Lichter
Schmid zeichnet poetisch-düsteres Bild
Feature: Betrogen und verkauft
Man könnte diesen Film als einen Beitrag zur EU-Osterweiterung bezeichnen. Sonderlich optimistisch fällt er allerdings nicht aus. Wenn in Hans-Christian Schmids "Lichter" Ukrainer auf Polen und Deutsche stoßen, ist es bei diesen Begegnungen immer nur ein kurzer Schritt von der Hilfsbereitschaft zum Betrug.
erschienen am 25. 07. 2003
Julia Krynke an der Seite von August Diehl in: Lichter
Bis auf wenige Ausnahmen erscheint das Leben an der Oder als trostloses Warten auf bessere Zeiten. Das wirkt sich auch auf das Seelenleben der Bewohner aus. Und auf diejenigen, die es - freiwillig oder gezwungenermaßen - in die beiden Grenzstädte Frankfurt und Slubice verschlägt.

"Lichter" erzählt von der Suche nach einem besseren Leben: Sei es in Form der Flucht in den Westen, wie sie eine Gruppe ukrainischer Flüchtlinge versucht, die aber von ihren Schleppern betrogen wird und in Polen statt in Deutschland landet. Jenseits der Oder und weit weg vom Lichtermeer der Großstadt Berlin, das ihnen versprochen worden war. Oder in Form von Hilfsbereitschaft, wie sie die Dolmetscherin Sonja, die für den Bundesgrenzschutz arbeitet, einem jener Flüchtlinge, Kolja, zukommen lassen will.
Zbigniew Zamachowski in:Lichter
Als Kolja von Grenzbeamten aus der Oder gezogen und zurück nach Polen verfrachtet wird, sucht sie ihn kurzentschlossen auf, um ihn im Kofferraum ihres Autos zurück nach Deutschland zu schmuggeln - an das Ziel seiner Träume, Berlins Potsdamer Platz. Aber für wahre Dankbarkeit ist in diesen trostlosen Zeiten kein Platz, muss auch Sonja bald merken.

Diese feine, zerbrechliche Linie zwischen Vertrauen und Betrug ist es, die - vom gemeinsamen Ort, der deutsch-polnischen Grenze abgesehen - die verschiedenen Episoden verbindet. Wer ein virtuos zusammengesponnenes Netz von Beziehungen zwischen dem guten Dutzend Figuren erwartet, von denen "Lichter" erzählt, sieht sich getäuscht. Die meisten der Erzählstränge verlaufen parallel zueinander und überschneiden sich nicht. Dies ist nur konsequent, weil Schmid eben kein artifizielles Bild zeichnen, sondern nahe an seinen Hauptfiguren deren Suche und Schicksal verfolgen will. Künstliche, zufällige Überschneidungen der Lebenslinien würden diesen Realismus nur stören und untergraben.
Zbigniew Zamachowski, Anna Janovskaja und Sergej Frolov in: Lichter
Schmids Ensemblestück ist schon deshalb ein Stück Osterweiterung, weil hier deutsche, russische und polnische Darsteller zusammen vor der Kamera standen. Dies hat durchaus seine Reize, wenn man als Zuschauer merkt, wie sehr sich die verschiedenen Sprachen bisweilen im Klang ähneln. Es bedeutet aber auch, dass der Film in großen Teilen mit Untertiteln auskommen muss, was den Kassenerfolg nicht sonderlich steigern dürfte. Aber auch diese Ehrlichkeit und Authentizität tragen zum Realismus von "Lichter" bei.
Alice Dwyer, Martin Kiefer in: Lichter
Allerdings: Nach mehren publikumswirksamen Filmen wie "Crazy" oder "23 - nichts ist so wie es scheint" scheint es Schmid bei aller Suche nach Realität dem Zuschauer nicht einfach machen zu wollen. Sein Stammschauspieler August Diehl, einer der wenigen in Deutschland bekannten Schauspieler in diesem Ensemble, taucht zur Hälfte des Films erstmals auf. Und die trostlosen, teilweise hektischen und meist verschwommenen Bilder passen zur nur selten durch feinfühlige Ironie durchzogenen düsteren Atmosphäre des Films - dürften aber auch nicht gerade dafür sorgen, dass aus "Lichter" ein zweites "Good Bye, Lenin!" wird.

Gerade weil Schmid sich jedoch konsequent dem Leben seiner Figuren und der Trostlosigkeit des Odergebiets hingibt, ist ihm ein bemerkenswerter Beitrag zur politischen Gefühlslage dieser Tage gelungen. Genau beobachtet und lebensnah. Sicherlich kein Film, der dem Eskapismus frönt und fröhliche Stimmung verbreitet - der aber stattdessen den Zuschauer auf eine gefühlvolle und poetische Suche mitnimmt, in der nicht alles ist, wie es scheint.
erschienen am 25. Juli 2003
Zum Thema
Lichter (Kinofilm)
Man könnte diesen Film als einen Beitrag zur EU-Osterweiterung bezeichnen. Sonderlich optimistisch fällt er allerdings nicht aus. Wenn in Hans-Christian Schmids "Lichter" Ukrainer auf Polen und Deutsche stoßen, ist es bei diesen Begegnungen immer nur ein kurzer Schritt von der Hilfsbereitschaft zum Betrug. Bis auf wenige Ausnahmen erscheint das Leben an der Oder als trostloses Warten auf bessere Zeiten.
Im bayerischen Wallfahrtsort Altötting geboren, wird dem deutschen Regisseur Hans-Christian Schmid manchmal unterstellt, er sei katholisch und konservativ erzogen worden. Doch das ist falsch. Zwar lassen "Die Mechanik des Wunders", "Himmel und Hölle" und nicht zuletzt "Requiem" darauf schließen, doch Schmids Elternhaus war äußerst liberal. Schon Ende der 1990er Jahre etablierte sich der Student der Hochschule für Fernsehen und Film München als Drehbuchautor und Regisseur. Mit "23 - nichts ist..
Weitere Kritiken
Zum Weinen lustig
"Lost City - Das Geheimnis der verlorenen Stadt"
2024