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Ottfilm
Werner Herzog ("Ten Minutes Older - The Cello")
Erste Wettbewerbsfilme auf der Berlinale
Werner Herzog in der Wüste, Jafar Panahi im Taxi
Die erst zwei Tage alte Berlinale glänzt bereits mit ersten Höhepunkten. Nach der feierlichen Eröffnungsgala mit Isabel Coixets Drama "Nobody Wants the Night" am 5. Februar fanden gestern die Weltpremieren von Jafar Panahis "Taxi", Werner Herzogs prominent besetztem Biopic "Queen of the Desert" und Andrew Haighs Ehedrama "45 Years" statt. Die Qualität der Beiträge schwankt zwischen meisterlich, feinfühlig und plakativ.
07. Feb 2015: Seit Jahren gehört Jafar Panahi zu den hoch geschätzten Gästen der politisch sensiblen Berlinale. Der iranische Filmemacher setzt sich in seinen Werken kritisch mit der sozialpolitischen Wirklichkeit seines Landes auseinander. Deshalb wird er 2010 zu sechs Jahren Haft und einem 20-jährigem Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt. Das Urteil wird nicht vollständig vollstreckt aber ins Ausland darf Panahi nicht reisen. Was das Filmemachen angeht, so dreht der nimmermüde engagierte Künstler allerdings weiter fleißig Film für Film. Dies macht er angesichts des Berufsverbots heimlich und mit dem Risiko, erneut verhaftet zu werden. 'Ich kann nichts anderes, als Filme machen', wird Panahi auf der Berlinale-Seite zitiert. 'Mit Kino drücke ich mich aus, es ist mein Leben. Nichts kann mich am Filmemachen hindern.'

Die Berlinale bietet dieser 'Notwendigkeit' des Künstlers, 'etwas zu erschaffen' nicht nur ein Ventil, sie bezieht mit dieser politischen Entscheidung auch zur Unterdrückung des Regisseurs im Speziellen und der Meinungsfreiheit im Allgemeinen deutlich Stellung. Bereits 2013 lädt das Festival Panahi in den Wettbewerb ein, der für "Pardé" denn auch prompt mit dem Drehbuch-Preis ausgezeichnet wird - in Abwesenheit versteht sich. Für Aufsehen sorgt zwei Jahre zuvor bereits die Entscheidung von Berlinale-Chef Dieter Kosslick, auf das Fehlen des Jury-Mitgliedes Panahi mit einem leeren Stuhl auf der Bühne aufmerksam zu machen.

Dieses Jahr wiederholt sich das Prozedere. Abermals bringt das Festival ihren 'stillen Protest' (Kosslick) zum Ausdruck, indem es einmal mehr Panahis Werk aufführt. Nach "Pardé" und dem 2006 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie prämierten 'Fußballfilm' "Offside" reicht der Filmemacher mit "Taxi" nun schon seinen dritten Film im Wettbewerb ein. Bei der großartigen Tragikomödie fungierte er nicht nur als Regisseur und Drehbuchautor, er hat auch die Hauptrolle übernommen. 'Rolle' trifft es allerdings nicht ganz. Panahi spielt sich selbst, den Regisseur, der allerdings in einem Taxi quer durch Teheran fährt. Dabei nimmt er Fahrgäste auf, die er zu ihren jeweiligen Zielen chauffiert.

Und sich mit ihnen unterhält - über Alltägliches aber auch Essentielles, über den Alltag und die sozialen Verhältnisse im Iran, über die Kunst und das Filmemachen sowie die Situation der Künstler in einem unfreien Land. Der Inhalt und der kammerspielartige Rahmen, in dem das Geschehen angesiedelt ist, ist denkbar einfach. Und doch ist diese Einfachheit nur vordergründig, tatsächlich hat der Regisseur ein höchst komplexes Werk geschaffen, in dem sich Realität und Fiktion, Abbild und Inszenierung, Schein und Wirklichkeit, Wahrheit und Lüge durchdringen.

"Taxi" ist ein Film, in dem der Regimekritiker Pahani sich einmal mehr kritisch mit seinem Land befasst: ein Film, in dem der Regisseur seine Aufmerksamkeit auf die himmelschreienden Missverhältnisse richtet, wo er doch nur eine von oben verordnete 'zeigbare' Realität darstellen darf; ein Film, der wegen seines Mutes und seiner Entschlossenheit Bewunderung weckt und der - trotz seines ernsten Themas - doch urkomisch ist. Ein großer, wichtiger Film, der einen Preis verdient.

Das komplette Gegenteil ist hingegen Werner Herzogs "Queen of the Desert". Der deutsche Regisseur von Meisterwerken wie "Fitzcarraldo" und "Aguirre, der Zorn Gottes" enttäuscht mit der Schilderung der Lebens- und Liebesgeschichte der britischen Schriftstellerin, Archäologin und Abenteurerin Gertrude Bell in jeder Hinsicht. Herzog, der sich einst mit Filmen über fiktive komplexe und zwiespältige Männerfiguren auszeichnete, scheitert radikal darin, eine historische weibliche Persönlichkeit und ihre Zeit zum Leben zu erwecken.

Bell kommt in seinen Händen weder als Autorin, noch als Wissenschaftlerin und Diplomatin zur Geltung. Dafür wird sie hinlänglich als tragische Frau und Liebende ins Bild gesetzt, wobei Herzog ihre Leidensgeschichte als groß angelegtes sentimentales und pathetisches Melodram stilisiert. Die fehl besetzten Schauspieler sind angesichts der dramaturgischen Löcher und der hölzernen Dialoge allenfalls um Schadensbegrenzung bemüht und können dennoch nicht verhindern, dass "Queen of the Desert" an etlichen Stellen unfreiwillig komisch ist. Ein enttäuschendes Alterswerk eines zu Recht weltweit geschätzten Filmemachers.

Um ein Vielfaches sensibler geht Andrew Haigh in "45 Years" zu Werke. Das Ehedrama erzählt von einem kinderlosen Ehepaar, das in den Vorbereitungen zum 45. Hochzeitstag steckt. Doch dann erreicht den Mann die Nachricht, dass der Leichnam seiner Anfang der 1960er Jahren in den Schweizer Alpen verunglückten Freundin entdeckt wurde. Das Eindringen der Vergangenheit in den Alltag der Eheleute bleibt nicht ohne Spuren.

Haigh erzählt in kühlen Bildern und entschleunigter Erzählweise einfühlsam, wie ein eingespieltes Leben allmählich und unaufhaltsam aus den Fugen gerät. Durchweg überzeugend sind auch die beiden Hauptdarsteller. Tom Courtenay ("Die Einsamkeit des Langstreckenläufers") macht eindrucksvoll in Sprache, Mimik und Gestik die Überforderung spürbar, die die Erinnerung an ein tragisches Ereignis in seiner Figur auslöst. Charlotte Rampling brilliert in der Rolle einer Frau, die jäh mit der Erkenntnis konfrontiert wird, 50 Jahre lang die falsche Frau ihres geliebten Mannes gewesen zu sein. Mit ihrer Leistung empfiehlt sich die Filmikone als Kandidatin für den Darsteller-Bären.
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2024