ThimFilm
Atmen
Strenge Inszenierung
Feature: Karl Markovics' Debüt
"Atmen" ist das gelungene Regiedebüt des österreichischen Schauspielers Karl Markovics. Das leise Drama besticht durch die strenge Inszenierung. Überzeugend ist auch die sensible Beobachtung des Alltags eines jugendlichen Gefangenen und seinem Bemühen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Die Schauspielerei sei nur ein Umweg gewesen, meint Markovics zu seiner ersten Regiearbeit.
erschienen am 24. 11. 2011
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Atmen
Umweg Schauspielerei?
Er habe schon immer gewusst, dass er etwas Eigenes schaffen würde. Schaut man sich das Drama des Österreichers an, kann man sich nur wundern, mit welcher Sicherheit er sich im neuen Betätigungsfeld bewegt. Dabei geht Markovics stilistisch glücklicherweise nicht die Wege, in welche sich viele zum Regiefach wechselnde Schauspieler verirren. "Atmen" ist weder gesichtsloses Handwerk noch überambitioniertes, kaltes Kunstwerk. "Atmen" ist das ernstzunehmende Werk eines Regisseurs, der sich mit viel Einfühlungsvermögen und Stilsicherheit seinem Thema widmet.

Nun ist auch Markovics kein vom Himmel gefallenes Wunderkind. Die Erfahrung und das reflektierende Arbeiten mit erfahrenen Filmemachern haben ihm die Fachkenntnisse mitgegeben, die ein Regisseur benötigt. Will man Einflüsse auf "Atmen" ausmachen, so könnte man der Versuchung erliegen sie im Werk der Dardenne-Brüder zu suchen. Markovics verneint dies, sein Debüt habe nichts mit der realistischen Erzählweise der Belgier zu tun. Wenn er sagt, dass "Atmen" einen Rahmen habe, in dem eine Geschichte erzählt werde, dann verweist das auf die formale Strenge des Films, die sich nicht zuletzt in den präzise komponierten Cinemascope-Bildern, der ruhigen Erzählweise sowie in der betonten Bewegungslosigkeit der stets präsenten Kamera äußert.
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Atmen
Ästhetik der Berliner Schule?
Vielleicht wäre es angebrachter, die Ästhetik der Berliner Schule heranzuziehen, will man "Atmen" unbedingt ein Etikett anhängen. Neben der Formstrenge sprächen dafür auch die aus der Orientierungslosigkeit des Protagonisten resultierende triste Stimmung, die permanente Bewegung des Protagonisten von einem Ort zum nächsten oder die seelenlosen, anonymen Schauplätze, die seine Entwurzelung repräsentieren. Das Gefängnis ist eines dieser transitorischen Orte. Hier harrt Roman Kogler (Thomas Schubert) aus, hier wird er auf das Leben jenseits der Mauer vorbereitet. Der 18-Jährige wurde wegen Totschlags verurteilt, nun ist er Freigänger. Die Nächte verbringt er hinter Gittern, tagsüber muss er einer Beschäftigung nachgehen, will er, dass seine Haft- in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wird. Doch so einfach gestaltet sich seine Integration in die Gesellschaft nicht.

Roman ist reserviert und verschlossen, auf seine Mitmenschen geht er ebenso wenig ein, wie er es nicht ertragen kann, dass andere Menschen ihm zu nah kommen. Deshalb verliert er jede Anstellung und damit seine Chance auf ein baldiges Leben in Freiheit. Schließlich findet er doch noch einen Job. Diese könnte selbstzerstörerischer aber nicht sein. Er heuert bei einem Bestattungsunternehmen an und wird fortan mit dem konfrontiert, was ihm seit Jahren Angst einjagt und ihm die Luft zum Atmen nimmt: den Tod.
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Georg Friedrich (hinten) in "Atmen"
Facetten des Daseins
Auf den ersten Blick ist "Atmen" ein realistischer Film. Minutiös begleitet die Kamera den jungen Mann, um alle Facetten seines Daseins offenzulegen. Sie zeigt seinen Alltag im Gefängnis, seine Bemühungen um einen Job und schließlich seine Tätigkeit im Bestattungsunternehmen. Gleichzeitig registriert sie die gebrochene Innenwelt des jungen Mannes, dem es sichtlich schwer fällt, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Nur allmählich kristallisiert sich die Ursache von Romans Soziopathie heraus. Mit gerademal 14 Jahren erschlug er bei einem Streit einen Gleichaltrigen. Seither sitzt er im Gefängnis und muss mit seiner Tat leben. Feinfühlig zeigt Karl Markovics die Verletzungen des Jungen, aber auch seinen Wunsch, wieder Mitglied der Gesellschaft, wieder aktiv am Leben teilzunehmen.
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Karl Markovics und Kameramann Martin Gschlacht am Set von "Atmen"
Subtile Spannungsbögen
Großartig sind auch die subtilen Spannungsbögen, die Markovics in seine Zustandsdiagnose einbaut. Als Roman im Bestattungsunternehmen anheuert, wird er von seinen Kollegen nicht sonderlich höflich, aber doch korrekt aufgenommen. Nur Rudolf (Georg Friedrich) tritt dem Neuen offen feindselig gegenüber und weist ihn immer wieder in die Schranken. Die Konfrontation der beiden, dem zurückhaltenden Jungen und dem kurz vor einer Explosion stehenden Älteren, gehören zu den besten Momenten von "Atmen" und verleihen ihm eine subtile Spannung.

