Paramount Pictures
Zeichnung für Madagascar
Hinter den Kulissen von Madagascar
Feature: Einsame Wellen, fröhlicher Sand
Kaum macht das Zebra Marty mit dem Löwen Alex, dem Nilpferd Gloria und der Giraffe Melman im New Yorker Zoo die Fliege, ist das tierische Ensemble inselreif. Auslöser der Odyssee sind vier gestörte Pinguine - und wer dergleichen witzig findet, ist in "Madagascar", dem neuen Trickfilmabenteuer aus der "Shrek"-Manufaktur, gut aufgehoben.
erschienen am 17. 07. 2005
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Zootiere in Madagascar
Viereinhalb Jahre lang haben die Regisseure Tom McGrath und Eric Darnell ("Antz") mit einem 350-köpfigen Team aus Technikern und Kreativen an dem 85 Minuten langen CGI-Streifen gestrickt. Die Idee: eine abendfüllende Komödie im Cartoon-Stil von Hanna-Barbera, jedoch animiert mit aktueller 3D-Software. Die Handlung: Ein Quartett von überdomestizierten, den US-Stars Ben Stiller (Löwe), Chris Rock (Zebra), David Schwimmer (Giraffe) und Jada Pinkett Smith (Nilpferd) nachempfundenen und von Ihnen gesprochenen Zootieren bricht aus dem New Yorker Großstadtdschungel aus und strandet in der Wildnis Madagaskars. Das Urwaldabenteuer wird zur Überlebensfrage - schließlich ist das Zebra Marty nicht nur der beste Freund des Löwen Alex, sondern zur Not auch ein gefundenes Fressen.

"Wir mussten eine neue Welt erfinden", erklärte Tom McGrath Anfang April 2005 im Rahmen einer Studiotour für internationale Journalisten. PDI, gegründet 1981, steht dabei für Pacific Data Images. Das inzwischen mit dem Hollywood-Studio DreamWorks fusionierte Computergrafikhaus ist im Silicon Valley angesiedelt, nur einen Katzensprung entfernt von Palo Alto. Mit "Shrek - der tollkühne Held" und der noch erfolgreicheren Fortsetzung "Shrek 2 - Der tollkühne Held kehrt zurück" (der dritte Teil ist in Produktion) brach der bislang einzige ernsthafte Pixar-Konkurrent alle Kassenrekorde - doch vom hyperrealen Look des grünen Ungetüms ist "Madagascar" meilenweit entfernt. "Wir haben einen völlig anderen Stil kreiert und konnten deshalb nichts von früheren Projekten übernehmen", bringt Darnell das Dilemma auf den Punkt.
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Szenen enthalten bis zu 700 Tiere und 14.000 Pflanzen!
Auch sonst hatten die unter Linux arbeitenden Hewlett-Packard-Serverfarmen und -Workstations allerhand zu tun: Eine bestimmte Szene enthält 700 pelzige Kreaturen, eine andere gut 14.000 Pflanzen. "Das sind", grinst Darnell, "vier Millionen sich im Wind bewegende Blätter. Ziemlich rechenintensiv." Dennoch floss das Gros der Produktionszeit nicht in die Technik, sondern in die Entwicklung der Geschichte. Die Storyboards wurden im AVID-Schnittsystem zu einem Pseudofilm montiert, im Vorführraum gesichtet, lebhaft diskutiert und in der Folge immer wieder abgeändert und verfeinert - ein kontinuierlicher Prozess und manchmal eine Endlosschleife. Studioboss Jeffrey Katzenberg spielte dabei eine Schlüsselrolle. Er ist, petzen einige Angestellte hinter vorgehaltener Hand, der eigentliche Regisseur sämtlicher DreamWorks-Trickfilmproduktionen. Offiziell hört sich das freilich anders an. Da inszeniert sich Katzenberg als freundlicher Katalysator, der, so McGrath, "unsere Ziele früh erkennt und ihre Umsetzung nach Kräften unterstützt." "Außerdem", schwenkt Darnell ruckzuck auf die Schleimspur ein, "ist Jeffrey für viele der Gags im Film verantwortlich". Na dann ist ja alles gut.

