Funk und Film
Roberto Rossellini
Pionier der ungeschönten Wirklichkeit
Retro Feature: Grenzgänger Roberto Rossellini
erschienen am 19. 10. 2023
Filmjuwelen
Rom, offene Stadt ("Roma città aperta", 1945)
Anfänge mit fadem Beigeschmack
Vater Angelo Giuseppe Rossellini ist der Architekt des ersten römischen Lichtspielhauses, weshalb der junge Roberto schon früh mit dem Film in Berührung kommt. In seiner Funktion als Geräuschemacher verdient er sich neben dem Studium der Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte Studiengeld und erste Sporen am Set. In einem seiner ersten Kurzfilme "Prélude à l'après-midi d'un faune" lässt er sich von dem französischen Komponisten Claude Debussy und dessen gleichnamigen Orchesterstück inspirieren. Vor allem seiner damaligen Freundschaft mit Vittorio Mussolini, dem Sohn Benito Mussolinis und damaligen Chef der italienischen Filmindustrie, ist es zu verdanken, dass der Nachwuchsregisseur in der Branche Fuß fassen kann. Sein Drehbuch zu "Luciano Serra pilota" wird noch von Goffredo Alessandrini realisiert, kurz darauf jedoch schwingt Roberto persönlich den Regiestab. Seine sogenannte faschistische Trilogie entsteht unter dem merklichen Einfluss des faschistischen Regimes Mussolinis.
Der Spiegel
Roberto Rossellini
Der Durchbruch
Nach der Befreiung Roms durch die alliierte Truppen vollzieht Rossellini eine ideologische Kehrtwende. Mithilfe des jungen Federico Fellini entsteht 1944/45 "Rom, offene Stadt", das den moralischen Widerstand in Zeiten des Krieges zum zentralen Thema macht und Rossellinis Weltruf begründet. Der Film wird zum Manifest des italienischen Neorealismus. Im Jahr darauf thematisiert er die Befreiung Italiens vom Faschismus in seinem Episoden film "Paisà", an dessen Drehbuchgestaltung unter anderem der Schriftsteller Klaus Mann beteiligt ist. In dessen Heimat ist Rossellinis wohl schonungslosestes Zeitdokument auch verortet. "Deutschland im Jahre Null" aus dem Jahr 1948 spielt an Originalschauplätzen im zerbombten Nachkriegs-Berlin. Mit Laiendarstellern bildet Rossellini die fatalen Fortwirkungen des von den Nazis propagierten Sozialdarwinismus eindringlich ab - ein Film mit nachhaltiger Schockwirkung.
Verleih
Stromboli
Ingrid Bergman und ein neuer Skandal
In einem Brief preist sich Ende der 1940er Jahre eine junge schwedische Schauspielerin dem römischen Filmemacher an. Sie wäre multilingual und eine Bewunderin seiner Schaffenskunst. Ingrid Bergmans Ruf bleibt nicht unerhört und so entsteht die Trilogie der Einsamkeit. Sie umfasst die Werke "Stromboli", "Europa 51" und "Reise in Italien". Als Zentralmotiv eint sie die existenzielle Alleinstellung des Individuums. Im Zuge der Zusammenarbeit verlieben sich der Regisseur und seine nordische Protagonistin ineinander. Ein Umstand, der zu einem Aufschrei der Entrüstung führt. Speziell in den konservativen Kreisen der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Italien provoziert die Liebesbeziehung bigotte Moralisten. Als Grund wird der Umstand angeführt, dass der katholische Rossellini noch mit der Schauspielerin Marcella De Marchis verheiratet ist und die protestantische Bergman ihren Ehemann, den Zahnarzt Petter Lindström sowie die gemeinsame Tochter für die neue Liebe sitzen lässt. Unbeirrt der harschen Reaktionen folgen die Frischverliebten dem Werben Amors, kappen ihre Ehen und heiraten 1950. Als Konsequenz kann Rossellini mit seinen Filmen in den USA auf Jahre nicht mehr Fuß fassen. Sieben Jahre später ist alles vorbei und Ingrid Bergman lässt sich scheiden, da Rossellini sie angeblich künstlerisch einenge, jedoch ist zu diesem Zeitpunkt mit Sonali Senroy DasGupta bereits eine neue Frau in das Leben des Regisseurs getreten.
Koch Media
Roberto Rossellini - 4 Filme
Spätwerk und Fazit
Rossellini lernt DasGupta während einer Reise nach Indien kennen. Vor Ort dreht er für das italienische und französische Fernsehen eine zehnteilige Fernsehreihe, die einen realistischen Blick auf den Subkontinent gewähren soll. In einem Mix aus Dokumentation und Spielfilm entsteht schließlich, das von der Serie "L'India vista da Rossellini" inspirierte "Indien, Mutter Erde". Von da an widmet er sich vermehrt der Arbeit fürs Fernsehen, zudem betätigt sich Rossellini in Rom und Neapel auch als Theater- und Opernregisseur. Sein letztes Werk ist der Dokumentarfilm "Beaubourg, centre d'art et de culture Georges Pompidou" in seinem Todesjahr. Bis zuletzt durchzieht der künstlerische Grundgedanke, dass nur im Glauben die völlige Freiheit hergestellt sei, sein Werk. Lebemann Rossellini ist Vater von sieben Kindern, darunter auch Tochter Isabella, die ihrerseits auf eine Schauspielkarriere von Weltruf zurückblicken kann. Er liebt schnelle Autos und steuert zusammen mit seinem Bruder, dem Komponisten und Dirigenten Renzo Rossellini, den Großteil der Musik zu seinen Filmen selbst bei. Was bleibt ist ein großer Individualist und Pionier der europäischen Filmgeschichte, der allerdings den moralischen Grundprinzipien seines Schaffens im realen Leben hin und wieder unterlegen ist.
erschienen am 19. Oktober 2023
Zum Thema
Geboren wurde der Mitbegründer des Neorealismus 1906 in Rom. Eine Laufbahn als Filmemacher schwebte dem jungen Rossellini zunächst nicht vor. Als leidenschaftlicher Autoliebhaber wurde er zunächst Autoverkäufer. Erste Schritte in Richtung künstlerischen Ausdrucks unternahm er als freier Bildhauer und Maler. Beim Film landete er im Jahre 1934 zunächst als Tontechniker, Cutter und dann als Drehbuchautor. Seinen großen Durchbruch schaffte Rossellini mit "Rom, offene Stadt", mit dem er den..
Weitere Retrofeatures