Film und Frau
Ingrid Bergman in "Indiskret"
Stardasein mit Höhen und Tiefen
Retro Feature: Nur ein Mensch - Ingrid Bergman
Ingrid Bergman lebt von 1915 bis 1982. Im Großteil ihrer 67-jährigen Lebenszeit ist sie eine höchst erfolgreiche Schauspielerin. Die Schwedin erlebt zahlreiche Höhen und Tiefen, feiert Triumphe und erträgt Skandale. Bergman spielt eine Heilige und wird zu einer solchen stilisiert. Moralische Fehltritte werden ihr dennoch lange nicht verziehen. Neuerliche Erfolge stimmen die Schauspielerin mit ihren Bewunderern wieder versöhnlich. Es ist ein langer Weg von einer Heiligen zu einer Hure und wieder zurück zu einer Heiligen, resümiert Bergman ihr Leben.
erschienen am 1. 08. 2021
Deutscher Filmverlag
Neue Filmwelt 1947, Heft 5, Ingrid Bergman, Seite 12
Berufung Schauspielerei
Ingrid Bergman (wird nicht Ingrid Bergmann geschrieben) wird für die Schauspielerei geboren. Das ist keine pathetische Feststellung im Rückblick auf die einzigartige Karriere der Stockholmer Schauspielerin. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man sich die Kinderjahre vor Augen führt. Vater Justus Samuel Bergman wollte seine Tochter allzu gerne als Opernsängerin sehen. Der Künstler und Photograph lässt sie drei Jahre lang Gesangsunterricht nehmen.

Doch die kleine Ingrid hat ihren eigenen Kopf, weiß von klein auf, sie will Schauspielerin werden. Heimlich zieht sie die Kleider ihrer Mutter an, um im Studio des Vaters Theater-Proben aufzuführen. Der Wille der Tochter ist stärker. Doch auch wenn der Vater die Oberhand behalten hätte, eine Opernkarriere von Ingrid hätte er nie erlebt. Als Ingrid dreizehn ist, stirbt er und macht sie zur Vollwaise. Die deutschstämmige Mutter Friedel, geb. Adler, verliert Ingrid mit gerade drei Jahren. Der Tod, so zeigt sich früh, ist ein ständiger Begleiter in Bergmans Kindheit. Nach dem Verlust des Vaters wird sie in die Obhut ihrer Tante gegeben, um nach nur sechs Monate auch deren Tod mitzuerleben.
Neue Filmwelt
Ingrid Bergman mit Charles Boyer in "Das Haus der Lady Alquist".
Zweifel
Ingrid ist ein sensibler Charakter. Jahre später in Hollywood, als sie bereits als Schauspielgröße etabliert ist, beschreiben Beobachter sie als äußerst schüchtern. Vor allem ist sie ein bescheidener und skeptischer Mensch. Lange zweifelt sie an ihrem Schauspieltalent, selbst dann noch, als die Lobeshymnen auf ihre Leistung immer lauter werden. Als sie die Aufnahmeprüfung der Schauspielschule des Königlichen Dramatischen Theaters macht, zweifelt sie keinen Augenblick daran, dass ihr Vortrag katastrophal war. "Als ich von der Bühne gegangen bin, habe ich getrauert", beschreibt Bergman rückblickend ihre Gefühle nach dieser Erfahrung. "Ich war auf einer Beerdigung. Auf meiner eigenen. Es war der Tod meines kreativen Selbst. Mein Herz war gebrochen" (Zitiert nach: Charlotte Chandler. Ingrid: Ingrid Bergman, A Personal Biography. 2007).

