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Brian Jones (Leo Gregory) liebt die Aufmerksamkeit
Bad Boys zwischen Leben und Tod
Feature: Blick in den Abgrund
The Rolling Stones sind ein Universum für sich. 44 Jahre gelebter Rock'n'Roll, voller Grenzerfahrungen, Orgien und zelebrierten Exzessen. Ungeschliffene Ikonen, Narzissten der dunklen Seele, die Personifikation von Massenhysterie. Pünktlich zum deutschen Tourauftakt der dienstältesten Mega-Band im Sommer 2006 widmet sich Stephen Woolleys Kinofilm "Stoned" dem mysteriösen Drogentod von Gründungsmitglied Brian Jones und den halluzinogenen Anfängen der Band.
erschienen am 23. 06. 2006
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Brian Jones (Leo Gregory): Bloß nicht auffallen
Sympathy for The Devil
Das Leben an den Polen zu testen und jeden Tag bis zum Exzess zu leben, ist so fest mit dem Dogma der Band verankert wie ihre knallenden Rock'n'Roll-Beats. "A Bigger Bang" - Ein Blick in den Abgrund. Wie die Beatles wollten Keith Richards und Mick Jagger nie sein. Als sich die beiden ehemaligen Schulkameraden 1961 durch einen gemeinsamen Freund treffen, reichte ein gemeinsamer Akkord, um allem Braven und Sittsamen eine klare Absage zu erteilen. Bei Brian Jones, dem damaligen Gitarristen der Band "Blues Incl." stößt man auf offene Ohren, schnell finden Richards und der ehemalige BWL-Studenten Jagger in ersten Jam-Sessions kreative Gemeinsamkeiten. Für Jones, einem 19-jährigen zahmen Schuljungen vom Lande, war der Umzug nach London eine Offenbarung: Das pulsierende Leben der City und erste Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen wecken den Rebellen in ihm mit umso größerer Härte.
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Bria Jones (Leo Gregory) mit dem "Bad Boy"-Blick
In Anlehnung an einen Muddy Waters Song formiert man sich unter dem Namen The Rolling Stones neu, und nach ersten Coveraufnahmen wird der Bandname mit dem ersten Auftritt am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club zum neuen Erfolgsmotto. Manager Andrew Loog Oldham verpasst den Jungs ein "Bad Boy"-Image. Als radikale Gegenversion zu den Beatles lassen sie sich als jugendliche Kriminelle auf der Bühne feiern. Der Durchbruch kommt mit "Satisfaction". Der Song markiert den Übergang von ihrer früheren Rhythm & Blues-Spielart zu einer völlig neuen Form von Rock'n'Roll - danach ist nichts wie zuvor. Im Eilverfahren gelingt der Weg in den Rockolymp, dabei geraten die Konzerte zunehmend außer Kontrolle. Nachdem bei einem Gig durch Tumulte im Zuschauerraum mehrere Fans zertrampelt werden, heuern die Stones Motorradrocker der Hells Angels als Security an, ein folgenschwerer Fehler, der sich herausstellt, als ein schwarzer Konzertbesucher von einem der Sicherheitsmänner erstochen wird.

Auch sonst ist im Leben der Stones nicht alles "Love and Peace", wie es die Flower Power-Generation vorzuleben versucht. Die Regierung verfolgt sie nicht nur wegen Steuerhinterziehung, sondern auch wegen schwerer Drogendelikte. Die Dokumentation "Cocksucker Blues", die in unverblümten Bildern das exzessreiche Tourleben zeigt, wird kurzerhand verboten. Zu drastisch das Gezeigte, zu offensichtlich die Sex- und Drogenorgien, die so gar nicht zum biederen Alltag einer gebeutelten Nachkriegsgeneration passen wollen. Entsprechend vehement greift die Staatsgewalt schließlich ein: Es hagelt Anzeigen, Richards und Jagger werden nach Razzien in ihren Villen verhaftet, Jones bekommt Einreiseverbot in die USA. Doch zwischen den drei gibt es einen entscheidenden Unterschied: Jagger und Richards können mit den Drogen umgehen, Brian Jones kann es nicht.
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Brian Jones (Leo Gregory) liebt die Bühne
Only Rock'n'Roll (but I like it)
"Er schwebte in höheren Hemisphären als irgendjemand sonst" beschreibt Pete Townshend von The Who Jahre später die tragische Abhängigkeit des Rockstars. Auch Keith Richards erinnert sich: "Die Leute haben ihm dauernd Stoff angeboten, weil er ein Stone war. Und er hat es probiert. Er hat alles genommen. Auch alle möglichen sonstigen Trips, bewusstseinserweiternde Drogen. Er hatte nie die Zeit, damit klarzukommen, weil wir die ganze Zeit auf Tour waren und am nächsten Tag schon wieder im Flugzeug." Seine tiefen Rauschzustände hindern ihn gegen Ende der 1960er Jahren sogar daran, an den Proben teilzunehmen. Als ihn seine damalige Freundin und Muse Anita Pallenberg wegen seiner gewalttätigen Wutausbrüche verlässt und mit Keith Richard zusammenkommt, zieht er sich auf sein neues Anwesen zurück, die frühere Farm des "Winnie Pooh"-Erfinders A. A. Milne.

