Senator Film Verleih
In guten Händen
Über die Erfindung des Vibrators...
Feature: Wunderbare Komödie voller Ironie
Die wunderbare kleine Komödie "In guten Händen" erzählt in einem heiteren Mix aus Tatsachen und Fiktion über den verblendeten Wissenschaftswahn und die Erfindung des Vibrators. Dabei ist Tanya Wexlers Blick auf die Institution ebenso wie auf ihre Charaktere stets respektvoll und voller Ironie.
erschienen am 17. 11. 2011
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In guten Händen
Überrannt von hysterischen Frauen!
Mortimer Granville (Hugh Dancy) ist ein leidenschaftlicher junger Arzt. Trotz seines offenkundigen Talents hat er es nicht in seiner Anstellung nicht leicht. Immer wieder muss er die frustrierende Erfahrung machen, dass die praktische Medizin festgefahren ist und die Methoden der etablierten Ärzte alles andere als auf wissenschaftlichem Fundament aufbauen.

Als sich Granville mit einem Vorgesetzten aufgrund unüberwindlicher Differenzen einmal mehr anlegt, verliert er seine Anstellung. Auf der Suche nach einem neuen Job landet er bald in der Praxis von Dr. Robert Dalrymple (Jonathan PryceJonathan Pryce>). Der Hysterie-Experte braucht händeringend tatkräftige Unterstützung, wird seine Praxis doch von hysterischen Frauen geradezu überrannt. Als Therapie setzt Dalrymple auf eine todsichere Methode: die leidgeplagten Frauen so lange am Intimbereich zu stimulieren, bis es zum alle Beschwerden heilenden "Entkrampfungsmoment" kommt.
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Mortimer Granville (Hugh Dancy) tüftelt an seiner genialen Erfindung
Verkrampfte Handarbeit
Granville erweist sich in seinem neuen Job als so erfolgreich, dass ihm sein Chef schon bald nicht nur die Praxis, sondern auch die Hand seiner jüngeren Tochter Emily (Felicity Jones) in Aussicht stellt. Doch einer rosigen Zukunft stellen sich bald zwei vermeintlich kleine Probleme in den Weg. Nicht nur wird seine Hand zusehends von Krämpfen heimgesucht, er findet auch immer mehr Gefallen an Dalrymples älterer Tochter Charlotte (Maggie Gyllenhaal). Diese hat sich mit ihrem Vater überworfen, weil sie sich mit Leib und Seele dem Einsatz für die Armen und Entrechteten sowie die Rechte der Frau verschrieben hat.

Zumindest was das erste Hindernis angeht, findet Granville bald eine Lösung. Mit Hilfe seines Freundes Edmund St. John-Smythe (Rupert Everett) erfindet er ein elektrisches Gerät, das die Kräfte zehrende 'Handarbeit' des Arztes ersetzt. Der Erfolg ist durchschlagend. Dalrymples Praxis blüht wieder auf, Ärzte und Erfinder werden berühmt und Granville bekommt wieder die Chance auf den gesellschaftlichen Aufstieg. Wären da nur nicht seine Gefühle für Charlotte und sein Eid als Mediziner.
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Hat das ungleiche Paar eine Chance? Maggie Gyllenhaal und Hugh Dancy in "In guten Händen"
Wahre Begebenheit?
Das Schöne an der wunderbar leichten Komödie von Tanya Wexler ist, dass es ihr immer wieder gelingt, zu überraschen. Noch bevor das erste Bild erscheint, kommt die erste Pointe. Die Handlung beruhe auf wahren Begebenheiten, heißt es schwarz auf weiß im Vorspann. Der antizipierende Zuschauer, der an die Verfilmung ernster historischer Ereignisse geschult ist, erwartet an dieser Stelle ein ernstes Drama. Dann kommt die überraschende Kehrtwende: "Wirklich", heißt es, nachdem auch der letzte Zuschauer die Muster seiner Sehgewohnheit durchgegangen ist. Das Lachen, dass sich an dieser Stelle unweigerlich entlädt, wird den Zuschauer im Verlauf des Films nicht mehr verlassen.