Eine mehr als bescheidene Selbsteinschätzung. Als sie später einem der Juroren persönlich begegnet, erfährt sie, dass das Entscheidungskomitee von ihrer Leistung begeistert war. "Wir liebten dich", heißt es diesbezüglich in der Chandler-Biographie. " Wir wussten, dass du natürlich und großartig bist. Deine Zukunft als Schauspielerin war besiegelt". Wenig später erhält sie ihr erstes Engagement im Stück "Ett Brott" von Sigfrid Siwertz. Das verstößt gegen die Regeln der Schule, da die Schauspieler mindestens eine dreijährige Ausbildung absolvieren müssen, bevor erste Theater-Auftritte in Frage kommen. Bergman ist frühreif in ihrer Kunst, schon nach einem Ausbildungsjahr spielt sie in ihrem ersten Film mit ("Munkbrogreven", 1935) und verlässt die königliche Schauspielschule endgültig für die neue Kunstform. Es folgt eine Rolle nach der anderen und spätestens mit "Intermezzo" (1936) ist Bergman in Schweden ein Star.
Verleih
Ingrid Bergman in "Stromboli"
Nazi-Deutschland oder Hollywood?
Das deutsche Machwerk "Die vier Gesellen" (1938) werden für sie stets mit einem schlechten Gewissen verbunden bleiben. Als sie für das Projekt in Deutschland ist, verkennt sie die politische Situation des Landes. Das Nazi-Regime nimmt sie nicht ernst, glaubt nicht, dass es einen Weltkrieg anzetteln würde und vertraut auf die guten Menschen im Land, die eine Fortdauer der Diktatur verhindern werden. Sie macht sich lange Vorwürfe, blind für die Wahrheit gewesen zu sein.

Den Ausbruch des Krieges wird Bergman in den USA erleben. Inzwischen ist Hollywood auf das Talent und die Ausstrahlung Bergmans aufmerksam geworden. Produzent David O. Selznick holt sie in die Traumfabrik und inszeniert mit ihr "Intermezzo: A Love Story" (1939), ein Remake ihres schwedischen Erfolges. Ihre Hollywoodkarriere betrachtet Bergman zunächst mit Skepsis, will hier höchstens einen Film drehen und dann wieder nach Schweden zurückkehren. Sie zweifelt, dass das amerikanische Publikum sie akzeptieren wird, nicht nur wegen ihres mangelhaften Englisch. Die Zweifel scheinen berechtigt, auch Selznick betrachtet den Hollywoodneuling zunächst mit Vorsicht. Er hält er sie für zu groß, ihre Augenbrauen sind ihm zu dick und außerdem klingt ihr Name zu deutsch.
Deutscher Filmverlag
Ingrid Bergman in "Die Glocken von St. Marien".
Authentizität und Natürlichkeit
Doch alle Zweifel werden schnell weggefegt. Während der Dreharbeiten zu "Intermezzo: A Love Story" ist nicht nur Selznick von der jungen Schwedin begeistert. Auch wenn diese sich zunächst querstellt. Sie weigert sich partout, zu dicke Schminke auftragen zu lassen. Für Hollywoodmaßstäbe, wo Schauspielerinnen überirdisch schön auf die Leinwand gezaubert werden, ein Novum. Natürlichkeit und Authentizität sollte die Schauspielerin Bergman fortan auszeichnen.

Diese unschuldige Schönheit kommt beim amerikanischen Publikum an. "Sie sieht aus wie eine vom ersten Frühlingsgewitter gereinigte Wiesenlandschaft", jubelt die Presse. Es sei ein weiteres Beispiel für die geglückte Liaison zwischen dem Hollywood- und dem europäischen Kino, schreibt Filmwissenschaftler David Bordwell. Zudem weckt ihre Professionalität und Ernsthaftigkeit bei der Arbeit Bewunderung. "Miss Bergman ist die gewissenhafteste Schauspielerin, mit der ich jemals zusammengearbeitet habe", schreibt Selznick über seine Eindrücke von der Schauspielerin. "Sie denkt an nichts anderes als an ihre Arbeit, sowohl während als auch vor dem Dreh. Sie verlässt praktisch nie das Studio. Einmal hat sie sogar vorgeschlagen, ihre Umkleidekabine entsprechend auszustatten, damit sie während der Arbeit an einem Film hier leben kann" (Zitiert nach. David O. Selznick. Memo from David O. Selznick.).
Neue Visionen
Humphrey Bogart (auf Kiste?) mit Ingrid Bergman in Casablanca
Von der Sehnsucht: "Casablanca"
1941 spielt sie in "Arzt und Dämon" mit, einer Adaption des Gruselklassikers "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" von Robert Louis Stevenson und überzeugt als Opfer der dunklen Seite von Spencer Tracy. Ausgerechnet der Film, von dem sie selbst sagt, dass "keiner bei den Dreharbeiten wusste, worum es eigentlich geht", beschert ihr den Durchbruch. In "Casablanca" spielt sie die große Liebe von Humphrey Bogart, die sich und ihre Liebe für die große Sache, die Politik, den Frieden, die Freiheit opfert. Die Liebesromanze mit den unvergesslichen Dialogen und zeitloser Musik wird zum Welterfolg und macht seine beiden Stars unsterblich.

