter Salma, die vom Besuch bei ihrer Freundin nicht zeitig zurückgekehrt ist, in ein Kabarett. In der Lasterhöhle in der Altstadt von Tunis tanzen üppige Schönheiten vor dem begeisterten Publikum Bauchtanz. Der Rauch, die Blicke der Männer, das ihr unbekannte anrüchige Ambiente und die prickelnd erotische Atmosphäre lassen Lilia ohnmächtig zusammenbrechen. Startänzerin Folla (Monia Hichri) hilft der züchtigen Hausfrau und begleitet sie nach Hause. Doch die Eindrücke lassen Lilia nicht los. Ihre Gefühle schwanken zwischen Ablehnung, Faszination und Angst. Von Neugier getrieben kehrt sie bald zurück in die Höhle des Lasters. Der Bauchtanz fasziniert die konservative, moralische feste Mutter, sie kommt in den schwülen Sommernächten einfach nicht mehr zur Ruhe. Immer öfter besucht sie die Tanzbar. Lilia näht Kostüme für die Folla und beginnt bald selbst mit dem Bauchtanz - zuerst in der Gardarobe - bald aber auch auf der Tanzfläche des Nachtclubs. Die überwiegend männlichen Gäste sind begeistert von dem ekstatischen Tanz der schönen Frau. Ihre Anhängerschaft wächst täglich. Die Tochter und die Nachbarschaft erfahren aber vorerst nichts von ihren Eskapaden. Aber auch Tochter Salma hat Geheimnisse vor ihrer Mutter. Der Teenager trifft sich heimlich mit ihrem Freund Chokri (Maher Kamoun) und lässt sich auf eine Liebesaffäre mit ihm ein. Doch Chokri lehrt nicht nur Schülerinnen das Tanzen, er ist auch Musiker in eben diesem Kabarett.
Kein Glamour, keine digitalen Effekte, keine Rückblenden oder andere technische Tricks verschleiern die Handlung. Diese steht vielmehr auf festen erzählerischen Füßen und braucht keinen filmischen Schnickschnack. Obwohl anfangs arm an dramaturgischen Höhepunkten, verzaubert die tunesisch-französche Produktion bereits nach wenigen Minuten. Das ruhige, zurückhaltende Spiel der authentischen Darsteller steigert sich - sobald die Musik einsetzt und der Tanz den ganzen filmischen Raum einnimmt - bis zur Ekstase. Ruhig und ohne Polemik thematisiert Regisseurin Raja Amari die Stellung einer Frau in einer Gesellschaft auf dem Weg in die Moderne. Dabei vermeidet sie das Zerrbild des gläubigen Islam, dem "modernen", gemäßigten Islam - wie er auf dem Maghreb vorherrscht gegenüberzustellen. Vielmehr interessiert sie sich für Lilia, für ihrem Versuch das bereits entglittene Leben zurückzugewinnen, ihr schenkt sie viel Sympathie. Lilia emanzipiert sich fast unmerklich aber letztendlich umso dramatischer im Laufe der Handlung. Diese Entwicklung ist ohne Sprünge skizziert und das Geschehen bleibt stets nachvollziehbar. Die gegensätzlichen Welten des anrüchigen Nachtclubs und der züchtigen, auf Anstand und Moral bedachten Gesellschaft am Tage fusionieren so in der Figur der wiedererwachten Witwe. Intelligent ist es auch, die Geschichte ausgerechnet an dem gleichermaßen traditionellen und anrüchigen Bauchtanzes aufzuhängen statt eine Diskothek und westlichen Tanz mit ihrer westlich geprägter Kultur zum Ort und Akt der Emanzipation aufzustellen. Dabei vermeidet Amari aber das Kabarett zu glorifizieren. Die Zuschauer sind nicht nur begeistert - sie geifern auch den Frauen entgegen und machen ihnen eindeutige Angebote. Schwarz-Weiß-Malerei? Fehlanzeige!
Richard Rendler, Filmreporter.de
2024