Das liegt auch daran, dass den Machern von "In guten Händen" ein heiterer Mix aus Tatsachen und Erfindung, Geschichte und Fiktion, Ernst und Komik gelungen ist. Ernst ist der Film aufgrund seiner historischen Verankerung der Rahmensituation tatsächlich. Es geht um die im 19. Jahrhundert einer Epidemie angenommene Ausmaße der Hysterie. Lange haben Mediziner diesen Begriff als Diagnose der unterschiedlichsten Beschwerden von Frauen angewandt, um zu den absurdesten therapeutischen Maßnahmen zu greifen.
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Mortimer Granville (Hugh Dancy) ist nicht nur als Arzt erfolgreich
Depression, Epilepsie, Tourette-Syndrom und sexuelle Abweichung
Symptome wie Depressionen, Epilepsien, das Tourette-Syndrom bis hin zu sexuelle Normabweichungen wurden auf das Geschlechtsorgan der Frau zurückgeführt, wobei man als Heilmethode Praktiken wie Aderlass, Reiten und die lange Zeit als erfolgreich betrachtete Stimulation der weiblichen Klitoris betrachtet hatte. Selbst gesellschaftliche Phänomene wie die Emanzipation der Frau und die damit zusammenhängende Frauenbewegungen im 19. Jahrhundert glaubte man durch die 'digitale Manipulation bekämpfen zu können. Kein geringerer als Sigmund Freud erlag der Erkenntnis, dass Hysterie eine Krankheit sei, auch wenn der Begründer der Psychoanalyse ihre Ursache vom Körper in die Psyche verlagerte.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde die Hysterie endlich aus den Wissenschaftsbüchern gestrichen, auch wenn sich der Begriff 'hysterisch' im Umgangssprachlichen zur Bezeichnung emotional ausufernden weiblichen Verhaltens hartnäckig festgesetzt hat.
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Die bodenständige Charlotte (Maggie Gyllenhaal) fühlt sich sichtbar unwohl in der feinen Gesellschaft
Erfindung des Vibrators
Was heute unglaublich erscheint, war lange Zeit bitterer Ernst. Das Besondere an "In guten Händen" ist, dass es Regie und Drehbuch gelungen ist, die Diskrepanz zwischen der einstigen Haltung zum Thema und der Absurdität, als die sie aus heutiger Sicht erscheint, wiederzugeben. Die Folge ist herrlichster Humor, der schon immer aus dem Kontrast zwischen großer Geste und lächerlichem Kontext bestand. Wenn etwa erfahrene Ärzte und Wissenschaftler voller Hingabe zwischen den Beinen der Frauen herumwerken, kann man sich das Lachen einfach nicht verkneifen. Umso weniger, als es den klugen Männern in ihrem Wissenschaftseifer irgendwie gelungen ist, den sexuellen Kontext der Sache und das Vergnügen ihrer Patientinnen auszublenden.

Als wäre diese Konstellation nicht schon komisch genug, geht Wexler einen Schritt weiter und treibt das Absurde auf die Spitze. Das ist die Überraschung, welche die Komödie im Großen bietet. Tatsächlich hat man es um die Mitte des Films plötzlich mit der Erfindung des Vibrators zu tun. Mag diese Volte für denjenigen Teil der Zuschauer, denen der realhistorische Kontext vertraut ist, weder überraschend noch komisch sein, dürfte der andere Teil in beiden Hinsichten sicherlich auf seine Kosten kommen.
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Regisseurin Tanya Wexler auf dem Set von "In guten Händen"
Wilde Mischung aus Tatsache und Fiktion
Das gilt umso mehr, als "In guten Händen" auch in diesem Punkt durch eine wilde Mischung aus Tatsachen und Fiktion zu punkten weiß. Tatsächlich erfand der englische Arzt Joseph Mortimer Granville Ende des 19. Jahrhunderts einen Vibrator. Der so genannte Granvills's Hammer sollte eigentlich zur Milderung von Muskelschmerzen eingesetzt werden, bis man seine eigentliche Wunderfunktion entdeckt hatte. In "In guten Händen" findet sich dieser Charakter einerseits als leidenschaftlicher Arzt, der für seine beruflichen und persönlichen Ideale eintritt, andererseits als Pragmatiker, den die Aussicht auf familiäres Glück, finanzielle Unabhängigkeit und gesellschaftliche Stellung lockt.

Bei allen Schwächen und Verschrobenheit verurteilen Wexler und ihre Autoren weder ihre Charaktere noch die Wissenschaft als solche, die hier alles andere als eine Bastion des Rationalen, sondern als unvernünftige, stolze und verblendete Institution dargestellt wird. Wexlers Blick ist nicht zynisch, sondern stets respektvoll und voller liebevoller Ironie gegenüber ihrem Stoff. Selbst wenn der Film gegen Ende kurz das Melodramatische streift, verliert er sich nicht in Sentimentalität und Kitsch, sondern bewahrt die Balance zwischen Leichtigkeit und Ernst. Dafür sorgen neben der temporeichen Inszenierung auch die durchweg überzeugenden Darsteller sowie die brillanten Dialoge des Drehbuchs.
erschienen am 17. November 2011
Zum Thema
Nachdem Mortimer Granville (Hugh Dancy) seinen letzten Job als Arzt verloren hat, findet er bei Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce) eine neue Anstellung. Zu den Patienten gehören auch Frauen, die angeblich an Hysterie leiden sollen. Laut Dalrymple können diese durch die Stimulation des weiblichen Geschlechtsorgans geheilt werden. Als Granville nach etlichen Fällen Ermüdungserscheinungen zeigt, erfindet er einen elektrischen Vibrator. "In guten Händen" ist eine wunderbare kleine Komödie..
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