Die Arbeit von Produktionsdesignerin Kendal Cronkhite basiert auf einem nur zehnseitigem Treatment. Cronkhite ist für "Madagascars" Look verantwortlich und orientierte sich dabei zunächst am New York der 60er-Jahre. Für die Dschungelwelt standen Henri Rousseaus naive Bilder Pate: farbenfroh, überlebensgroß und organisiert wie ein botanischer Garten. Cronkhite und ihre Stellvertreterin Shannon Jeffries legten in Photoshop eine Bibliothek von 50 Pflanzentypen an, aus der sich ihre zehn Mitarbeiter frei bedienen konnten. Eines der Hauptprobleme war dabei, den stilisierten Look über den gesamten Film hinweg beizubehalten, denn sobald eine im Prinzip abstrakte Cartoon-Szene erst einmal in 3D animiert, mit Oberflächen versehen und perfekt ausgeleuchtet ist, wirkt sie auf einmal realistisch - manchmal zu realistisch.
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Ausdrucksstarke Posen und Bewegungen
Aus einer fremden Welt stammen auch die Hauptfiguren von "Madagascar". Entwickelt wurden die Geschöpfe von Rob Vogt, einem der technischen Direktoren: Vogt ist quasi der Puppenmacher des Projekts. Ausdrucksstarke Posen und Bewegungen sind die Markenzeichen seiner Cartoon-Kreaturen, deren einzelne Körperteile (Hüften, Beine, Arme, Schultern, Hände usw.) sich unabhängig voneinander strecken, dehnen, stauchen und verzerren lassen. Das digitale Drahtskelett und die darüber liegende "Muskelschicht" unterscheiden sich entsprechend stark von echten Menschen oder Tieren. Über allem liegt eine Art Gummianzug - ein knitterfreies, elastisches Netz, auf das anschließend Haut und Fell der Tiere aufgetragen werden. Beim Löwen Alex fällt dabei besonders dessen Mähne auf. Diese besteht aus 50.000 Einzelhaaren, deren Bewegungen an 354 "Leithaare" gekoppelt wurden. Und weil auch diese Zahl jeden Computerzeichner überfordert, programmierte Vogt um die Mähne herum ein Userinterface aus zehn frei positionierbaren Magneten. Diese garantieren einen natürlichen Bewegungsfluss der Haare - wahlweise von den Zeichnern manuell oder vom Computer mit Hilfe eines dynamischen Simulationsmodells vollautomatisch animiert. Was für die Körperteile der Figuren gilt, trifft auch auf die Gesichter zu, deren Segmente (Augen, Kiefer usw.) sich einzeln animieren, dehnen oder stauchen lassen. Die dafür notwendige Software wurde selbst entwickelt, lediglich bei der Erstellung der Modelle kam Maya zum Einsatz. Bevor die Zeichner Vogts Geschöpfe mit Leben erfüllen dürfen, ist Ewan Johnson an der Reihe. Als "Head of Layout" ist er Kameramann und Szenenchoreograph in einem. Johnson ist ein Deserteur: Neun Jahre lang war er für Pixar tätig und dort an allen Hits beteiligt, von "Toy Story" bis "Die Unglaublichen - The Incredibles". Nun setzt er bei DreamWorks Sets und Szenen im Computer grob zusammen, fügt die Figuren ein, legt Kameraperspektiven und -bewegungen, Brennweite und Tiefenschärfe fest. Das Ergebnis ist eine primitive, mit Animatics vergleichbare Version des Films, aus der die Zeichner und Effektexperten später eine hochwertige, lebendige Kinoversion erschaffen.
