Schatten der Zeit
Mit Vorschusslorbeeren ins Nirgendwo
Feature: Herzschmerz auf bengalisch
Ravi (Prashant Narayanan) und Masha (Tanishta Chatterjee) leben im besetzten Indien. Sie sind noch Kinder, als sie gezwungenermaßen in einer Teppichfabrik zu arbeiten beginnen. Beide verbindet eine intensive Freundschaft, die in leidenschaftliche Liebe übergehen wird. Doch bis es soweit ist, hält das Leben jede Menge Überraschungen für sie bereit. Der Oscarprämierte Jungregisseur Florian Gallenberger präsentiert mit "Schatten der Zeit" seinen ersten abendfüllenden Film.
erschienen am 13. 05. 2005
Ravi (Tanishta Chatterjee) glaubt sich in Sicherheit
Florian Gallenberger nimmt uns mit auf eine lange Reise einer Liebe, die ihn Indien spielt. Die Münchner hat sein Erstlingswerk in Bengalien ausschließlich mit indischen Schauspielern gedreht. Um die Umsetzung seines Drehbuchs besser zu kontrollieren, hat Gallenberger sogar etwas Bengali gelernt. Ob sich die Mühen gelohnt haben, ist fraglich.

Ein Auto fährt im Nirgendwo. In dem Wagen sitzt ein alter Mann und seine Reise führt ihn in die Vergangenheit. Ravi ist noch ein kleiner Junge, als er in einer indischen Spinnerei zu schuften beginnt. Er trägt Schüssel voller Farbe oder räumt den Arbeitsplatz der flinken Knüpfer frei. In der Teppichfabrik geht es niemand wirklich gut, doch Ravis Platz ist am untersten Ende der Arbeiterhierarchie.
Nur selten können die Kinder Spaß haben
Zwischen den laut klappernden Maschinen lernt er eines Tages Masha kennen. Das gleichartige Mädchen ist davon überzeugt, von ihrem Vater als Pfand für ein Darlehen hinterlegt worden zu sein, doch Ravi weiß, dass er sie als Arbeitssklavin verkauft hat. Eine zarte Freundschaft bahnt sich zwischen den Kindern an. Sie teilen sich ihre kleinen Essenportionen ebenso, wie ihre großen, optimistischen Träume.

Als Masha eines Tages einem Mädchenhändler auffällt, findet ihre Beziehung ein abruptes Ende. Ravi, der seit langem jede Rupie gespart hat, um sich später freizukaufen, sieht keine Wahl: er verpfändet seine Arbeitskraft für viele Jahre und erkauft mit seinem gesamten Besitz Mashas Freiheit. Als die Kinder sich verabschieden, bleibt ihnen nichts außer einem Versprechen. In Kalkutta, wo Mashas Vater lebt, wollen die beiden bei jedem Vollmond im größten Shiva-Tempel aufeinander warten.
Nach dem Teppichknüpfen Tänzerin in der Sexindustrie
Die Jahre vergehen und aus dem kleinen Ravi wird ein junger geschickter Teppichknüpfer. Als er sich endlich aus der Fabrik freikaufen kann, führt ihn sein erster Weg zum Tempel. Er hat Masha in all den Jahren nicht vergessen und will sie jetzt endlich als freier Mann in die Arme schließen. Doch das Schicksal hat einen anderen Plan.

Eine glücklose Liebe und ihr Verlauf über die Jahrzehnte stehen im Mittelpunkt von Gallenbergers Erstlingswerk. Der junge Regisseur machte 2001 erstmals auf sich aufmerksam, als sein Kurzfilm "Quiero Ser" mit dem Oscar prämiert wurde. Bedenkt man, dass es sich hierbei um die Abschlussarbeit seines Studiums an der Hochschule für Film und Fernsehen München ging, überrascht es wenig, dass Helmut Dietl dem damaligen Absolventen eine ruhmreiche Karriere prophezeite. Dietl ließ es sich auch nicht nehmen, sich zusammen mit Norbert Preuss als Produzent für "Schatten der Zeit" zu engagieren. Preuss ist spätestens seit "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" und dem "Experiment" als einer der gefragtesten Herstellungsleiter Deutschlands.

Weil Produzenten aus einer gewöhnlichen Geschichte auch kein Meisterwerk zaubern können, hat man mit dem Fassbinder-Kameramann Jürgen Jürges gleich ein weiterer Meister seines Fachs verpflichtet. Eigentlich, so denkt sich der laienhafte Cineast, dürfte bei einer solchen Stabbesetzung nichts schief gehen. Der Laie wäre aber nicht ein solcher, wenn er nicht zu den Unkundigen eines Sachgebiets gehören würde. Das Endergebnis von "Schatten der Zeit" belehrt ihn leider eines besseren.
Sind die unglücklichen Liebenden nach Jahren endlich vereint?
Wenige Sequenzen zu Beginn der Handlung reichen aus, um die Intention Gallenbergers zu erfassen. Die ledrigen Hände des ergrauten Ravi fahren über die glatten Kerben eines Pfosten und finden zwischen den verrosteten Gerätschaften ein geheimes Versteck. Währenddessen spielt ein fröhlich jauchzendes Mädchen vor der Fabrikhalle mit einem Rad.

Der Münchner Regisseur lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig es ihm ist, den Fluss der Zeit zu verdeutlichen. Die Anfangsszene ist, wie der ganze Film, gekonnt fotografiert. Die Farben sind satt und die Bilder wohl durchdacht. Gallenberg scheint, und das ist die größte Schwäche dieses Films, jeden Mangel an Klarheit kategorisch abzulehnen. Die Vehemenz mit der malerische Bildern und die emotional aufgeladenen Musik auf die Tränendrüsen drücken ist fast penetrant.

Die Geschichte von Ravi und Masha ist zwar romantisch, bewegend und trägt manch tragische Züge. Sie bleibt jedoch trotz ihrer Dauer statisch, im Grunde einfalls- und ereignislos. Die Liebenden finden und verpassen sich; Hoffnungen und Enttäuschungen keimen auf und vertrocknen immer wieder. Herzschmerz und Schnulze liegen im Kino nah beieinander, erst recht, wenn Geschichten wie in "Schatten der Zeit" mit unnötiger Überdeutlichkeit inszeniert sind.
erschienen am 13. Mai 2005
Zum Thema
Ravi (Prashant Narayanan) und Masha (Tannishtha Chatterjee) leben im vom Britischen Empire besetzten Indien. Die Kinder arbeiten in einer Teppichfabrik. Ravi ist entsetzt, dass seine geliebte Masha an einen Päderasten verkauft werden soll. Er opfert sein hart erspartes Geld für ihren Freikauf. Erst viele Jahre später sehen sich die beiden wieder. Mittlerweile sind beide verheiratet. Doch ihre Liebe für einander ist noch immer nicht erloschen. Die tiefgründige Geschichte stammt aus der Feder..
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