Film Revue
Bernhard Wicki
Monolith des deutschen Kinos
Retro Feature: Idealist Bernhard Wicki
Zwei Filme machen Bernhard Wicki zu einem Regisseur von Weltrang. "Die Brücke" schlägt 1959 wie ein Donnerschlag ein. Mit "Das Spinnennetz", seinem letzten Werk, verabschiedet sich der Filmemacher 1989 vom Kino und erregt wieder so viel Aufsehen wie sein Meisterwerk 30 Jahre zuvor. Beide Filme zeigen, dass Wicki nicht nur ein herausragender Filmemacher ist, sondern auch eine Künstlerpersönlichkeit im Dienste des Humanismus.
erschienen am 16. 06. 2021
Kinowelt
Verstörung - und eine Art von Poesie. Die Filmlegende Bernhard Wicki
Skepsis gegenüber dem Film
Schön früh engagiert sich Bernhard Wickis politisch. Mit zwölf Jahren tritt er der kommunistisch orientierten Bündischen Jugend bei. Dies wird für den jungen Idealisten fatale Folgen haben. 1938 wird er verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert. Erst nach Monaten kommt er wieder auf freien Fuß. Dass sich seine moralischen Ideale einmal in Filmkunstwerken manifestieren sollten, denkt Wicki nicht. Gegenüber der neuen Kunstform ist er zunächst skeptisch eingestellt. Für den Kunstinteressierten, der Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte studiert, ist der Film nur Unterhaltungsware, der ernste Themen fremd sind. Wicki liest Literatur, hört klassische Musik, an die ästhetisch-sinnliche Kraft dieser Kunstformen kann der Film seiner Meinung nach nicht heranreichen. Diese Einstellung teilt Wicki mit vielen Intellektuellen seiner Zeit. Erst unter dem Einfluss von Max Ophüls ändert er seine Einschätzung, als er mit diesem 1952 an der Synchronisation von "Pläsier" zusammenarbeitet.
Quick
Eva Bartok und Bernhard Wicki
Zwischenstation Theater
Zunächst zieht es Wicki jedoch zur Bühne. Gustaf Gründgens vermittelt ihn an die Schauspielschule des staatlichen Schauspielhauses Berlin, wo er ein Studium beginnt und es nach seiner KZ-Inhaftierung am Wiener Reinhard-Seminar abschließt. In Berlin legt sich der Schauspieler mit den Nationalsozialisten an - die Folge ist ein Stadtverbot. Im sächsischen Freiberg beginnt er 1940 seine Theaterlaufbahn. Er bekommt Engagements beim Schauspielhaus Bremen und dem Münchner Staatstheater. Es bleibt nicht beim Schauspiel - der künstlerisch vielseitig begabten Wicki wird er auch Theaterregisseur. Seine Liebe zur Bühne festigt sich durch seine Bekanntschaft mit Friedrich Dürrenmatt. Wicki lernt den Schweizer Schriftsteller, Dramatiker und Maler in dessen Heimat kennen, wohin er mit seiner frischangetrauten Frau Agnes Fink kurz vor Kriegsende übersiedelt. Am Stadttheater Basel bekommt er ein längeres Engagement.
Film Revue
Bernhard Wicki in "Rummelplatz der Liebe"
Schauspieler und Regisseur
Trotz seiner kritischen Einstellung zum Film debütiert Wicki im Jahr 1940 noch während seiner Schauspielausbildung als Statist in Gustav Ucickys "Der Postmeister". Es werden zehn Jahre vergehen, bis Wicki seine erste große Rolle in Harald Brauns "Der fallende Stern" spielen wird. Nach "Junges Herz voll Liebe" (1953) ist Wicki von der deutschen Leinwand nicht mehr wegzudenken. Er dreht fortan jedes Jahr vier bis fünf Filme und wird spätestens mit der Rolle des Partisanenführers in Helmut Käutners "Die letzte Brücke" (1954) zum Star. Im Film durchläuft Wicki eine ähnliche Entwicklung, wie im Theater und so zieht es ihn bald auch hinter die Kamera. Eines der ersten Porträts Wickis in den fünfziger Jahren gibt Aufschluss über die Gründe für diesen Prozess. Laut der Filmzeitschrift Film Revue aus dem Jahr 1954 ist es die 'überbordende Gefühlswelt' des Schauspielers, die ihn zwinge, diese in geordnete Bahnen zu lenken. 'Ich habe so viel Ungeordnetes in mir', äußert Wicki gegenüber der Zeitschrift, 'dass ich froh bin, wenn ich Formen finde, an denen ich mich ausrichten kann'. Darüber hinaus ist Wicki, wie er selbst bekundet, ein überaus visuell orientierter Mensch. Er lebe mit den Augen und sei dem Visuellen stark verbunden. Was liegt da näher, als sich der audiovisuellen Filmkunst zuzuwenden.