Während der schwere Asthmatiker Jones dort gegen seine Sucht anzukämpfen versucht, sein Verlangen nach Pillen, Kokain und LSD in Alkohol ertränkt, suchen die Stones nach einer Lösung. Volle 2 1/2 Jahren waren seit der letzten Tour vergangen, der Probenprozess ins Schleppen geraten, die Presse hat zu munkeln begonnen, die Fans schimpfen. Mit dem Druck im Nacken besuchen Mick Jagger und Keith Richards im Hochsommer 1969 ihren verwahrlosten Freund auf seinem Anwesen, um mit ihm über die Zukunft der Stones zu sprechen. Kurze Zeit später verkündet Jones am 05. Juni den Ausstieg aus der Band, offizielle Begründung sind kreative Differenzen, doch intern munkelt man von einer Entlassung wider Willen. Was an diesem Sommernachmittag wirklich besprochen wurde, bleibt genauso ungeklärt wie die tragischen Ereignisse in den Folgewochen. Fakt ist nur, dass 28 Tage später, in den frühen Morgenstunden des 03. Juli, eine Meldung über die weltweiten Nachrichten die Runde machte, die heißer war als der Ausstieg selbst: Tod durch Ertrinken.
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Hat Frank Thorogood (Paddy Considine) Brian Jones auf dem Gewissen?
Losing my Touch - Like A Rolling Stone
Vier Leute hielten sich in jener schwülen Sommernacht in seinem Anwesen auf: Brian Jones, seine neue Freundin Anna, die Pflegerin Janet und Frank Thorogood, ein kleinbürgerlicher Architekt und Kriegsveteran, dessen Engagement als Hausrestaurateur sich in den drei Monaten zuvor zu einer Wohngemeinschaft zwischen Liebe und Hass entwickelt hatte. War es ein asthmatischer Anfall? Eine Überdosis oder am Ende gar doch Mord? Bis heute ist die Gerüchteküche nicht verstummt, doch Regisseur Stephen Woolley glaubt nach zehnjähriger Recherche in seinem Kinofilm die Wahrheit erzählen zu können: Auf dem Sterbebett soll Thorogood Anfang der Neunziger gestanden haben, Jones in besagter Nacht in drogenumnebelten Zustand ertränkt zu haben. Eine Kurzschlusshandlung im Affekt, ausgelöst durch die zahlreichen Demütigungen, die er sich von dem narzisstischen Rockstar hatte gefallen lassen müssen. Bei der Obduktion konnten geringfügige Drogenreste, jedoch keine Anzeichen für einen asthmatischen Anfall festgestellt werden, und so sprach man in der offiziellen Variante seinerzeit von einem tragischen Unfall.

Bei den Stones indes läuft das Tagesgeschäft wieder an. Nur einen Tag nach Jones Ableben wird die Single "Honky Tonk Woman" veröffentlicht, ein kostenloses Konzert im Hyde Park funktioniert man kurzerhand in eine Memorial-Veranstaltung um. Vor 500 000 Fans steigen weiße Schmetterlinge in den Himmel, Pathos liebten die Stones schon immer. Doch bei der intimen Beerdigung werden nicht alle Bandmitglieder anwesend sein, während der Pfarrer predigt: "Er hatte wenig Geduld mit Autorität, Konvention und Tradition. Darin war er typisch für seine Generation, die in den Stones einen Ausdruck ihrer gesamten Lebensauffassung sieht." Sein Sterben als Zeitparabel, und nicht zuletzt als Zeichen dafür, dass der Rock'n'Roll trotzdem nicht totzukriegen ist: 37 Jahren nach seinem Tod touren die Stones noch immer. Mit Defibrillatoren hinter der Bühne für medizinische Notfälle gerüstet spielen sie in Rio de Janeiro vor 1,2 Millionen Menschen. Der 62-jährige Keith Richards stürzt im Übermut beim Palmenklettern auf den Fidschiinseln fünf Meter zu Boden. Gespielt wird trotzdem, sonst wären die Stones nicht die Stones.

Von den verspulten Klängen in "Paint in Black", die noch deutlich die psychedelische Handschrift von Brian Jones tragen, bis hin zur aktuellen Welttournee "A Bigger Bang" war es ein weiter Weg. Brian Jones blieb dabei auf der Strecke. Sein Tod beendete mit den Manson-Morden die hemmungslose Lebenslust der 1960er, die gerade wegen ihres Wahnsinns nur ein Produkt auf Zeit sein konnte. Nur die Stones kümmerte das wenig. Sie rollen weiter - wie immer.
erschienen am 23. Juni 2006
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Stoned (Kinofilm)
Brian Jones ist der Gründer der Kultband "The Rolling Stones". Der Lead-Gitarrist liebt nicht nur Rock'n'Roll, er steht auch auf Rauschmittel und wilde Sexabenteuer. Musikalisch stellt er Bewundernswertes auf die Beine. So ist es für ihn kein Problem, innerhalb kürzester Zeit ein neues Instrument zu erlernen. Manager Andrew Loog Oldham hat für Jones allerdings kein gutes Wort übrig. Er bevorzugt Mick Jagger und Keith Richards. Regisseur und Produzent Stephen Woolley verbringt zehn Jahre mit..
Mick Jagger (Gesang, Gitarre) und Keith Richards (Gitarre, Gesang) sind das Urgestein der legendären Rock' n Roll Band Rolling Stones. Charlie Watts (Schlagzeug) und Ronnie Wood (Gitarre) vervollständigen derzeit die britische Gruppe. Von vielen werden sie liebevoll Rock-Opas genannt - ihr Gründungsjahr 1962 ist schließlich schon eine Weile her. Mehr als 2.000 Konzerte spielten Jagger und Richards seitdem im Wechsel mit anderen Bandkollegen. Zu den Mitbegründern der Band gehörten damals neben..
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