Madagascar
Auch Rex Grignon trägt bei DreamWorks einen eindrucksvollen Titel: Als "Head of Character Animation" kommandiert er eine 60 Zeichner starke Truppe. Sie sind die Puppenspieler und das emotionale Herz von "Madagascar". Das Team arbeitet mit "e-motion", einer mit mehreren technischen Oscars ausgezeichneten Eigenentwicklung. Ausgangspunkt für die Computerzeichner sind, neben den Storyboards und dem Layout, die im Vorfeld aufgenommenen Schauspielerdialoge, die von einem Sprachprogramm analysiert und phonetisch aufgebrochen werden. Anschließend werden die Mundbewegungen der einzelnen Figuren synchron zu den Dialogen im Computer animiert - und zwar keineswegs vollautomatisch, sondern quasi noch von Hand. Zwar kann "e-motion" Zwischenbilder (In-Betweens) zwischen zwei Posen automatisch rechnen, doch das Ergebnis wirkt dann oft roboterhaft. Ständiges Eingreifen ist Pflicht, deshalb ist es kein Wunder, dass ein Zeichner oft eine Woche braucht, um die Bewegungen seiner Figur in einer Szene vollständig auszuarbeiten.

Für die finale Politur und den Aha-Effekt sorgt schließlich die Effektabteilung um Scott Singer. Ihre Domänen sind Spezialeffekte, Oberflächen und Beleuchtung. Singer ist außerdem ein Spezialist für Feuer, Wasser, Staub und Trümmer - solange die aus dem Computer kommen. Dabei geht es in "Madagascar" nicht um ein besonders realitätsnahes Erscheinungsbild, sondern darum, einen ganz bestimmten Eindruck oder einen Gag zu erzielen. Aus diesem Grund wurden sogar die Ozeanwellen von den Zeichnern erst als eigenständige Figuren animiert - und anschließend Spezialprogramme angeworfen, die Oberflächen und Partikelstürme simulieren. "Die Wünsche unserer Kreativen klingen manchmal etwas eigentümlich", schmunzelt Singer. "Einmal wollten sie 'einsame Wellen' haben, ein anderes Mal 'fröhlichen Sand'." Singers 65-köpfiges Expertenteam macht's möglich. Die dabei eingesetzte DreamWorks-Software ist dermaßen kompliziert, dass sogar von der Konkurrenz kommende Veteranen mehrere Monate Einarbeitungszeit benötigen.

Gut 100 Millionen Dollar verschlingt ein CGI-Film à la "Madagascar" bei der Herstellung. Entsprechend groß war auch der Druck auf die Verantwortlichen, nachdem die Storyboards fertig gestellt und die Produktions-Pipelines geöffnet worden waren. "Von diesem Zeitpunkt an musst du die Bestie ständig füttern", jammern die Regisseure Tom McGrath und Eric Darnell im Duett. Nach der US-Premiere wollen die beiden deshalb erstmal Ferien machen. Bis Jeffrey Katzenberg - entsprechenden Kassenerfolg vorausgesetzt - sie hoffentlich bald wieder aktiviert: für "Madagascar 2".
erschienen am 17. Juli 2005
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Marty, Alex, Gloria und Melman sind die verwöhnten Stars des New Yorker Central Park Zoo. Wenn da nur nicht der Ruf der Wildnis wäre. Das tierische Quartett büchst trotz seiner privilegierten Stellung aus dem Großstadtdschungel von Manhattan aus - und strandet auf dem Eiland "Madagascar". Das Ergebnis ist ein turbulentes, urkomisches Trickfilmabenteuer, dem man einen gewissen Mangel an Substanz gerne verzeiht. Es gilt: Die Pinguine sind an allem schuld!
Tom McGrath wird am 7. August 1965 in Washington geboren. Schon als Kind interessiert er sich für Cartoons und dreht mit seinem Bruder kleine Stop-Motion Filme. Für McGrath steht fest, dass er nach seinem Industrie-Design-Studium etwas Kreatives machen will. In den 1990er Jahren arbeitet er als Regisseur der Zeichentrickserie "The Ren & Stimpy Show" fürs Fernsehen. Mit dem Kinofilm "Madagascar" schaffte er 2005 seinen Durchbruch als Animationsregisseur. Außerdem leiht er als Synchronsprecher..
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