Kais Nashef, Ali Suliman
Ins Paradies - jetzt!
Feature: Irrwege ins Jenseits
Die beiden jungen Palästinenser Saïd (Kais Nashef) und Khaled (Ali Suliman) sind für ein Selbstmordattentat auserkoren. Mit Sprengstoffgürteln versehen brechen sie nach Tel Aviv auf, doch ihre Operation scheitert bei einem ersten Versuch. Plakative Schuldzuweisungen vermeidend, liefert Hany Abu Assads hoch gelobter und viel diskutierter Film das subtile Portrait eines für Europäer schwierig zu verstehenden Phänomens.
erschienen am 1. 10. 2005
Paradies oder Hölle, was wartet auf einen Selbstmordattentäter (Ali Suliman)?
Kaum ein Phänomen des Palästinenserkonfliktes ist aus europäischer Perspektive schockierender und unverständlicher, als Selbstmordattentäter. In den Nachrichten finden sich nur die verstörenden Bilder des Blutbads und ein kurzer, befremdlicher Ausschnitt aus einem Märtyrervideo, in dem der Attentäter seine Mission mit einem Heilsversprechen legitimiert. Wie kann religiöser Fanatismus jungen Menschen derart das Hirn waschen, dass sie im Glauben transzendentaler Erlösung sich und andere in den Tod reißen?

Das Erschreckende an den Protagonisten aus Hany Abu Assads "Paradise Now" (2005) ist ihre Durchschnittlichkeit. Saϊd (Kais Nashef) und Khaled (Ali Suliman) sind zwei total normale Jungs, wie wir sie eigentlich auch aus unserem deutschen Alltag kennen. Die langjährigen Freunde jobben in einer Autowerkstatt, interessieren sich für schnittige Flitzer und hängen in ihrer Freizeit Wasserpfeife rauchend in den Hügeln um Nablus ab. Bis sie von fundamentalistischen Schergen zu ihrer vorbestimmten Mission gerufen werden. Sie sollen sich als Selbstmordattentäter in einem Bus in Tel Aviv in die Luft sprengen. Nur in absoluten Notfällen dürfen sie die Aktion abbrechen und nach Hause zurückkehren. Aber insbesondere für Saϊd, dessen Vater als Kollaborateur mit den Israelis Schande auf die Familie gebracht hat, ist es auch eine Frage der Ehrenrettung, den Auftrag durchzuziehen. Der erste Versuch, über die Grenze in israelisches Gebiet einzudringen, scheitert dennoch.
Wie wird aus einem jungen Mann mit Träumen ein menschlicher Alptraum?
Ungewöhnlich für ein europäisches Publikum ist die Perspektive des Selbstmordattentäters Saϊd, aus der der Film erzählt wird. Mehr noch, die filmische Erzählweise fördert die Identifikation des Zuschauers mit dem jungen Mann. Er hat einen kritischen Verstand, macht einen aufgeweckten Eindruck, und mehr als Khaled liefert ihm die Entwicklung der Geschichte die besseren Gründe, die ganze Sache hinzuschmeißen. Insbesondere eine junge arabische Frau (Lubna Azabal) mit kosmopolitischem Hintergrund, die in der westlichen Welt gelebt hat, rüttelt an Saϊds festgefahrenem Weltbild. Während eines langen Moments glaubt man an eine rettende Läuterung, gar an einen romantischen Ausgang der Geschichte für den sympathischen Protagonisten. Dass dann doch alles ganz anders kommt und das Schicksal der Identifikationsfigur eine überraschende Wendung nimmt, irritiert und verstört. Aber das macht den Film in seiner Wirkung so effizient.

Unaufdringlich und keineswegs didaktisch erzählt, vermeidet der Film Schuldzuweisungen an die Beteiligten des Palästinenserkonfliktes. Darin liegt seine Stärke und Überzeugungskraft. In subtilen ironischen Brechungen distanziert sich Hany Abu-Assad zu seinen Figuren, ohne sie bloß zu stellen. Nach dem ersten missglückten Attentat versucht Saϊd auf der Toilette einer Bar mit Schweißperlen auf der Stirn, sich vorsichtig seines Sprengstoffgürtels zu entledigen. Abu-Assad zeigt das Dilemma seiner Figur fast ungerührt. Khaleds mit Inbrunst vorgetragener Märtyrerdiskurs wird durch die Banalität der filmischen Aufnahmesituation entzaubert. Nach seiner heldenhaften Inszenierung weist der Kameramann lapidar auf einen technischen Defekt hin. Die Wiederholung seiner Aufnahme ist wie eine Liebeserklärung, die man ein zweites Mal machen muss: jegliche Authentizität ist dahin. Das letzte gemeinsame Essen im Kreise der Fundamentalisten zitiert in einem kurzen Tableau die christliche Symbolik des letzten Abendmahls. Weil sie so unscheinbar, ja fast zufällig scheint, ist diese Randbemerkung in ihrer Provokation bestechend eindringlich.
erschienen am 1. Oktober 2005
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Paradise Now (Kinofilm)
Hany Abu Assad beleuchtet den Nahost-Konflikt von einem ungewohnten Blickwinkel. Eindrucksvoll inszeniert er die Geschichte zweier palästinensischer Selbstmordattentäter (Ali Suliman und Kais Nashef), die von inneren Zweifeln geplagt einen Anschlag planen. Der palästinensische Regisseur verurteilt weder die israelischen Besatzer noch die Terroristen, sondern legt schlicht deren Beweggründe offen. Sein potentes Ensemble rundet das aufschlussreiche Filmwerk ab.
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