Filmgarten
Blutsauger (2021)

Blutsauger

Originaltitel
Blutsauger
Alternativ
Bloodsuckers
Regie
Julian Radlmaier
Darsteller
Aleksandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Alexander Herbst, Corinna Harfouch, Daniel Hoesl, Andreas Döhler
Kinostart:
Deutschland, am 12.05.2022 bei Grandfilm
Kinostart:
Österreich, am 04.06.2022 bei Filmgarten
Genre
Komödie
Land
Deutschland
Jahr
2021
FSK
ab 12 Jahren
Länge
125 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
Es gibt noch keine Userkritik!
Kritische Betrachtung der kapitalistischen Welt
Ljowuschka (Alexandre Koberidze) ist auf der Flucht. In Sergej Eisensteins Stummfilm "Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten", der aus Anlass des 10. Jahrestags der Oktoberrevolution nach dem Roman "Zehn Tage, die die Welt erschütterten" von John Reed entstand", spielte er Revolutionär Leo Trotzki. Vor der Premiere fiel der Revolutionär bei Diktator Josef Stalin in Ungnade, weshalb Eisenstein alle Szenen mit dem Arbeiter und Laienschauspieler Ljowuschka aus dem Film herausschnitt.

Der träumt nun von einer Karriere im fernen Hollywood. Auf der Durchreise findet er Zuflucht bei der gelangweilten Fabrikbesitzerin Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg) in einem mondänen Ostseebad. Schnell fliegt seine Tarnung als vor der Revolution geflohener Adliger auf Grund fehlender Tischsitten auf. Trotz des Klassenunterschieds entspinnen sich zwischen den beiden zarte Bande, die vom Tod von Octavias Diener, der sie heimlich anbetete, und den Bissattacken eines Vampirs überschattet werden.
Nach "Ein Gespenst geht um in Europa", "Ein proletarisches Wintermärchen" und "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" setzt dffb-Absolvent Julian Radlmaier die kritische Betrachtung unseres marktzentrierten Gesellschaftsentwurfs durch einen Abgleich mit zentralen Thesen aus den Werken von Karl Marx und Friedrich Engels fort. Hier fällt einem aber nur eine Verkehrung eines zentralen Satzes von Johann Wolfgang von Goethes Mephistoles ein: Wer stets das Gute will, und doch das Böse schafft. Denn erneut legt der Regisseur eine intellektuelle Kopfgeburt vor, die inhaltlich simplifiziert und das Gegenteil von dem erreicht, was er will. Um zu erkennen, dass Kapitalisten den Arbeitern das Blut aus den Adern saugen wie einst Graf Dracula seinen Opfern braucht es keinen zweistündigen Film. Warum die verquaste Vorlage 2019 mit dem Deutschen Filmpreis für das beste unverfilmte Drehbuch ausgezeichnet wurde, bleibt ein Mysterium.

Der Zugang wird zudem durch Radlmaiers artifizielle Filmsprache erschwert, die sich Gewohnten verweigert und mit den ästhetischen Mitteln der Entfremdung arbeitet. Er besetzt Laiendarsteller und Profis und lässt sie bewusst geschriebene Sprache aufsagen, was gekünstelt wirkt und die Entfremdung unterstreichen soll. Bei dem Zirkel von Arbeitern, die Karl Marx Thesen diskutieren, wirkt dies aber einfach nur weltfremd. Die Ohren empfinden es dann auch als Wohltat, wenn Corinna Harfouch bei ihrem späten Auftritt als Octavias Tante sich diesem Sprachdiktat verweigert.

Sein Personenensemble stellt der Regisseur in detailreich und liebevoll ausgestattete Räume und filmische Tableaus, die in die Zeit am Ende der 1920er Jahre passen. Doch immer wieder öffnet er den zeitlichen Rahmen und wechselt bildlich in die Gegenwart. Der Betrachter fühlt sich durch diese didaktische und belehrende Herangehensweise nicht nur bevormundet, er ist zunehmend verstimmt. Diese Gestaltungsweise lässt die Vermutung zu, dass Radlmaier der eigenen Versuchsanordnung mit philosophischen und politischen Anspielungen zum Heute nicht traut. Insgesamt würde sich Regiemeister Eisenstein bei diesem billigen Agitprop-Theater im Grabe umdrehen.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
Ljowuschka ist auf der Flucht
 
Julian Radlmaier setzt seine kritische Betrachtung der marktzentrierten Gesellschaft fort.
Filmgarten
Aleksandre Koberidze & Lilith Stangenberg in "Blutsauger" (2021)
2024