Neue Visionen
Mimen zwei wenig erfolgreiche Vertreter von Spaßartikeln: Nisse Vestblom und Holger Andersson
Große Kinokunst: Betrachtung über Spezies Mensch
Feature: Roy Andersson über das Scheitern
Die deprimierten Sam (Nisse Vestblom) und Jonathan (Holger Andersson) sind Vertreter für Scherzartikel. Viel zu wenige der kummervollen Göteborger Kunden haben daran Interesse und die beiden Pechvögel stecken tief in den Schulden. Derweil geht selbst König Karl der XII. vor die Hunde.
erschienen am 25. 10. 2014
Neue Visionen
Szenenbild aus "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach"
Zeitlos, reglos, nahegehend
Der Gewinner des Goldenen Löwen verkauft philosophische Scherzartikel, bezahlt sie mit Küssen und tritt Lachsäcke tot: Der finale Teil von Roy Anderssons Trilogie über das Menschsein schließt nach dem schwächeren "Das jüngste Gewitter" wieder an die kuriose Klasse von "Songs from the Second Floor" an und entwickelt wie dieser Geniestreich eine Stimmung, die einen nicht mehr los lässt. Und hin und wieder gurrt auch eine Taube.

Erneut liefert der nunmehr über 70-Jährige Schwede eins seiner viel zu seltenen Unikate ab. Es ist eine absurd-existentielle Meditation über das (Un)Wesen des Menschen und dessen Fehler. In den mit einer statischen Kamera in je einer Einstellung absolvierten, lakonischen Sketchen dominieren Missverständnisse, Missgeschicke, Scheitern und Erfolglosigkeit, Verzweiflung und Kläglichkeit. In dem Kummer steckt aber eine herzige Anmut.

Es sind bleiche Menschen in pastellgrauen Stillleben, die in meisterhaft getakteten, mitunter monatelang präparierten Plansequenzen absurdes Theater spielen. So kumuliert sich Tableau um Tableau, zeitlos, reglos, aber nahegehend. Der Chor aus Hinke-Lottas Kneipe nach der Melodie von Glory Glory Hallelujah fällt rührend aus. Andersson beherrscht eben nicht nur die Kunst des negativen Denkens.
Neue Visionen
Szenenbild aus "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach"
Klagen skurril Verirrter
Auch der Schwedische König, der mit seinem Gefolgschaft in eine Bar zu Mineralwasser und Lustknabe einreitet, kehrt später mit den Resten seines geschlagenen Heeres zurück, von schluchzenden Frauen flankiert. Und dann ist auch noch die Toilette besetzt! Das Gemäldehafte in Otto Dix-Manier verbindet sich mit Trivialismus, durch den die zwei Protagonisten, fahle Knittergesichter, führen: wie Zombies in Zeitlupe.

"Es freut mich, dass es dir gut geht": Das ist einer der Running Gags, ein oft wiederholter nichtssagender Satz, der mit verschmitzter Lethargie das Komische in letzten Mahlzeiten und Handtaschen findet. Diesmal entdeckt Andersson aber auch die Grausamkeit des Menschen, am Tierexperiment eines gemarterten Affen oder der Phantasmagorie einer riesigen Kupferorgel, die Sklavenschreie in liebliche Musik verwandelt.

Aus den Kraftwerken des Leids, seiner permanenten Doppeldeutigkeit und den vielsagenden Anspielungen der ausgetüftelten Einzel-Vignetten ergibt sich das große Bild einer Menschheit in all ihrer traurigen wie kauzigen Absurdität. So hätte es Jason Reitmans "#Zeitgeist" wohl gerne auf den Punkt gebracht - mit kunstvollem Klagen dieser skurril Verirrten zum Nachsinnen über Gott und die Welt anregen und darüber das Gemüt bewegen.
erschienen am 25. Oktober 2014
Zum Thema
Eine Verkaufsreise, irgendwo im Nirgendwo: Die Stimmung ist mies, das Ambiente eher dürftig. Anstatt ausgelassen zu feiern und eine schöne Zeit zu haben, sitzen die überwiegend älteren Herren trübsinnig in der Gegend herum und hoffen, dass die Reise endlich vorüber geht. Lässt sich der Zuschauer auf die ungewöhnliche Optik und Erzähltechnik von Regisseur Roy Andersson ein, wird er mit einem sehr interessanten und lebenskluges Werk belohnt.
Saß bei der Revolution im Kino (um näher dran zu sein). Hat deshalb 9000 Filme intus.
Roy Andersson wird am 31. März 1943 in Göteborg geboren. Sein Studium der Virologie bricht er nach neun Monaten ab und wechselt zum Film. An der Ingmar Bergman kennen, der zu seiner Zeit oberster Inspektor der Universität ist. Der Regisseur hat aufgrund unterschiedlicher politischer Vorstellungen ein gespanntes Verhältnis zu Andersson. Dieser dreht bis 2011 über 300 Werbespots und vier Langfilme. Sein Debüt "Eine schwedische Liebesgeschichte" gilt in seinem Heimatland als einer der..
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