Bergman ist von "Casablanca" zunächst jedoch gar nicht überzeugt, beklagt, dass sie immer wieder mit dieser Produktion in Verbindung gebracht wird, obwohl sie weit wichtigere Filme gemacht habe. Erst später würdigt sie den Kultfilm. "Ich fühle, dass "Casablanca" ein eigenes Leben besitzt", sagt sie (zitiert nach Chandler) jetzt. Der Film habe es geschafft, eine Sehnsucht des Publikums zu stillen, er habe den Menschen gegeben, was sie in schwierigen Zeit brauchten.
Neue Visionen
Humphrey Bogart mit Ingrid Bergman in Casablanca
Ernest Hemingways Maria
Als sich Hollywood 1943 dran macht, "Wem die Stunde schlägt" zu adaptieren, ist es Ernest Hemingway, der Bergman als Darstellerin der weiblichen Hauptfigur Maria sehen möchte. "Miss Bergman und niemand anders sollte die Rolle spielen", so der Romancier, der von der jungen Schwedin begeistert ist, nachdem er sie in ihrem Hollywood-Debüt gesehen hat. Als die beiden später zusammentreffen, bescheinigt er ihr: "Sie sind Maria" (zitiert nach: Life Magazin, 26. Juli 1943). Auch die Oscar Akademie ist von Bergman überzeugt und belohnt ihre Leistung mit ihrer ersten Oscar-Nominierung. Den begehrten Preis wird sie nur ein Jahr später für ihre Darstellung der Paula Alquist in George Cukors "Das Haus der Lady Alquist" entgegen nehmen.
Koch Media
Alfred Hitchcock
Hitchcock-Intermezzo
1945 beginnt Bergmans Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock. Nach Erfolgen mit "Ich kämpfe um Dich", "Berüchtigt" (1946) und "Sklavin des Herzens" (1949), die alle drei unter der Regie des Meisters des Suspence entstehen, ist Bergman die höchstbezahlte Schauspielerin Hollywoods. Die Leidenschaft Hitchcocks zu seinen meist blonden Schauspielerinnen, die manchmal obsessive Züge annehmen kann, ist berüchtigt. Die Beziehung zu Bergman dagegen empfindet der Regisseur als etwas Besonderes. Er bewundert die Schwedin und empfindet für sie aufrichtige, jedoch unerwiderte Gefühle.
Der Spiegel
Eine Szene aus Roberto Rossellinis "Rom, offene Stadt".
Begegnung mit Roberto Rossellini
Als folgenreich für das berufliche und private Leben Bergmans soll sich die Begegnung mit Roberto Rossellini erweisen. Von dessen neorealistischem Meisterwerk "Rom, offene Stadt" ist sie begeistert und schreibt dem Regisseur einen Brief mit der Offerte, gemeinsam einen Film zu drehen. Ein Jahr später entsteht "Stromboli" (1950). Bei der beruflichen Zusammenarbeit sollte es nicht bleiben, Bergman verliebt sich in Rossellini und wird von ihm schwanger. Sie ist zu dieser Zeit noch mit dem Arzt Petter Lindström verheiratet und hat eine elfjährige Tochter.

