Weltkino Filmverleih
Der alte Affe Angst (2003)
Seelische Nacktheit voller Authentizität
Feature: Roehlers beste Arbeit
Sie fressen sich beinahe gegenseitig auf. Vor Liebe. Vor Hass. Vor lauter Aggression. Vor lauter Verletztheit. Vor Schockiert sein. Vor Sehnsucht. Vor Angewidert sein. Vor Nicht-loslassen-können. Wie nur, ja wie nur hat es überhaupt erst so weit kommen können?
erschienen am 22. 04. 2003
Szene aus: Der alte Affe Angst
Dass man so tief sinkt. Dass man fällt und fällt und fällt und den verdammten Aufprall im Abgrund schon gar nicht mehr spürt. Vielleicht ist das ja das Leben? Abgrund. Schmerz. Einsamsein. Verlorensein. Angst essen Seele auf hieß es in einem zum Klassiker gewordenen Film von Rainer Werner Fassbinder. Marie (Marie Bäumer, Bayerischer Filmpreis) und Robert (André Hennicke) haben den Halt verloren. Das Leben droht ihnen zu entgleiten. Marie, die Ärztin in einer Kinderklinik, und Robert, der Theaterregisseur. Robert erfährt, dass sein Vater Klaus (Vadim Glowna, der Vater aus "Die Unberührbare"), Schriftsteller, schwer krebskrank ist. Die Chemo will nicht anschlagen. Es geht zu Ende.
Szene aus: Der alte Affe Angst
Robert fährt hin, nach Jahren des Schweigens zwischen Vater und Sohn, macht er sich auf, dieses zu brechen. Doch hier ist es zu spät für einen Neubeginn, das Ende steht vor dem Anfang. Bald schon steht Robert neben seinem aufgebahrten Vater, zuvor blieben ihm nur ein, zwei kurze, verhuschte Treffen - als er den geschwächten, an Krücken gestützten alten Mann allein im kalten und sterilen Krankenhausflur zurück lässt, sich noch einmal umdreht, es wird das letzte Mal sein, dass sie sich sehen. Robert fällt. Geht erneut zu einer Prostituierten, dorthin, wo er seit Monaten schon Befriedigung sucht, da er mit seiner Marie, die sich verzweifelt in allerlei Dessous zwängt, nicht mehr schlafen kann. Noch ein Abgrund. Dann bekommt Marie, die gerade erfahren hat, dass sie schwanger ist, es mit. Und sie kennt die Prostituierte zufällig, die ausgerechnet die HIV-positive Mutter eines krebskranken Jungen aus ihrer Klinik ist. Nun fällt auch sie. Verliert ihr Kind. Trennt sich. Kann nicht mehr. Will nicht mehr. Taumelt. Sinkt. Droht, sich zu verlieren. Der Welt abhanden zu kommen. Doch jedem Dunkel folgt ein Licht. Und manchmal, da sind es just diese Dinge des Lebens, die urplötzlich neue Türe und Tore aufstoßen.
Szene aus: Der alte Affe Angst
Oskar Roehler (43) ist ein umstrittener Autorenfilmer, ein enfant terrible des deutschen Films. Ein neuer Fassbinder, sagen manche über ihn, der er auch selbst Fassbinder zu seinen Einflüssen zählt. Roehler spaltet. Entweder man liebt seine Arbeiten, oder man hasst sie. Dazwischen gibt's nichts, so wie auch bei ihm selbst, und in seinen Filmen - keine Graustufen, keine Kompromisse. Sein bisher gewiss größter Erfolg - neben unschönen Flops wie "Gierig" (1998) oder "Suck My Dick" (2001) - war "Die Unberührbare") (2000), dieses wunderbare, in melancholischem Schwarzweiß gehaltene Kammerspiel, in dem er die Geschichte seiner Mutter, gespielt von Hannelore Elsner, erzählt. Nun erzählt er also auch zu Teilen von seinem Vater - und unweigerlich auch von sich.
Szene aus: Der alte Affe Angst
"Der alte Affe Angst" wurde auf der Berlinale 2003 präsentiert, ist ein bewusst radikaler Film, ein Liebes- und Bewusstwerdungs-Drama voller Mut, voller Herz, voller körperlicher Entblößung, voller seelischer Nacktheit, voller Authentizität. Das ist beklemmend, berührend, mitreißend. Roehler stülpt das Innerste nach Außen. Roehler macht Schmerz sicht- und spür- und erlebbar. Das ist verdammt selten geworden im Kino, im deutschen zumal. Auch "Der alte Affe Angst" wird wieder spalten. Die einen werden ihn lieben, die anderen hassen. Dabei ist es neben der "Unberührbaren" Oskar Roehlers beste Arbeit. Das bleibt kein Zweifel.
erschienen am 22. April 2003
Zum Thema
Oskar Roehler, zuletzt mit der sperrigen "Unberührbaren" höchst erfolgreich, hat mit glatten Happy-End-Romanzen wenig am Hut. Seine kompromisslose Liebesgeschichte ist voller Schmerz und ehrlicher Gefühle.
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