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Die Brücke - Edition Deutscher Film
Früher Welterfolg
Wickis Überzeugung, dass der Film ein kunstloses Massenprodukt sei, ist zu diesem Zeitpunkt offenbar überwunden. Ein wichtiger Grund für den Gesinnungswechsel mag auch Wickis Beschäftigung mit der Fotografie sein, die er parallel mit seiner Filmlaufbahn vorantreibt. Er erkennt, dass auch der Film ein ästhetisches Gebilde ist, das die Welt komprimieren und auf diese verändernd einwirken kann: "Durch die Fotografie bekam ich erst eine Beziehung zum Film. Plötzlich sah ich diese vermeintliche Kunst zweiten Grades mit ganz andren Augen", so Wicki. Es dauert nicht lange, bis er erste Regiearbeiten angeht. Zunächst ist er Volontär bei Käutners hinreißender Komödie "Monpti" (1957). Im darauffolgenden Jahr inszeniert er seinen ersten Film. "Warum sind sie gegen uns" ist ein Drama über die kulturellen Barrieren zwischen Angestellten einer Firma. Dann folgt der erste große Wurf, "Die Brücke" (1959) zeigt die sinnlose Verteidigung einer Brücke durch eine Gruppe von Schuljungen. Der Antikriegsfilm ist ein Kommentar zur Sinnlosigkeit des Krieges, der Absurdität militärischer Entscheidungen sowie dem Konformismus. "Die Brücke" erregt international Aufsehen und erhält eine Oscar-Nominierung für den besten nichtenglischsprachiger Film. Produzent Darryl F. Zanuck verpflichtet ihn daraufhin für das Mammutprojekt "Der längste Tag". Wicki realisiert die deutschen Episoden. Er akzeptiert den Auftrag unter der Bedingung, dass die Charakterisierung der Deutschen realistisch angelegt ist.
Kinowelt
Eine Szene aus "Die Brücke"
Literatur, Kino und Fernsehen
Die Freundschaft Wickis mit Dürrenmatt und seine Bewunderung für dessen Werk schlagen sich auch in seiner Arbeit nieder. Er inszeniert 1964 Dürrenmatts bissiges Meisterwerk "Der Besuch" als internationale Koproduktion und schafft es, Weltstars wie Ingrid Bergman und Anthony Quinn vor der Kamera zu versammeln. Neben seinen Kinoproduktionen arbeitet Wicki seit den frühen 1970er Jahren auch fürs Fernsehen. Der Regisseur macht bewusst keinen Unterschied zwischen Kino- und Fernsehproduktionen. Er habe vielmehr "auch eine Fernseharbeit immer so inszeniert, als sei sie fürs Kino bestimmt". Vor allem literarische Stoffe greift Wicki immer wieder bei seinen Fernsehproduktionen auf. Dem Werk Joseph Roths fühlt er sich besonders verbunden. Er nimmt er sich dessen Roman "Das falsche Gewicht" (1971) an und inszeniert mit seinem letzten großen Film, "Das Spinnennetz", erneut eine Vorlage des österreichischen Schriftsteller. Die Dreharbeiten beginnen Ende November 1987, müssen aber unterbrochen werden, als Wicki eine lebensbedrohliche Gehirnblutung erleidet. Erst im Dezember 1988 können die Arbeiten abgeschlossen werden. Wegen der expliziten Gewaltszenen wird "Das Spinnennetz" von der Kritik angegriffen und Wicki muss sein Meisterwerk für die Fernsehausstrahlung um 20 Minuten kürzen.
Tobis Film
Paris, Texas
Einzelgänger jenseits der Konvention
Neben seiner Arbeit als Regisseur arbeitet Wicki weiter als Schauspieler. Er spielt unter anderem in Peter Handkes "Die linkshändige Frau" (1977), Rainer Werner Fassbinders "Eine Reise ins Licht" (1977) oder in Wim Wenderss "Paris, Texas" (1984). Wicki ist mit seinem Oeuvre in der deutschen Filmgeschichte isoliert. Seine Verbindung mit den Regisseuren des Neuen Deutschen Films spiegelte sich aber in seiner Tätigkeit als Schauspieler nieder. Als deren Mitstreiter sieht er sich dennoch nicht. Er betrachtet sich auch nicht als deren "Vater" und auch die Unterzeichner des progressiven Oberhausener Manifests sehen in nicht als ihr Vorläufer. Das mag daran liegen, dass Wickis Ausdrucksweise nie avantgardistisch ist, sondern sich stets dem jeweiligen Sujet anpasst, ohne je konventionell zu wirken. Auch privat geht Wicki eigene Wege. Mit der Schauspielerin Agnes Fink ist Wicki bis zu deren Tod im Jahr 1994 verheiratet. 1977 lernt er zudem die Autorin Elisabeth Endriss kennen und lieben. Diese Begegnung ist "Ausgangspunkt für eine funktionierende Dreiecksbeziehung. Ungewöhnlich, leidenschaftlich, außerhalb der herrschenden Konventionen" beschreibt BR Online dieses ungewöhnliche Verhältnis. Nach dem Tod Finks heirateten Wicki und Endriss, fünf Jahre bevor Wicki im Jahr 2000 stirbt.
erschienen am 16. Juni 2021
Zum Thema
Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Fotograf: Der gebürtige St. Pöltener Bernhard Wicki geht als Multitalent in die Annalen des deutschen Nachkriegsfilms ein. Idealisten wie der jugoslawische Partisan Boro in Helmut Käutners "Die letzte Brücke" oder der Hitler-Attentäter Stauffenberg in "Es geschah am 20. Juli" zählen zu seinen eindrucksvollsten Rollen. Aber auch in Komödien wie Käutners "Die Zürcher Verlobung" überzeugt Wicki mit seiner ironisch-melancholischen Spielweise. 1959 wendet..
Weitere Retrofeatures
Wechselhafter Rudolf Platte
Multitalent Gunther Philipp
2024