Tobey Maguire in: Seabiscuit
Amerikanische Traum geht auch auf vier Beinen
Feature: Ross und Reiter
Ein fauler Gaul und ein halbblinder Jockey, ein kontaktgestörter Trainer und ein desillusionierter Finanzier: Das ist der Stoff, aus denen die Helden "Seabiscuit" gestrickt ist. Hier werden Underdogs zu Siegertypen. Regisseur Gary Ross, der auch privat erfolgreich in Galopper investiert, bringt die legendäre aber wahre Story aus den 30er-Jahren auf die Leinwand. Das US-Publikum zeigt sich hoch erfreut - nun können sich auch die deutschen Zuschauer ein Bild machen.
erschienen am 19. 09. 2003
Szene aus: Seabiscuit
Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde - auf "Seabiscuit" von Gary Ross trifft dieser Slogan auf jeden Fall zu. Doch das Galopper-Epos nach dem Bestseller von Laura Hillenbrand handelt nicht von wohlerzogenen Mädels auf dem Ponyhof. Es geht vielmehr um zwei- und vierbeinige Underdogs, die gegen jede Chance auf der Siegerstraße landen.

Für die in den 30er-Jahren von der Depression geschundene Volksseele der USA ist die ebenso unglaubliche wie wahre Erfolgsstory wohl mindestens so heilsam, wie das Wunder von Bern für Nachkriegsdeutschland (siehe das "Das Wunder von Bern"). So mag Seabiscuit für unsereiner bloß ein Pferd mit einem lächerlichen Namen sein - jenseits des Atlantiks ist das Tier eine Institution, auf die man sich in schweren Zeiten gern beruft. Es ist der amerikanische Traum in Reinkultur.
UIP
Jeff Bridges in: Seabiscuit
Seabiscuit ist 1938 in den USA bekannter als der Papst und Adolf Hitler - das kleinwüchsige Rennpferd findet in den damaligen Medien mehr Beachtung als Präsident Franklin D. Roosevelt. Dabei ist der krummbeinige Gaul ein echtes Faultier mit Charakterdefiziten. Mehr noch: Red Pollard (im Film gespielt von Tobey Maguire), Seabiscuits zu groß geratener Jockey, ist auf einem Auge blind, weil er sich buchstäblich durchs Leben boxen musste. Trainer Tom Smith (Oscar-Gewinner Chris Cooper), eine Art Pferdeflüsterer, weiss mit Menschen wenig anzufangen und gilt in seiner Zeit als Soziopath. Nicht umsonst wirde er Silent Tom genannt. Charles Howard (Jeff Bridges), Seabiscuits Eigentümer, ist Schlosser, der in Kalifornien zum millionenschweren Automogul avanciert - bis sein junger Sohn in einem Kleinlaster ums Leben kam und seine Ehe scheitert.

Ausgerechnet dieser eigentümlichen Verlierer-Clique, die zufällig zusammenfindet, gelingt das schier Unmögliche: Seabiscuit lässt die Konkurrenz (und mit ihr das Establishment) im Regen stehen und mutierte immer mehr zum Massenphänomen. Das Medium Radio, das noch in den Kinderschuhen steckt, ist daran keineswegs unschuldig.
Szene aus: Seabiscuit
Wenn Seabiscuit auf der Rennbahn seine Runden dreht, versammelt sich die Nation vor den Empfängern. Marktschreierische Moderatoren - der Film präsentiert eine Kunstfigur namens Tick-Tock McGlaughlin (William H. Macy) - sind gewiefte One-Man-Acts, die es verstehen, ihr Sujet nach Gutdünken zu instrumentalisierten und die sich umgekehrt auch gerne instrumentalisieren lassen - Parallelen zu Reality-TV drängen sich geradezu auf...

Rivalen der Rennbahn
"Seabiscuits" Riege aus Vollblutschauspielern macht den Film zu einem ersten Oscar-Kandidaten - allerdings nur mit Außenseiter-Chancen, da Gary Ross ("Pleasantville") seine Akteure immer wieder zu sehr zügelt. Dafür wird optisch einiges geboten: Die packend inszenierten Rennsequenzen transportieren den Zuschauer mitten ins Geschehen. Das gilt vor allem für den Zweikampf zwischen Seabiscuit und War Admiral, einem Triple-Crown-Gewinner, dessen Eigentümer das Establishment der Ostküste verkörpert. Das spannende Duell ist folglich mehr als bloß ein Pferderennen - es ist der Klassenkampf zwischen der Selfmade-Mentalität des nicht mehr ganz so wilden Westens mit der Plutokratie der Ostküste. Denn anders als War Admiral ist Seabiscuit ein Pferd des Volkes.
UIP
Jeff Bridges in: Seabiscuit
Solche Geschichten kommen an - vor allem, wenn das Land in Schwierigkeiten steckt. In den 30ern ist es die Wirtschaftskrise und der sich anbahnende Krieg, heute die Verunsicherung durch Terrorismus und international wachsende Amerikaphobie. Damals wie heute sucht Amerika neuen Helden und wahrer Größe - und hegt die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, in denen man noch unbekümmert sein durfte. "Seabiscuit" trifft einen Nerv und spielte konsequenterweise in den USA mehr als 100 Millionen Dollar ein - ganz ohne Kugelhagel, Massenkarambolagen und Spezialeffekt-Orgien. Die Botschaft: Egal, wie aussichtslos die Lage ist - man beißt sich durch, alles wird gut.

Wird es natürlich nicht. Was der Film verschweigt: 1940 startete Seabiscuit bereits zum letzten Mal und starb, nach ein paar Jahren Dienst als Samenspritze, im Alter von nur 14 Jahren. Auch Red Pollards Jockey-Ambitionen endeten in einer Sackgasse: Er stürzte oft und gewann selten - und musste schließlich die Reitstiefel seiner jüngeren Kollegen wienern. Silent Tom schließlich landete, von Gott und der Welt vergessen, in einer Heilanstalt - Aus der Traum.
erschienen am 19. September 2003
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Tobey Maguire wird in Santa Monica, California geboren. Kurz darauf zieht er nach Oregon und Washington, da sich seine Eltern getrennt haben und er abwechselnd bei diesen und anderen Verwandten wohnt. Er will zunächst Koch werden, entscheidet sich dann aber doch für die Schauspielerei. Einen Abschluss macht er nicht, bereits nach der 9. Klasse verlässt er die Schule und startet seine Karriere als Darsteller in Werbeclips und Fernsehenserien, was zunächst ohne größeren Erfolg bleibt. Maguire..
Seabiscuit (Kinofilm)
Ein Pferd namens Seabiscuit fesselt in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der amerikanische Nation. Regisseur Gary Ross' ("Pleasantville") Drama spielt vor dem Hintergrund der Großen Depression. "Seabiscuit" basiert auf einer wahren Geschichte. Mit Tobey Maguire, Jeff Bridges, Elizabeth Banks und Oscargewinner Chris Cooper kann Ross genügend Starpower in die Wagschale werfen um das US-Publikum in die Kinos zu locken.
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