Universum Film
Szene aus "Das wandelnde Schloss"
Deutsche Romantik im Land der aufgehenden Sonne
Feature: Märchen und Realität
Deutschland und Japan stehen sich in Manchem näher, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Trotz großer Unterschiede und einer oft oberflächlichen, auf Stereotypen wie Rhein-Romantik und fernöstlicher Exotik reduzierten wechselseitigen Wahrnehmung gibt es auch tiefere, in den Kulturen beider Länder verankerte Gemeinsamkeiten. So erscheint dem deutschen Besucher in Japan manches bei genauerer Betrachtung nicht so fremd, wie er es zunächst wohl vermutet hätte. So der Respekt für die Natur oder die urromantische Gegenüberstellung von Märchen und Realität. Um diese Dichotomie geht es auch in Hayao Miyazakis Zeichentrickfilm "Das wandelnde Schloss".
erschienen am 20. 08. 2005
Universum Film
Gegenüberstellung von romantischem Märchen und grausamer Realität
Der junge Zauberer Hauro (gesprochen von Robert Stadlober) zieht mit seinem auf vier Beinen stehenden, aus Schrottteilen zusammengeflickten Schloss durch eine vom Krieg bedrohte und verwüstete Welt. Er kämpft als einziger nicht für die eine oder andere Seite, sondern gegen den Krieg an sich. Doch Hauros Herz ist von einem Dämon befallen, der den Zauberer langsam in ein gefiedertes Ungetüm verwandelt. Nur die Liebe der 18-jährigen Hutmacherin Sophie (Sunnyi Melles), die eine Hexe in eine alte Frau verwandelt hat, kann sein Herz retten und ihm helfen, den Weltkrieg zu beenden.

Aber zurück zur Romantik und der Gegenüberstellung von Märchen und Realität. Die Märchenwelt wird in Miyazakis Film durch den Zauberer Hauro und sein Schloss verkörpert, die Wirklichkeit durch den Krieg. Dass eine solche Realitätsdarstellung nicht ganz aus der Welt gegriffen ist, ist nachzuvollziehbar. Man denke da nur an Terroranschläge, den Irak, Afghanistan oder den Sudan. Aber auch an die Angst, vor allem an die in Japan naturgemäß ausgeprägte Angst vor nuklearen Konflikten: Stichwort Nord Korea. Um eine Welt zu retten, die sich im Kriegszustand befindet, muss ein Zauberer her. Die Verzauberung der Welt durch das Märchen ist das romantische Topos schlechthin. Die Romantiker hatten die feste Überzeugung, die Welt müsse 'romantisiert' werden, damit die Krise, in der sich der Mensch und die Welt befinde, überwunden und der ursprüngliche Sinn des Lebens entdeckt werden könne. Novalis spricht in diesem Zusammenhang von der 'Poetisierung des Lebens' und der 'Herstellung der Märchenwelt'. Wie man daran sowie an den im Film enthaltenen Zitaten, etwa die Caspar David Friedrichs, erkennen kann, ist Miyazakis Welt mit romantischem Ideengut stark verwandt.
Universum Film
Hauro, in der deutschen Version gesprochen von Robert Stadlober
Diese Nähe beschränkt sich nicht nur auf die Gegenüberstellung von Märchen und Realität, sondern erstreckt sich weit darüber hinaus, zum Beispiel auf die Helden. Sowohl in Miyazakis Werk, als auch in der romantischen Dichtung sind diese stets jung. Nur Kindern und Jugendlichen wird zugemutet, die Welt zu retten. Im Unterschied zu Erwachsenen, die sich an die bestehenden Zustände gewöhnt haben, besitzen sie noch ein reines Herz und damit die Kraft zur Erneuerung. Auch die Naturwahrnehmung gehört zu den Gemeinsamkeiten, zwischen der deutschen und japanischen Kultur. In romantischem Gewandt erscheint die Natur im "Wandelnden Schloss" als Spiegel der Seele. In den kurzen Augenblicken unbeschwerten Rückzugs vor den Kriegswirren wird sie zum Locus Amoenus stilisiert. Sobald der Krieg ausbricht und Hauro zum gefiederten Monster wird, zeigt die Natur ein menschenfeindliches und bedrohliches Antlitz.

Trotz der vielfältigen Verwandtschaft von Miyazakis Werk mit dem deutschem Kulturgut und den aktuellen weltpolitischen Bezügen des Films, bleibt dem deutschen Zuschauer "Das wandelnde Schloss" weitgehend fremd. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Geschichte, die zu verworren erscheint. Vieles bleibt ohne logische Erklärung. Das mag das mehr auf atmosphärische als auf sachliche Stringenz bedachte asiatische Publikum nicht weiter stören. Noch problematischer als die Geschichten sind die Figuren. Diese bleiben in ihren Motivationen oft unergründlich und bewegen sich nicht selten auf dem dünnen Eis bekannter Klischees. Gegen eine undurchsichtige Geschichte und typisierte Figuren vermögen auch die bezaubernden Bilder des Anime-Altmeisters Hayao Miyazaki und die ausdrucksstarke Musik von Joe Hisaishi nur wenig ausrichten. Insgesamt bleibt "Das wandelnde Schloss" weit hinter dem Niveau von "Prinzessin Mononoke" und dem Oscargekrönten "Chihiros Reise ins Zauberland".
erschienen am 20. August 2005
Zum Thema
Hayao Miyazaki gilt als der'japanische Walt Disney. Nach einem Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaften arbeitet er ab 1963 als Animationszeichner. Neben Kinoproduktionen realisiert Miyazaki vor allem Animationsserien für das Fernsehen. Mitte der 1980er Jahre macht er sich mit dem Studio Chihiros Reise ins Zauberland" (2001) erhält er 2002 den Goldenen Bären der Berlinale. Im Jahr darauf wird der Film mit dem Oscar ausgezeichnet.
Die 18-jährige Sophie verliebt sich in den mächtigen Zauberer Hauro. Eine eifersüchtige Hexe verwandelt das Mädchen jedoch in eine alte Frau. Sie beginnt ihre Suche nach einem Gegenmittel, um den Fluch zu beenden. Hayao Miyazaki erweckt eine visuell beeindruckende Welt zum Leben. Den Stärken im künstlerischen Bereich stehen Mängel in Plot und Figurenzeichnung gegenüber. Der ernste Stoff wird durch falsche erzählerische Entscheidungen verwässert.
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