Die Affäre provoziert einen Skandal im prüden Amerika, die beliebte Schauspielerin verliert auf Jahre die Gunst des Publikums und wird zur persona non grata in der Traumfabrik. Bergman, die in ihren Filmen Heilige verkörpert ("Johanna von Orleans", 1948), gibt ihren Heiligenschein ab und erklärt sich als Mensch mit Fehlern und Schwächen. "Die Menschen sahen mich in "Johanna von Orleans" und erklärten mich als Heilige. Das bin ich nicht. Ich bin einfach nur eine Frau und ein Mensch wie jeder andere", erklärt sie später (zitiert nach: Donald Spoto. Notorious: The Life of Ingrid Bergman, 1997).
Der Spiegel
Roberto Rossellini
Europäische Schaffensperiode
Nach der öffentlich ausgetragenen Scheidungsschlacht und dem Kampf um das Sorgerecht für die Tochter, heiraten Bergman und Rossellini 1950. Der Ehe entspringen neben Sohn Roberto Ingmar die Zwillingstöchter Isabella und Isotta Ingrid Rossellini. Die eine tritt in die Fußstapfen ihrer Mutter und wird Schauspielerin, die andere schlägt eine Laufbahn als Professorin für italienische Literatur ein. Die Ehe mit Rossellini wird sieben Jahre halten. Die Trennung wird auch auf die berufliche und persönliche Einengung der Schauspielerin. Der Filmemacher möchte nicht, dass sie auch mit anderen Regisseuren arbeitet.

Ein Jahr nach der Trennung heiratet Bergman ein drittes Mal, diesmal den schwedischen Produzenten Lars Schmidt, von dem sie sich 1970 scheiden lässt. In ihrer italienischen Periode dreht sie insgesamt fünf Filme mit Rossellini, darunter neben "Stromboli" unter anderem "Europa 51" und "Reise in Italien", der von den Regisseuren der Nouvelle Vague zeitweise als einer der besten Filme überhaupt gehandelt wird. Kaum von Rossellini getrennt, spielt sie 1956 unter der Regie von Jean Renoir in "Weiße Margeriten". Die Karriere steht eben an erster Stelle.
Film und Frau
Cary Grant als ewiger Junggeselle in "Indiskret"
Triumphales Hollywood-Comeback
Als sie 1956 nach Hollywood zurückkehrt, haben die Menschen ihr die vermeintlichen moralischen Fehltritte verziehen. Auch beruflich gelingt es ihr, an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen. In der Titelrolle des Historiendramas um die Zarentochter Anastasia feiert Bergman ein triumphales Comeback und wird erneut mit einem Oscar ausgezeichnet. Die Statuette für "Anastasia" wird Schauspielkollege und Freund Cary Grant entgegennehmen. Die Menschen mögen ihr verziehen haben, trotzdem traut sie sich bis 1958 nicht in die Öffentlichkeit. In der Romanze "Indiskret" (1958) an der Seite von Grant sowie in der Komödie "Die Kaktusblüte" (1969) mit Walter Matthau spiegelt sich nicht nur die neugewonnene Leichtigkeit und Lebensfreude der Schauspielerin wider. Sie erweist sich in diesen Filmen auch als köstliche Komödiantin, wie der Bayerische Rundfunk konstatiert. Ihren dritten Oscar gewinnt Bergman als beste Nebendarstellerin in der Adaption des Agatha-Christie-Krimis "Mord im Orient Expreß" (1974).

Unter Ingmar Bergman spielt sie neben Liv Ullmann in "Herbstsonate" und bietet in diesem intensiven Drama um ein schwieriges Verhältnis zwischen Mutter und Tochter eine ihrer besten Leistungen. Ihre letzte Rolle ist die der israelischen Politikerin Golda Meir im gleichnamigen Fernsehfilm aus dem Jahr 1982. Während der Dreharbeiten ist Bergman aufgrund ihrer Krebserkrankung körperlich bereits stark beeinträchtigt. "Ich ging den Weg von einer Heiligen zur Hure und wieder zurück zu einer Heiligen, und das alles in einem Menschleben", sagt Bergman am Ende ihrer Tage. Am 29. August 1982 stirbt die allzu menschliche Heilige in London - an ihrem 67. Geburtstag an den Folgen einer Krebserkrankung.
erschienen am 1. August 2021
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Die schwedische Schönheit ist ein strahlender Stern an Hollywoods Himmel der 1940er und 50er Jahre. Ihr schauspielerisches Vermögen ist unumstritten. Für Aufregung sorgte die skandinavische Diva mit ihrem Liebesleben. So war Ingrid Bergman unter anderem mit dem italienischen Star-Regisseur Roberto Rossellini verheiratet. Bergman überzeugte das Publikum mit ihrem vielseitigen Talent und ihrer ehrlichen Hingabe zur Schauspielerei. 1982 stirbt sie an ihrem 67. Geburtstag in London an den Folgen..
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