Gelungen sind auch jene Momente, in denen sich beide allmählich näher kommen. Markovics zeigt diese Entwicklung ganz gemächlich, was durch das subtile Spiel von Friedrich und Thomas Schubert - der ein gelungenes Debüt gibt - unterstrichen wird. Durch kleine Gesten und Szenen am Rande, werden der Panzer des einen und die Mauer des anderen gesprengt. Der Umschwung von einem Moment in den anderen, von der Verhärtung zur Aufweichung ist die Szene, in der eine tote alte Frau für die Beerdigung hergerichtet wird. Hier kulminiert der Konflikt der beiden, hier kommen sie sich durch die gemeinsame Arbeit näher. In dieser Szene erreicht Markovics Beobachtungsdramaturgie ihren Höhepunkt. So respekt- und liebevoll wurde der Tod und ein Handwerk selten ins Bild gerückt.
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Schauspielerei nur Umweg? Regiedebütant Karl Markovics
Extrem stilisiert
Andererseits ist "Atmen" aber auch extrem stilisiert. So sehr die Dramaturgie des Films im Großen auf eine Aneinanderreihung von Beobachtungen und Impressionen ausgelegt ist, überlässt Markovics im Kleinen nichts dem Zufall. Die Bilder seines Dramas sind präzise und strahlen in ihrer gedämpften Farbigkeit eine Kälte aus, die den Gemütszustand des Protagonisten wiedergeben. Auch die Symbolik von "Atmen" spricht für die straffe Inszenierungsweise Markovics. Das Gefängnis hält nicht nur den Menschen gefangen, es symbolisiert auch seine innere Gefangenschaft. Romans Suche nach einem Job ist nicht nur die konkrete Vorbereitung auf das soziale Leben, sie steht auch für seine Sehnsucht nach einer Befreiung von seiner Schuld.

Das sich wiederholende Motiv des Schwimmens verweist auf die Gradwanderung des Jungen zwischen Freiheit und Untergang, Atmen und Ersticken. "Atmen" ist ein Film über die Rückkehr eines Verlorenen ins Leben, wie Markovics in einer Pressemitteilung betont. Das unterscheidet sein erstaunliches Debüt von den Filmen der Berliner Schule. Markovics geht es nicht nur um die Darstellung des Verlorenseins des Menschen in einer ihm fremden Welt, er sucht nach einer Lösung, einem Weg, der Mensch und Welt einander wieder näher bringt.
erschienen am 24. November 2011
Zum Thema
Karl Markovics wird 1963 als Sohn einer Verkäuferin und eines Busfahrers in Wien geboren. Er weiß schon früh, dass er Schauspieler werden möchte. Obwohl er am Indien" sein Kinodebüt hin. Sein bislang größter internationaler Erfolg ist die Hauptrolle in dem mit einem Die Fälscher". Mit anderen österreichischen Filmschaffenden gründet Markovics am elften März 2009 die Österreichische Filmakademie.
Atmen (Kinofilm)
In seinem Regiedebüt erzählt Schauspieler Karl Markovics von einem jugendlichen Gefängnisinsassen, der wegen Totschlags zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Roman (Thomas Schubert) bekommt die Chance auf eine Bewährungsstrafe, wenn er sich in einem Job bewährt. Obwohl er seit seiner Tat traumatisiert ist, entschließt er sich, die Stelle in einem Bestattungsinstitut anzunehmen. Das stilsichere Drama erzählt in präzisen Bildern vom Gefängnis- und Arbeitsalltag eines gebrochenen jungen Mannes..
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